Inklusion ist die neue Wärmepumpe

Tafel mit der Aufschrift "Teamwork" und in verschiedenen Farben aufgemalten Personen

Einer meiner Facebook-Kontakte endet jeden seiner Posts mit: BE KIND. ALWAYS. Manchmal wünschte ich mir, auf LinkedIn wäre es auch etwas netter. Wenn ich mir durchlese, was Krawattenträger dort so posten, wundert mich nicht, dass sich Elon und Donald auf der anderen Seite des großen Teichs benehmen, als hätte man ihnen im Sandkasten den Bagger weggenommen.

Michael-Jörg, Martin und Konrad-Andreas1 aus dem DACH-Raum hauen nicht mit Plastik-Schäufelchen auf andere ein. Sie teilen im Business-Netzwerk verbal aus – vor ein paar Monaten noch mit rowdyhaften Kommentaren zu Gendersternchen und Klima-Aktivismus. Inzwischen in Form von Rants zu Barrierefreiheit: Inklusion als neue Wärmepumpe.

Inklusion und Barrierefreiheit: Trigger für alte weiße Männer

Und so fanden sich die letzten Tage auf LinkedIn folgende Ergüsse geballter Männlichkeit:

„Liebe Barrierefreiheits-Aktivisten, hört auf, uns alle zu nerven!“

„Diese selbst ernannten Barrierefreiheitsapostel kotzen mich an!“

„Barrierefreiheit nervt!”

„Ich schließe niemanden aus, denn ich bin nicht verantwortlich dafür, dass es Menschen gibt, die nicht sehen können.“

„Ich will nicht, dass dauernd einer Barrierefreiheit zu meinem Problem macht.“

„Wenn Screenreader technisch so unausgereift sind, dass sie meinen Text nicht korrekt lesen können, ist das nicht mein Problem.“  

„Ich finde das überbordende Ich-bin-ein-Held-und-kümmere-mich-um-eine-Minderheit-Getue mächtig zum Kotzen‼️“

„Wo kommen wir hin, wenn wir auf jede Minderheit Rücksicht nehmen?”

„Wir steuern auf den Punkt zu, wo jeder Minderheiten-Rechte beansprucht, aber keiner mehr da ist, um sich darum zu kümmern.“

„Wir hätten viel größere Probleme. Aber mit denen lässt sich ja kein Gutmensch-Titel gewinnen.“

„Zu meinem sozialen Umgang gehören keine Menschen mit Einschränkungen. Also kommuniziere ich, wie mir das passt.“

„Mein Business richtet sich nicht an Menschen mit Behinderung.”

„Meine Dienstleistungen richten sich an Menschen, die Barrierefreiheit so sehen wie ich. Deshalb muss ich hier nicht nett sein und meine Website anpassen.“

„Barrierefreiheit ist mir zu woke. Wenn Sie das gut finden, sind Sie sicher auch eine dieser linken Extremistinnen.“

„Es sind unnötige Kosten und vollkommen wertlose Arbeiten, mit denen die Welt nicht besser wird.“

„Wir sollten uns nicht dadurch beschränken, dass wir auf Minderheiten Rücksicht nehmen. Davon gibt es zu viele.“

„Barrierefreiheit kostet mich zu viel Geld!”

„Barrierefreiheit kostet mich, bringt mir aber keinen € Umsatz mehr.“

„Da mischen sich Leute in Sachen, die sie nichts angehen. Barrierefreiheit ist übergriffig.“

„Ich verwende doch keine Einfache Sprache, nur weil Sie ein Kognitionsproblem haben.“

Was steckt hinter solchen Äußerungen?

Reichweite, Festkleben im letzten Jahrhundert, der Wunsch, gesehen zu werden? Egoismus, Rücksichtslosigkeit, Freude am Pöbeln, Angst vor Veränderung? Fehlende Empathie, Existenzängste, die Sau rauslassen, weil man nirgendwo etwas zu melden hat?

Sonstige Sorgen alter weißer Männer? („Alt“ mache ich hier übrigens nicht am Geburtsjahr fest, sondern an der Einstellung.)

