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Dolmetscher: Machen Sie das eigentlich auch ehrenamtlich?

Vögel Loiremündung

Dolmetscher und Übersetzer werden gerne ehrenamtlich engagiert

Dass Künstlern regelmäßig kostenlose Engagements angeboten werden, die ihnen angeblich zu einem gewissen Bekanntheitsgrad verhelfen, ist keine Seltenheit. Übersetzern und Dolmetschern geht es da nicht wirklich anders. Auch sie versucht man gerne ehrenamtlich zu engagieren. Egal, ob sie in Nantes, London oder München wohnen.

Verwerflich finde ich das nicht immer. Seit mehreren Jahren z. B. widme ich maximal drei Stunden pro Monat einer NGO, die sich für Kinderrechte einsetzt. Ehrenamtliches Engagement ist für eine Gesellschaft wichtig und ich bringe mich lieber mit Tätigkeiten ein, die mir Spaß machen (und das ist für mich nun einmal das Formulieren von Texten), als z. B. irgendwelche Gemäuer von Gestrüpp zu befreien oder Elektroabfälle aus dem Unterholz zu holen.

Seine Grenzen hat das Ganze für mich genau dann, wenn ein zu großes zeitliches Engagement erwartet wird (irgendwann muss ich auch mal meine Brötchen verdienen), der zwischenmenschliche Kontakt nicht passt oder Firmen versuchen, meine Zeit zu Geld zu machen.

Muttersprachler als Dolmetscher gesucht

Facebook und Twitter nutze ich gern zur Kundengewinnung. Mein Netzwerk ist auf beiden Kanälen entsprechend groß.  So werde ich von Freunden und Followern immer wieder getaggt, wenn irgendjemand einen Übersetzer, einen Webredakteur oder einen Community Manager benötigt oder Deutsch lernen will.

Vor zwei Tagen erhielt ich von einer französischen Facebook-Freundin in Saint Nazaire eine Nachricht, die für mich zunächst überaus interessant klang: “Guten Abend, Andrea! Ich habe eine E-Mail von der [Name der NGO] bekommen. Die suchen deutsche Muttersprachler für eine vogelkundliche Schifffahrt zwischen Angers und Nantes.”

In der Vergangenheit habe ich bereits mehrere vogelkundliche Schifffahrten in der Nähe von Angers organisiert und gedolmetscht und melde mich nach einem freundlichen Dankeschön unter der ebenfalls angegebenen E-Mail-Adresse.

“Eine Schiffahrt, die ist lustig …”

Keine zehn Minuten später läutet mein Telefon. Die Dame am anderen Ende erklärt mir, dass sie 2019 an zwei Nachmittagen “auf einem größeren Kreuzfahrtschiff” einen Dolmetscher benötige. Gedolmetscht werden müsse höchstens zwei Stunden, den Rest der Zeit sei aber zur Beantwortung eventueller Fragen Präsenz angesagt, bevor man im nächsten Hafen wieder von Bord gehe.

Nach dieser ersten Information bringe ich die Finanzen ins Spiel: “Wie hoch ist Ihr Budget für den Dolmetscher in Nantes?”

Kurze Pause am anderen Ende der Leitung. “Für den Dolmetscher haben wir kein Budget. Die Zugfahrt am Ende des Tages nach Nantes wird jedoch erstattet und die Verpflegung an Bord, das heißt Mittagessen und Getränke, sind auch dabei.”

In meinem Kopf beginnt es zu rattern. Pro Tour beträgt der Zeitaufwand etwa neun Stunden. Hinzu kämen Benzinkosten und Vorbereitungszeit.

Für einen Dolmetscher ist der Ausflug außerdem keine Vergnügungs- oder Kaffeefahrt, sondern harte, anstrengende Arbeit. Während er nicht im Büro ist, kann er ferner keine E-Mails beantworten und anderen Kunden nicht zur Verfügung stehen.

“Und eine Übersetzung brauchen wir auch!”

Während ich noch überlege, führt meine Gesprächspartnerin in Nantes weiter aus:

“Und da wäre dann noch eine Übersetzung. Die brauchen wir auch!”

Naiv denke ich: “Vielleicht bringt mir ein Tag auf dem Boot ja einen größeren, gut bezahlten Übersetzungsauftrag ein …”

Doch auch jetzt werde ich relativ schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt:

“Für die Übersetzung haben wir auch kein Budget. Es handelt sich um etwa 2140 Wörter.”

“Dafür bieten wir Ihnen ein Mittagessen …”

Ich schlucke und werde langsam sauer. Um in diesem Bereich 2140 Wörter zu übersetzen, benötige ich inklusive Korrekturlesen mindestens acht weitere Stunden. Nachdem ich dem anderen Ende der Leitung den Zeitaufwand für die Übersetzung mitgeteilt habe, tönt es: “Deswegen suchen wir ja einen Ehrenamtlichen. Das stand im Übrigen auch so in unserer Anzeige.”

Mea culpa, die hatte ich nicht gesehen! Aber dass es so in der Anzeige steht, macht das ‘Angebot’ nun auch nicht besser …

“Damit wäre ich dann insgesamt über 30 Stunden für Sie beschäftigt. Eine ziemliche Investition an Zeit! Was bieten Sie mir im Gegenzug?”

Unverständnis auf der anderen Seite, Frau bewegt sich keinen Zentimeter.

“Also ich hatte mir da jetzt schon etwas Anderes erwartet. Wenn Sie kein Budget für das Übersetzen und das Dolmetschen haben, nehme ich auch einen Gutschein … Ihr Verein organisiert ja sehr viele Ausflüge für Familien …”

Leider stoße ich auch damit auf taube Ohren.

Und die Schifffahrtsgesellschaft?

“Es darf auch ein Gutschein von der Reederei sein …  Schließlich macht man da ja mit meiner Zeit Geld!”

“Dass die Reederei Ihnen da etwas anbietet, würde mich sehr wundern. Wir bekommen für unsere Führungen immer dieselbe Summe. Egal, ob es sich um französische oder um deutsche Gruppen handelt. Wie ich Ihnen schon sagte: Sie dürfen an dem Tag als Dolmetscher zwischen Nantes und Angers umsonst mitfahren.”

Bei so viel Unverfrorenheit werde ich neugierig. Vielleicht ist die Dame ja auch aus lauter Enthusiasmus und komplett ehrenamtlich auf dem Schiff dabei und erwartet von mir nur, was sie selbst auch zu geben bereit ist:

“Wie sieht das eigentlich bei Ihnen aus? Machen Sie die Führung auch unentgeltlich?”

“Ich werde bezahlt.”

Mit einem Grinsen, von dem ich hoffe, dass es am anderen Ende der Leitung angekommen ist, meine ich:

“Dann mache ich Ihnen einen Vorschlag: Wir machen einfach halbe-halbe und teilen uns Ihr Gehalt.”

 

Zur französischen Fassung dieses Artikels/vers la version
française de cet article

Fotos: © Andrea Halbritter, Côté Langues

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