Augsburg: Über die Grenzen – Kinder auf der Flucht 1939/2015

Tafel mit der Aufschrift "Teamwork" und in verschiedenen Farben aufgemalten Personen

Eine Ausstellung des Jüdischen Museums Augsburg Schwaben

Kindertransporte 1939 : minderjährige Flüchtende 2015

Durch Kindertransporte konnten in den Jahren 1938/39 über 10 000 jüdische Mädchen und Jungen aus dem Deutschen Reich nach Großbritannien ausreisen. 2015 stellten in Deutschland 22 255 unbegleitete minderjährige Flüchtende (umF) einen Antrag auf Asyl. Hauptherkunftsländer waren Afghanistan, Somalia, Guinea, Eritrea und Syrien. 2017 und 2018 waren über zwei Drittel der Antragstellenden 16 oder 17 Jahre alt, wobei der Anteil der weiblichen Antragstellenden 2016 bei 9 %, 2017 bei 14 % und im ersten Halbjahr 2018 bei 19 % lag.

Die Ausstellung Über die Grenzen – Kinder auf der Flucht 1939/2015 in der ehemaligen Synagoge in Augsburg-Kriegshaber beschäftigt sich mit den Schicksalen flüchtender Kinder und Jugendlicher 1939 und zu unserer Zeit. Die Ausstellung zieht Parallelen und setzt sich für eine Willkommenskultur ein.

Jüdisches Leben in Augsburg
Ausstellung © Jüdisches Museum Augsburg Schwaben/Ilya Kotov

An vier Stationen im Gebetssaal werden Ähnlichkeiten zwischen den Erfahrungen von zehn jüdischen Mädchen und Jungen der Kindertransporte und von unbegleiteten Jugendlichen im Bezirk Schwaben gezogen. Anhand von Videos, Briefen, Tagebucheinträgen, Gedichten und Fotos erfährt der Besucher mehr über Anita Fellner, Fritz Buff, Emma und Selmar Hubert, Siegbert und Luise Einstein, Alfred Weil, Manfred Stern sowie Ernst und Rudolf Farnbacher. Erzählt werden auch die Geschichten von Abass, Sahil, Sultani, Mohammed, Zohra, Mortera und Souleyman, die alle jetzt in Augsburg und Umgebung leben.

Ähnliche Traumata und Probleme

Die Traumata und Schwierigkeiten sind ähnlich: Trennung von der Herkunftsfamilie und den Freunden, sprachliche und finanzielle Probleme, Unsicherheit, Vorurteile … Wie geht es weiter?

Anita Heufeld, geb. Fellner

“Im Alter von dreizehn Jahren war ich gezwungen auszuwandern, um nicht das Los jener meiner Familienmitglieder zu teilen, die nicht so glücklich waren, das Land rechzeitig verlassen zu können.”

Anita Fellner wurde am 26.05.1925 als Anita Heufeld in Fischach geboren. Mit einem Kindertransport wurde sie Mitte Mai 1939 von München nach Großbritannien gebracht, wo ihr älterer Bruder bereits lebte. Ihre Eltern konnten nicht emigrieren und wurden 1942 deportiert sowie später ermordet. Sie hat sie also nie wieder gesehen.

Ausstellung Über die Grenzen

Ausstellung © Jüdisches Museum Augsburg Schwaben/Ilya Kotov

Morteza Khavari

Morteza Khavari flüchtete im Alter von 14 Jahren 2010 allein aus dem Iran nach Deutschland. Zuvor war er mit seinen Eltern bereits aus Afghanistan geflohen. Sein Ziel war eigentlich Schweden. Morteza zeichnete schon immer gern. In einer Augsburger Wohngruppe wurde sein Talent entdeckt. Seine Bilder, in denen er auch seine Flucht verarbeitet, waren bereits Teil mehrerer Kunstausstellungen. Heute arbeitet der 21-jährige in einem Malerbetrieb. Er träumt davon, sich später als Handwerker selbstständig zu machen. Seine Mutter und seine beiden Brüder leben inzwischen auch in Deutschland.

Liese Einstein

“Ich wollte eigentlich ein Doktor werden, ein Kinderarzt. Aber wie ich klein war, habe ich nie eine schöne Puppe gekriegt, weil ich sie alle operiert habe.”

Das Interview mit Liese Einstein bringt zum Schmunzeln. Gemeinsam mit ihrem Bruder Siegbert gelangte Liese im Juli 1939 mit einem Kindertransport nach Großbritannien. Sie war damals 14, ihr Bruder 15 Jahre alt. Während Siegbert in ein Internat kam, lebte Liese bei der Familie des Heimleiters als Dienstmädchen. Siegbert starb im Winter 1940 an einer Herzentzündung, Liese zog sieben Jahre später in die USA. Ihre Eltern wurden in Auschwitz ermordet.

Judenverfolgung Kindertransporte
Ausstellung © Andrea Halbritter

Ernst und Rudolf Farnbacher

Am traurigsten machte mich die Geschichte der Augsburger Zwillinge Ernst und Rudolf Farnbacher. Beide kamen  im August 1939 mit einem Kindertransport nach Großbritannien, wo ihre ältere Schwester bereits lebte. In England wurden die beiden Zwillingsbrüder getrennt und hatten auch zu ihrer Schwester keinen Kontakt. Ernst beging 1941 im Alter von 16 Jahren Selbstmord. Sein Bruder brachte sich 1946 im Alter von 21 Jahren um, nachdem er vom Tod seiner Eltern im KZ Auschwitz erfahren hatte.

Die Ausstellung in der Synagoge Augsburg-Kriegshaber ist noch bis Ende Oktober von donnerstags bis samstags von 14 bis 18 Uhr sowie an Sonntagen von 13 bis 17 Uhr zu sehen. An Sonntagen im August ist der Eintritt umsonst. Mit der Ausstellung feiert die ehemalige Synagoge ihr 5-Jahres-Jubiläum als Standort des Jüdischen Museums Augsburg Schwaben.

Ehemalige Synagoge Kriegshaber
Ehemalige Synagoge Kriegshaber © Andrea Halbritter

Fazit:

Ein Besuch, der wachrüttelt. Bleibt zu hoffen, dass die Ausstellung auch von denen besucht wird, die dies dringend nötig haben. Die Ausstellungstexte wurden auch ins Englische übersetzt.

Adresse: Ehemalige Synagoge Kriegshaber, Ulmer Straße 228, 86156 Augsburg

Website: Jüdisches Museum Augsburg Schwaben

Über die Grenzen Ausstellung

Fahrende Textprojektionen der Wiener Künstlerin starsky © Sascha Osaka

Vielen Dank an das Jüdische Museum Augsburg Schwaben für die Fotos zur Ausstellung!

Fahrende Textprojektionen starsky
Fahrende Textprojektionen der Wiener Künstlerin starsky © Sascha Osaka