Wie LinkedIn-User*innen auf Aussagen gegen Barrierefreiheit reagieren

Glücklicherweise gibt es Frauen und Männer, die Kontra geben:

„Ich habe Verständnis für Leute, die darum bitten, auf Emoji-Spielereien zu verzichten.“

„Wo ist das Problem dafür zu sorgen, dass möglichst viele Leute deinen Text lesen können?“

„Barrierefreiheit ist wichtig!”

„Es ist wichtig, dass wir auf Barrieren aufmerksam machen und sie abschaffen.“

„Wie wäre es, wenn wir alle gemeinsam an Lösungen arbeiten, statt uns gegenseitig anzukotzen?“

„In Deutschland braucht es Gesetze, weil es der Anstand nicht regelt.“

„Dann mach’s halt nicht, aber heul nicht rum.“

„Sie sprechen es anderen ab, am Leben teilzunehmen.“

„Im Grundgesetz steht: Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

„Ich bin gegen Ausgrenzung!”

„Ich lebe mit einer blinden Person zusammen und erlebe, wie sie jeden Tag auf LinkedIn an Grenzen stößt. Ich werde auch weiterhin dafür kämpfen, dass Menschen Social Media selbstbestimmt nutzen können.“

„Ein beispielhafter Text über bewusste Ignoranz. Motto: keine Hände, keine Kekse!“

„Du entscheidest dich also aktiv, bestimme Leute auszuschließen?“

„Es ist das Recht Ihrer Mitmenschen, Sie darauf hinzuweisen, dass Sie Ihre Posts mit wenig Aufwand und ein bisschen Mitdenken barriereärmer gestalten könnten.“

„Barrierefreiheits-Aktivist*innen sind wichtig.”

„Wie nennt man das jetzt? Accessibility-Rassismus?“

„Mich nerven Barrierefreiheits-Aktivisten nicht. Was mich nervt, sind Leute, die andere diskriminieren.“

„Sicher werden alle, die sich hier gegen Barrierefreiheit äußern, irgendwann auf Barrierefreiheit angewiesen sein.“

„Ein unterirdischer Take!“

„Barrierefreiheit ist wichtig. Wirklich seltsame Kommentare hier.“

„Barrierefreiheit muss gesetzlich geregelt sein!”

„Ein menschenverachtender Post!“

„Ich wünsche mir auf LinkedIn ein wertschätzendes Miteinander.“

„Diesen Herren fehlt es einfach an Empathie für behinderte Menschen.“

„An den Reaktionen sieht man mal wieder, wie wichtig Gesetze sind.“

„Alle anderen sind Ihnen wohl wurscht?“

„Wenn du statt einer Rampe eine Treppe baust, bist du … ein Arsch.“

„Likes auf Kosten anderer. Mehr ist das nicht.“

„Ich habe Sie jetzt als Kontakt entfernt.”

Barrierefreiheit ist ein Menschenrecht

Barrierefreiheit ist ein Menschenrecht – völlig egal, was Michael-Jörg, Martin und Konrad-Andreas davon halten. Und Barrierefreiheit ist für alle gut. Wir alle freuen uns über einen Aufzug am Bahnhof, wenn wir mit zwei Koffern auf den Bahnsteig müssen, und über gute Kontraste auf Websites – spätestens ab der ersten Lesebrille.

Eigentlich sollten auch ein paar der LinkedIn-Rowdys eine Ahnung von Barrierefreiheit haben, denn mindestens drei davon sind „Digital Experts“ und „Webdesigner“. Aber vielleicht ist ja genau das das Problem …

1Namen frei erfunden und stellvertretend für viele, Kommentare teilweise gekürzt und sprachliche Fehler verbessert.

Frau mit schulterlangen blonden Haaren und grauen Strähnen, blauen Augen, Brille und grauem Mantel

Andrea Halbritter

Andrea Halbritter ist Germanistin mit 2. Staatsexamen und vom Netzwerk Leichte Sprache e. V. zertifiziert. Sie erstellt Texte in Leichter und Einfacher Sprache für NS-Gedenkstätten, Museen, politische Parteien und Gesundheitsbehörden. In den Sprachrichtungen Französisch-Deutsch und Englisch-Deutsch übersetzt Andrea vor allem im Bereich Wein.

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