Kaputte Aufzüge und der Therapiekinderwagen: ein Drama in mehreren Akten (Gastbeitrag)

Tafel mit der Aufschrift "Teamwork" und in verschiedenen Farben aufgemalten Personen

Es gibt diese Tage, an denen das Leben sich anmaßt, wie eine besonders schlechte Komödie zu wirken. Unser Hauptdarsteller: ein Therapiekinderwagen, robust, breit und schwer, bereit, mein behindertes Kind sicher durch die Welt zu kutschieren. Die Bühne: der deutsche Bahnverkehr – oder sagen wir besser, eine nicht enden wollende Aneinanderreihung von Treppen, kaputten Aufzügen und schulterzuckenden Mitmenschen. Der Vorhang hebt sich, und das Drama beginnt.

Mit dem Therapiekinderwagen in der Bahn

Akt 1: Der Ortenbergsteg – oder: Das Schild, das alles verändert

„Aufzug defekt“. Zwei Wörter auf einem winzigen Schild, das am Fuß des Ortenbergstegs prangt. Dieser Steg – für Uneingeweihte: eine Brücke, die uns über den Bahnhofsverkehr hinweg zu den Gleisen führen soll – ist mein persönliches Tor zum heutigen Alptraum. Mit einem funktionsfähigen Aufzug wäre die Welt hier noch in Ordnung. Aber nicht heute. Heute gibt es nur diesen Hinweis, der meinen Therapiekinderwagen und mich zu einem Umweg zwingt, der mindestens 15 Minuten dauert. Ich laufe, schiebe, keuche und schwitze. Und schaffe es gerade noch rechtzeitig zum Bahnsteig.

Doch dann: Anzeigenwechsel. „Verspätung“. Ein paar Minuten, dann ein paar mehr. Bis irgendwann klar ist: Der Zug fällt aus. Die Bahn hat Humor.

Akt 2: Der Plan B und die Frage der Barrierefreiheit

Neuer Plan, neuer Zug. Doch jetzt beginnt der eigentliche Spaß: Ist der Umstiegsbahnhof barrierefrei? Für die ursprüngliche Verbindung hatten wir das natürlich sorgfältig geprüft. Das erfordert nämlich nicht nur einen Blick auf die Bahnseite, sondern oft auch eine Telefonlawine, um sicherzugehen, dass wirklich alle Aufzüge funktionieren. Heute habe ich dafür keine Zeit. Also rein in den neuen Zug, der übrigens rappelvoll ist.

Menschen weichen – einige freundlich, andere mit Gesichtsausdruck „Warum muss der jetzt hier sein?“ Ein Lokführer mit Begeisterung für ruppiges Anfahren sorgt dafür, dass die Passagiere wie Dominosteine gegen meinen Kinderwagen fallen. Eine Frau landet unglücklich auf der Handbremse. Schmerzerfüllt blickt sie mich an. Als ob ich sie da hineingerammt hätte.

Therapiekinderwagen vor geschlossenem Aufzug

Akt 3: Der Umsteigebahnhof – oder: Treppen sind die neuen Aufzüge

Am Umstiegsbahnhof wartet das nächste Highlight. Der Abstand zwischen Zug und Bahnsteigkante ist so groß, dass ich mich frage, ob die Bahn heimlich die olympische Disziplin „Weitsprung“ fördern möchte. Zum Glück hilft ein freundlicher Senior, während hinter uns die Menge drängelt. Orientierung am Bahnsteig: Wo ist der Aufzug? Eine Runde Suchen später ist klar: Aufzug? Gibt es hier nicht. Also wieder: Menschen suchen, die anpacken. Gemeinsam wuchten wir den Wagen die Treppe runter.

Neuer Zug, weiter geht’s. Und da ist er, der nächste Bahnsteig. Mit einem Aufzug. Der – natürlich – kaputt ist. Langsam frage ich mich, ob die Aufzüge der Bahn und ich einen feindseligen Pakt geschlossen haben.

Akt 4: Ankunft und die Aussicht auf die Rückfahrt

Mit einer halben Stunde Verspätung kommen wir im Krankenhaus an. Völlig entnervt, verschwitzt, mein Sohn im Therapiewagen, während ich mit einem Rucksack voller Pflegebedarfssachen ankomme, der mir schon auf halb acht bis neun hängt. Die anstehende Untersuchung wird für meinen Sohn anstrengend. Und für mich? Ich denke schon voller Vorfreude an die Rückfahrt.

Nachspiel: Inklusion auf Sparflamme

Wenn ich an Inklusion denke, dann stelle ich mir etwas anderes vor. Barrierefreiheit ist keine Sonderleistung, sondern Voraussetzung für ein funktionierendes, faires Miteinander. Und doch fühlt es sich oft an, als sei sie lediglich ein „Nice-to-have“. Ohne die Hilfe von Fremden wäre ich an diesem Tag gescheitert – trotz akribischer Vorbereitung. Mein Kind, das auf den Therapiewagen angewiesen ist, würde an kaputten Aufzügen und Gedächtnislosigkeit der Verantwortlichen scheitern.

Die Bahn ist nur ein Beispiel. Es steht stellvertretend für viele kleine und große Barrieren, die Menschen mit Behinderung und ihre Familien im Alltag erleben. Die Pointe? Die muss man sich bei diesem Drama leider selbst denken.

Möchtest du mehr über unser Leben als “behinderte Familie”, meinen Burn-out und Wege zu einem guten Leben trotz Widrigkeiten erfahren? Besuche mich auf www.heiko-metz.de und/oder auf Insta (@heikometz) und lass dich inspirieren!

Heiko Metz im Zug

Zum Autor

Heiko Metz ist Autor, Dozent und Theologe. Er ist auch Papa, Ehemann und Teil einer “behinderten Familie”. Auf seinem Blog geht es um Inklusion in der Kirche, das Leben mit einem behinderten Kind, Spiritualität und Bücher für mehr Ruhe und Sinn.

Fotos: © Heiko Metz