Übersetzer unterwegs: Brétignolles-sur-Mer und sein Yachthafen
Bretonen sind ein widerspenstiges Völkchen, die Bewohner der Vendée jedoch auch. Ein Lied davon singen kann derzeit der Bürgermeister von Brétignolles-sur-Mer, Christophe Chabot, der es sich die letzten Wochen gewaltig mit seinen Wählern verscherzt hat.
Jedenfalls haben die Yachthafenpläne des Multiunternehmers aus der Baubranche und Oberhaupts der etwa 4 5000 Einwohner großen Gemeinde bei der lokalen Bevölkerung für Zorn und Unverständnis gesorgt, so dass sich der kleine Ort in der Vendée seit 6. Oktober einer ZAD (zone à défendre) rühmen darf.
Den Präfekten der Gegend erfüllt dies sicher nicht gerade mit besonderer Freude, war man doch eben erst nach einer jahrelangen Landbesetzung die Flughafengegner in Notre-Dame-des-Landes losgeworden.
Aber mal schön der Reihe nach:
Die Idee eines Yachthafens für “reiche Knöpfe” hatte Chabotté, der gestiefelte Kater, wie der Bürgermeister von seinen Gegnern bevorzugt genannt wird, nicht etwa selbst. Geliebäugelt hat damit vielmehr schon sein Amtsvorgänger, welcher die entsprechenden Pläne jedoch nach einer Machbarkeitsstudie vom Mai 1990, die von einem derartigen Vorhaben dringend abriet, fallen ließ.
Nicht so Christoph I. von Brétignolles, für den der Yachthafenbau die Krone seiner Karriere sein und ihm dazu verhelfen soll, als genialer Baumeister auf ewige Zeiten in die Annalen des Orts einzugehen. So jedenfalls der Eindruck weiter Teile seiner ihm kritisch gesinnten Untertanen, die nun mit einer ZAD den Aufstand üben und nicht verstehen, dass sich ihr Bürgermeister auch über das “Veto” einer vom Verwaltungsgericht Nantes eingesetzten Untersuchungskommission (Dezember 2011) unter der Leitung von Bernard Pipet hinwegsetzt, wobei es laut Bernard Pipet auch zu Einschüchterungsversuchen gekommen sein soll (siehe Erklärung von Bernard Pipet auf TV Vendée).
Während ich durch den Ort fahre, deutet zunächst nichts auf die seit kurzem bestehende ZAD hin. Da ich zum ersten Mal in der Gegend bin, habe ich sogar Mühe, den richtigen Strand zu finden, und fahre die Corniche entlang, bis ich schließlich zu meiner Linken auf eine improvisierte Brettersiedlung stoße.
Bei meinem zweiten Besuch rund 14 Tage später winkt mir dort bereits ein Demonstrant entgegen, den meine Tochter aufgrund der Botschaften auf seinem VW-Bus “Jesus” nennt, welche ganz klar zeigen, dass er sich zu den Jüngern des Gekreuzigten zählt. Großer Jubel, als er mein deutsches Kennzeichen erblickt: Endlich ist auch aus dem Ausland Unterstützung da!
Wir stellen unser Auto auf dem unbefestigten Parkplatz unweit der ZAD ab. Das rebellische Landbesetzervölkchen hat zu einem gemeinsamen Picknick eingeladen.
Wir haben Kartoffelsalat, Käse, Baguette und Joghurt dabei. Auch Würstchen, aber für den Grill regnet es am zweiten Wochenende zu stark. Während wir unseren Salat löffeln, schmiert sich die Familie neben uns Rillette aufs Brot. Ein Stückchen weiter lassen sich andere Besucher ihr Taboulé munden. Wenig später gibt es für die Kids Zuckerwatte.
Schließlich kommen wir mit den Landbesetzern ins Gespräch. Zu erkennen sind sie an ihren bemalten Gesichtern, die fast schon an Indianer oder australische Ureinwohner erinnern. Manche überraschen ferner durch eigenwillige Haarkreationen, in denen Sicherheitsbänder eingearbeitet sind, die seitlich abstehen.
Insgesamt befinden sich auf dem Gelände etwa 40 Landbesetzer im Alter von 18 bis 60 Jahren: Studenten, Rentner, Praktikanten, Hausfrauen … Einige davon sind auch beruflich im Umweltschutz tätig, andere sind früher zur See gefahren und betonen die Unsinnigkeit des Projekts aus der Sicht von Bootsführern. Die geplante Hafeneinfahrt sei viel zu gefährlich. Allen gemein ist die Liebe zur Natur und zu ihrem Stückchen Erde.
- die Zerstörung einer weitgehend naturbelassenen Bucht mit ihrer Flora und Fauna;
- die hohen Kosten des Projekts;
- das Abholzen von Bäumen und insbesondere Steineichen;
- die Vernichtung eines bei der örtlichen Bevölkerung beliebten Ausflugsziels inklusive Schwimmbeckens;
- die Aufgabe eines Grundwasserspeichers;
- die Sprengung einer erheblichen Menge an Primärgestein
…
Das Gelände ist sehr sauber und mit drei Trockentoiletten ausgestattet. Müll wird getrennt, Speisereste wandern auf den Kompost. Ein Teil der Landbesetzer schläft noch in Zelten, ein anderer hat sich bereits eine Hütte gezimmert, die auch beheizt werden kann.
