KZ-Außenlager Augsburg-Pfersee beziehungsweise Halle 116
Das KZ-Außenlager Augsburg-Pfersee wurde von den Nationalsozialisten meist als SS-Arbeitslager Pfersee bezeichnet.
In den noch vorhandenen Akten wird es zum ersten Mal am 23. Mai 1944 erwähnt. Manche Quellen gehen jedoch davon aus, dass es seit Ende April 1944 in einer Kraftwagenhalle der 1936 erbauten Luftnachrichtendienstkaserne Augsburg errichtet wurde. Ersetzen sollte Augsburg-Pfersee das durch Bombenangriffe zerstörte KZ-Außenlager Haunstetten sowie das wenig später zerbombte Lager Gablingen. Nach dem Krieg wurde die Halle durch die amerikanischen Streitkräfte genutzt und erhielt den Namen Halle 116.
KZ-Außenlager Augsburg-Pfersee: die Gefangenen
Die Halle 116 weist acht große Schiebetore auf. Bis zur Errichtung des Lagers diente sie als Garage für Flugabwehrgeschütze. Für die Unterbringung der KZ-Häftlinge wurden drei- bis viergeschossige Stockbetten aufgebaut und der hintere Teil ferner abgetrennt, so dass dort die sogenannten Prominenten, also Vorarbeiter, Stubendienst und Kapo, wohnen konnten.
Die Belegstärke des KZ-Außenlagers Augsburg-Pfersee schwankte zwischen 1500 und 2000 männlichen Häftlingen. Mit dem zunehmenden Vorrücken der Frontlinie wurden immer mehr Gefangene aus Lagern in Südwestdeutschland evakuiert und unter anderem in Augsburg aufgenommen. Gegen Ende des Krieges soll die Halle 116 mit 1623 Männern belegt gewesen sein.
Die überwiegende Mehrheit der KZ-Häftlinge bestand aus politischen Gefangenen. Es waren jedoch auch Sinti und Roma, Juden, Zeugen Jehovas, Homosexuelle und sog. “Arbeitsscheue” im KZ-Außenlager Augsburg-Pfersee inhaftiert. Die meisten Häftlinge stammten nicht aus dem Deutschen Reich, sondern aus Polen und der Sowjetunion. Andere Gefangene kamen zum Beispiel aus Frankreich, Jugoslawien oder Italien.
Mindestens 81 Männer starben im Lager Augsburg-Pfersee. Andere wurden vorher in das Stammlager Dachau zurücktransportiert. Die meisten erlagen einer im Februar und März 1945 grassierenden Fleckfieber- beziehungsweise Thyphusepidemie. Hinzu kamen Ermordungen durch die SS-Wachmannschaft. So kam es im Lager Pfersee zu Hinrichtungen durch Erhängen aufgrund von angeblicher Sabotage, Diebstählen, mangelndem Gehorsam oder Fluchtversuchen. Weitere KZ-Häftlinge starben an den Folgen von Misshandlungen.
Schicksale einzelner Gefangener
Der 1916 oder 1917 geborene Edmond Falkuss wanderte 1935 nach der Saarabstimmung mit seinen Eltern vom Saarland nach Frankreich aus. Nach der Kapitulation Frankreichs kam er in Kriegsgefangenschaft und wurde 1940 wegen Landesverrats von der Gestapo verhaftet. 1942 wurde er ins Konzentrationslager Dachau gebracht. In den KZ-Außenlagern Haunstetten, Gablingen und Augsburg-Pfersee war er ab 1943 inhaftiert. Er musste dort als Lagerschreiber arbeiten und im Sekretariat das Lagerbuch führen. Nach seiner Befreiung durch die amerikanische Armee kehrte er nach Frankreich zurück und arbeitete bei Radio Luxemburg in Paris und Saarbrücken.
