Dirk Riedels Biografie zu KZ-Kommandant Hans Loritz ist eine gelungene Studie aus der aktuellen Täterforschung. Der Augsburger Hans Loritz war Kommandant in den Konzentrationslagern Esterwegen, Sachsenhausen und Dachau. Im Einsatz war der ehemalige Bäcker und Ex-Polizist außerdem in Norwegen, wo er die Führung von Gefangenenlagern der SS übernahm – im Rahmen einer Strafversetzung.
Buch von Dirk Riedel zu Hans Loritz
Von Norwegen aus flüchtet Loritz 1945 ins Nachbarland Schweden, wo er als „Hans Berg“ untertaucht und sich als ehemaliges SPD-Mitglied ausgibt. Augsburger Opfer des NS-Regimes nutzt er für seine Tarnung. Nach seiner Abschiebung nach Deutschland quartiert er sich bei der Ehefrau eines Lübecker Mitgefangenen ein, um in der britischen Besatzungszone bleiben zu können. Loritz fliegt im Januar 1946 auf. Er kommt in den Schwerverbrecherblock des Internierungslagers Neumünster-Gadeland.
Wegen des Massenmordes an sowjetischen Kriegsgefangenen in einer Genickschuss-Anlage im KZ Sachsenhausen war wohl eine Überstellung von Loritz an die sowjetische Militäradministration geplant. Der Augsburger erhängt sich vorher – vermutlich auch, weil ihm die Vorstellung unerträglich schien, in einem vom Nationalsozialismus befreiten Deutschland zu leben.
Untergliederung der Studie zu Hans Loritz in fünf Teile
Die Studie zu Hans Loritz untergliedert sich in fünf Teile: Augsburg, Esterwegen, Dachau, Sachsenhausen und Norwegen. Diese umfassen jeweils drei bis sechs Kapitel. Geboren wurde Loritz 1895 als Sohn eines Polizisten, der zunächst ebenfalls eine Bäckerlehre absolviert hatte. Seine Herkunftsfamilie lebte in geregelten finanziellen Verhältnissen. 1907 schied sein Vater, Wilhelm Loritz, wegen chronischer Erkrankungen aus dem Polizeidienst aus.
Hans Loritz meldet sich nach Lehre und Wanderjahren, die ihn bis nach Wien und Budapest führen, freiwillig zum Militär. Er gehört der sogenannten Frontkämpfergeneration an. Seine Kriegsbegeisterung bleibt auch nach etlichen Verwundungen und einer Gasvergiftung bestehen. Während die Kampfmoral vieler deutscher Soldaten im 3. Kriegsjahr den Nullpunkt erreicht, tritt Hans Loritz 1917 der Fliegertruppe bei. Die Fliegerschulen Lagerlechfeld und Gersthofen bilden ihn zum Beobachter und Bordschützen aus. Der elitäre Nimbus, den Flugzeugbesatzungen zu jener Zeit genießen, gefällt ihm. Er entwickelt ein reges Interesse für technisch-mechanische Abläufe und Motoren.
Schließlich gerät Hans Loritz in französische Gefangenschaft. Aufgrund seiner guten Französischkenntnisse, von denen leider in der Studie nicht erwähnt wird, woher sie kamen, bleiben ihm körperliche Arbeiten erspart: Er dient dem Wachpersonal als Dolmetscher.
Hans Loritz im Augsburger Polizeidienst
Nach Ende des Krieges tritt Hans Loritz der Augsburger Stadtpolizei bei. 1922 heiratet er die städtische Beamtin Christine Frederike Gruber, die ihm ein Jahr später einen Sohn schenkt. 1925 wird der junge Vater in die Kraftradabteilung der Augsburger Polizei übernommen. Ab jenem Zeitpunkt kommt es vermehrt zu Regelverstößen und Disziplinarverfahren, so dass er zum Streifendienst abkommandiert wird. Eine Herabstufung, die er so nicht hinnehmen will und worauf er mit wiederholten Krankschreibungen reagiert. Seinen Polizeidienst muss Loritz schließlich quittieren. Ab August 1928 beschäftigen ihn die Augsburger Stadtwerke, ab Juni 1931 ist er unkündbar.
Die Karriere von Hans Loritz in der SS
Als Loritz am 1. September 1930 der NSDAP beitritt, ist er nicht arbeitslos, sondern empfindet seine neue Tätigkeit als Schmach. Er beantragt die Aufnahme in die SS, wo er sich schnell für seine Gewaltbereitschaft gegen politische Gegner*innen auszeichnet. Auch an judenfeindlichen Aktionen in seiner Heimatstadt beteiligt er sich. Den Grad eines SS-Obersturmbannführers erreicht er im Frühjahr 1933. Vergeblich erhofft er sich den Posten des Augsburger Polizeiführers. Der Enttäuschung darüber verleiht er großen Ausdruck, so dass eine Zwangsversetzung ins SS-Hilfswerk Dachau erfolgt. Auch dort häufen sich disziplinarische Vergehen, auf die Loritz mit Krankmeldungen reagiert.
Eine Wendung erfährt seine Karriere, als er den Dachauer KZ-Kommandanten Theodor Eicke kennenlernt. Wie Loritz hat Eicke im 1. Weltkrieg gedient. Auch er war im Polizeidienst tätig und versteht sich als Draufgänger. 1932 hat er sich eine Zuchthausstrafe wegen illegalem Bombenbau eingehandelt, welcher er durch die Vortäuschung eines schlechten Gesundheitszustands entging. Streitereien mit seinem Gauleiter Josef Bürckel führten schließlich zur Einweisung in eine psychiatrische Klinik.
Loritz und Eicke verstehen sich hervorragend. Und so ebnet Eicke dem Augsburger den Weg in die oberste KZ-Hierarchie. Geschickt schafft es Loritz von nun an, sich mit den richtigen Personen zu verbinden und sich Loyalitäten zu sichern.
Meine Meinung zum Buch
Eine Studie, die alle begeistern wird, die sich für NS-Täterforschung oder die Augsburger SS interessieren.
Dirk Riedel erläutert nachvollziehbar, wie Loritz es geschafft hat, sich die Unterstützung von Eicke und Himmler zu sichern und Kommandant von drei KZ-Lagern zu werden. Auch Loritz‘ Handlungsspielraum und die Gründe für seine Strafversetzung nach Norwegen werden klar: Letztere erspart ihm ein Verfahren wegen Unterschlagung und Korruption. Im Zuge der Wichtigkeit von KZ-Häftlingen für die deutsche Rüstungsindustrie entsprach Loritz aber auch nicht mehr den neuen Anforderungen an KZ-Kommandanten.
Immer wieder kommen auch Häftlinge zu Wort, die unter Loritz gelitten haben.
Was in der Biografie fehlt? Überlegungen zum Thema Gewalt und Männlichkeit.
Riedel, Dirk: Ordnungshüter und Massenmörder im Dienst der „Volksgemeinschaft“: Der KZ-Kommandant Hans Loritz. Berlin 22020, ISBN 978-3-86311-520-7, 424 Seiten
Tipp: Wer seinen Wohnsitz in Bayern hat, kann das Buch für 4 € (statt 24 €) bestellen.