Arkadi Petrowitsch Polian aus Odessa wiederum kam 1941 als Soldat in der Ukraine in deutsche Kriegsgefangenschaft. Interniert wurde er zunächst im Stalag Kempten, von dem aus er wenig später mit einem Kameraden floh. Nach drei Tagen in Freiheit wurde er festgenommen. Da man ihn für einen Spion hielt, wurde er anschließend von Gestapo und Geheimdienst verhört und misshandelt. Danach brachte man ihn ins Stammlager Dachau und als Facharbeiter ins KZ Sachsenhausen. Bis 1944 leistete er bei den Heinkelwerken in Berlin-Oranienburg Zwangsarbeit. Nach deren Bombardierung wurde er nach Augsburg-Pfersee verlegt. Dort musste er auch an Entkräftung verstorbene Mithäftlinge mit einem Handkarren auf den Augsburger Westfriedhof bringen. Wegen der Überlastung des Krematoriums in Dachau wurden Leichen aus dem Raum Augsburg nämlich zunehmend in der schwäbischen Metropole selbst verbrannt. Befreit wurde Arkadi Petrowitsch Polian 1945 durch amerikanische Soldaten.
Arbeit in den Messerschmitt-Betrieben
Wie in den Lagern Haunstetten und Gablingen waren die Gefangenen des Lagers Pfersee in zwölfstündigen Schichten bei den Messerschmitt-Betrieben eingesetzt. Hinzu kam ein langer Weg zur Arbeitsstätte nach Haunstetten, der nur teilweise mit der Bahn zurückgelegt werden konnte. So mussten die Häftlinge zu Fuß bis zur Lokalbahn in der heutigen Hans-Adlhoch-Straße laufen, die sie dann nach Haunstetten in die Messerschmittwerke brachte.
Die Werkhallen der Firma Messerschmitt waren zu jener Zeit zu einem Großteil so schwer beschädigt, dass die KZ-Häftlinge in Kälte und Wind arbeiteten.
Andere waren im Waldwerk Horgau eingesetzt oder mussten in Augsburg Blindgänger entschärfen und Bombenschäden beseitigen. Auch an das Reichsbahnbetriebswerk wurden Häftlinge “vermietet”.
Gearbeitet wurde von Montag bis Samstagmittag, am Sonntag durften sich die Gefangenen auf dem mit Stacheldraht eingezäunten Hof sowie in der Halle frei bewegen.
Bisweilen wurden in einzelnen Blocks Filme vorgeführt.
Wachpersonal und Befreiung
Das Wachpersonal bestand aus SS-Leuten, aber auch aus für die Front nicht mehr tauglichen Wehrmachtssoldaten, die in die SS übernommen worden waren. Häftlinge berichten von Konflikten und Meinungsverschiedenheiten, da Soldaten aus Heer und Luftwaffe mit den Methoden der SS nicht einverstanden waren.
Geräumt wurde das KZ-Außenlager Pfersee um den 25. April 1945. Eine kleine Zahl von kranken, marschunfähigen Häftlingen wurde ins KZ Dachau transportiert.
1600 lauffähige Männer wurden zu Fuß und unter SS-Bewachung Richtung Süden auf einen Todesmarsch getrieben. Welche Strecke sie dabei genau nahmen und ob sie dabei zum Beispiel entlang der Wertach unterwegs waren, ist nicht geklärt. Marschiert wurde bei Tag, übernachtet wurde in Scheunen oder aber im Freien. Mindestens ein Mann starb unterwegs an Entkräftung, andere verloren ihr Leben nach der Befreiung. Diese erfolgte in Klimmach bei Schwabmünchen durch amerikanische Truppen. Die SS-Führer hatten die Gruppe zu dem Zeitpunkt bereits verlassen, nur die unteren Mannschaftsgrade waren bei den Gefangenen geblieben. Die Gräber von während oder nach dem Todesmarsch verstorbenen Häftlinge liegen in Bergheim, Schwabstadel, Klimmach und Schwabmünchen.
Die in Klimmach befreiten Häftlinge wurden von den Amerikanern für zwei oder drei Tage auf umliegende Bauernhöfe verteilt. Die Landwirte erhielten Order, die Gefangenen zu verpflegen. Danach wurden alle nach Schwabmünchen gebracht, wo ihnen unterschiedliche Unterkünfte (zum Beispiel in Gasthäusern) zugewiesen wurden, in denen sie teils mehrere Monate blieben.
1947 fand vor einem amerikanischen Militärgericht in Dachau ein Prozess gegen SS-Angehörige statt, die in Pfersee eingesetzt waren. Aufgrund der Misshandlung von Häftlingen wurden sie zu Strafen zwischen 5 und 15 Jahren verurteilt, andere wurden freigesprochen. Auch ein Messerschmitt-Mitarbeiter, der Gefangene geschlagen hatte, wurde mit 5 Jahren Haft bestraft.
Die Halle 116 nach dem Krieg
Nach Kriegsende wurde die Luftnachrichtenkaserne zunächst zur Unterbringung von 2400 DPs (Displaced Persons) genutzt. Dann zogen die US-Streitkräfte ein. Gemeinsam mit der benachbarten Infanterie- und Heeresnachrichtenkaserne fassten sie das Gebäude zur Sheridan-Kaserne zusammen. Das Bauwerk, in dem die KZ-Häftlinge untergebracht waren, erhielt von den US-Streitkräften die Nummer 116, so dass es heutzutage vor allem als Halle 116 bekannt ist. Bis 1998 nutzte die amerikanische Armee die Halle als Bibliothek, Garage und Werkstatt.
Dem politischen Willen, das letzte noch erhaltene Augsburger Gebäude, das an das Leid der KZ-Häftlinge erinnert, zu erhalten, stehen hauptsächlich ökonomische Interessen entgegen. Die schwierige finanzielle Lage der Stadt Augsburg darf meiner Ansicht nach jedoch kein Grund dafür sein, aus der Halle 116 keinen Erinnerungsort zu machen.
Derzeit ist die Halle 116 im Besitz der AGS (Augsburger Gesellschaft für Stadtentwicklung und Immobilienbetreuung GmbH), einem Tochterunternehmen der Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Augsburg GmbH. Verschiedene Vereine, Initiative und Bürger*innen setzen sich seit bald 20 Jahren für die Nutzung der 4000 m² großen Halle als Erinnerungsort ein.
Im Gespräch sind eine Gedenkstätte mit Cafébetrieb, eine auf Nationalsozialismus und Widerstand spezialisierte Bibliothek, ein Dokumentationszentrum, ein Museum mit Ausstellungen zur NS-Diktatur, zum Widerstand in Augsburg und zum KZ-System … Für mich persönlich wäre zusätzlich auch eine Begegnungsstätte mit Jugendherbergsbetrieb und Fortbildungen wie in Ravensbrück denkbar.
Bleibt zu hoffen, dass die Initiative Denkort Halle 116 von Stadt Augsburg und Freistaat Bayern endlich angemessen unterstützt wird und man die Mittel für Erinnerungskultur in den nächsten Jahren nicht ausschließlich in die “Kultstätten” der Nationalsozialisten (Reichsparteitagsgelände Nürnberg, Obersalzberg …) pumpt. Ein würdiges Andenken verdienen meiner Meinung nach vor allem auch jene Orte, an denen die Opfer des Dritten Reiches gelitten haben: die Augsburger Halle 116 und das KZ-Außenlager Kaufering VII und sein geplantes Dokuzentrum über den KZ-Außenlagerkomplex Kaufering.
Aktualisierung vom 14.11.2023:
Seit dem 28. Oktober 2023 befindet sich in 3 Schotten der Halle 116 eine Ausstellung zum Nationalsozialismus in Augsburg. Schotte 1 beschäftigt sich mit Kriegsvorbereitungen und Ausgrenzung, Schotte 2 mit KZ- und Zwangsarbeit, in Schotte 3 geht es um Nachkriegszeit und US-amerikanische Präsenz. Die Ausstellung ist am Wochenende von 11 bis 16 Uhr sowie mittwochs von 10 bis 15 Uhr geöffnet, außerdem für Gruppen ab 10 Personen nach Vereinbarung. Die Ausstellungstexte sind in Standarddeutsch und Leichte Sprache Plus (stark vereinfachte Einfache Sprache) vorhanden. Zusätzlich gibt es Broschüren in Leichter Sprache und Englisch. Die leicht verständlichen Texte wurden von mir, Andrea Halbritter, erstellt.
Fotos: © Andrea Halbritter
Quellen:
Benz, Wolfgang/Distel, Barbara: Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 2 Frühe Lager – Dachau – Emslandlager. München 2005
Kucera, Wolfgang: Fremdarbeiter und KZ-Häftlinge in der Augsburger Rüstungsindustrie. Augsburg 1996
Römer, Gernot: Für die Vergessenen. KZ-Außenlager in Schwaben – Schwaben in Konzentrationslagern. Augsburg 1984
Vom Zwangsarbeiterlager zum Denkort Halle 116
Haus der Bayerischen Geschichte: KZ Dachau – Edmund Falkuss
Haus der Bayerischen Geschichte: Außenlager in Augsburg (Messerschmitt)