“Man ist froh, dass wir da sind.”
Ein etwa 25-jähriger junger Mann mit braunen Haaren und Bart erzählt mir, dass die Unterstützung der Bevölkerung sehr groß sei: “Es vergeht kein Abend, an dem nicht mehrere Anwohner – die meisten Rentner – mit Essen, Getränken und Decken vorbeikommen. Man ist froh, dass wir da sind.”
Indessen soll die Eigentümerin des Geländes, die den Landbesetzern die Erstellung der ZAD ausdrücklich erlaubt hat, demnächst enteignet werden.
Auch wenn am 31.10. eine juristische Schlappe hingenommen werden musste, konnten die Naturschützer bereits einige Erfolge verbuchen. So hat der Präfekt seinen gestiefelten Kameraden mittlerweile aufgefordert, die Bauarbeiten ruhen zu lassen. Die Düne durch Sitzstreiks vor den anrückenden Baufahrzeugen zu retten ist jedoch ab 04.11. angeblich wieder notwendig.
Dennoch keimt inzwischen vereinzelt die Hoffnung auf, dass Chabotté und sein Handlanger Boudelier wie eine heiße Kartoffel fallengelassen werden und der Strand de la Normandelière doch noch vor dem Bauwahnsinn eines Bürgermeisters gerettet werden kann, der sich mit seinen ehrgeizigen Plänen für einen ägyptischen Pharao zu halten scheint und sich nicht davor scheut, die Mitglieder der von Bernard Pipet geleiteten Untersuchungskommission sowie die damaligen Präfekten öffentlich zu verunglimpfen, weil sie sich seinem Willen nicht gebeugt haben (s. Erklärung von Bernard Pipet auf TV Vendée).
Der gestiefelte Kater und seine abgeholzte Kraterlandschaft
Die Schäden im Umfeld der ZAD sind dagegen schon jetzt beträchtlich, selbst alte Bäume wurden abgeholzt, obwohl die öffentliche Ausschreibung für den Yachthafenbau noch gar nicht vonstatten gegangen ist.
Wo früher das Schwimmbecken war, klafft einem eine trostlose Kraterlandschaft entgegen. Auf einem Erdhügel aus Holzlatten zusammengezimmert in orangen Lettern “NON AU PORT” (NEIN ZUM HAFEN).
Meine 10-jährige Tochter ergreift einen am Boden liegenden Ast, schreibt PORT (HAFEN) in den Sand und streicht das Ganze dann durch. Die nächste Rebellengeneration befindet sich schon in den Startlöchern!
Allheilmittel Yachthafen Brétignolles-sur-Mer
Yachthafen gibt es in der Gegend bereits mehrere. Man fragt sich also, warum es auch hier noch einen braucht, zumal die entsprechenden Boote laut Franck Louvrier, Vize-Präsident der Region Pays de la Loire und Beauftragter für den Tourismus in der Gegend, statistisch gesehen nur etwa zwei Tage pro Jahr den Weg Richtung Meer “finden”.
Ein Schild der Gemeinde Brétignolles “klärt auf”:
Es gibt kaum etwas, wofür der zukünftige Hafen nicht sorgen soll: Arbeitsplätze, Freizeitmöglichkeiten, wirtschaftlichen Aufschwung, mehr Touristen, mehr Freizeitschiffer. Versprochen werden paradiesische Verhältnisse, die es eigentlich jetzt schon gibt: nämlich in Form von unberührter Natur, deren Freizeitwert außerdem ungleich höher und vor allem demokratischer ist als der eines Yachthafens für die High Society, die wahrscheinlich sowieso lieber wo anders ihren Anker auswirft.
Wie attraktiv ist Beton für deutsche Touristen?
Die Gegend setzt v. a. auf deutsche Touristen. Ob die wirklich auf eine betonierte Küste stehen?
Peter Eichler, Pedesign, aus Erlangen: “Wir lieben die Vendée! Unsere Eltern sind bereits seit 25 Jahren regelmäßig in der Vendée unterwegs und auch wir bereisen mit unserem Wohnmobil immer wieder die französische Atlantikküste. Wegen der schönen Landschaft sind wir sehr gerne in der Vendée. Besonders genießen wir dort die langen Spaziergänge an den wunderbaren Stränden. Wir befürchten, dass Brétignolles mit dem Bau eines Yachthafens seinen besonderen Charme verliert.”
Was mir persönlich noch mehr Sorgen macht: Klima-, Natur- und Küstenschutz sind in aller Munde. Da verwundert es, dass ein solches Projekt, das in den sensiblen Küstenbereich massiv eingreift, genehmigungsfähig sein soll. Erst diese Woche wurde eine neue Studie veröffentlicht, die zeigt, welche Küstenbereiche um 2050 mit Überflutungen zu kämpfen haben.
Sicher, Asien ist schlimmer betroffen als Europa und viele Orte in der Vendée schlimmer als Brétignolles. Dennoch erscheint es mir völlig fahrlässig, in ein Dünengebiet, das in Zukunft sicher gebraucht wird, ein solches Großprojekt zu pflanzen. Sicherlich spülen Yachtliegeplätze kurzfristig Geld in die Gemeindekasse. Die Zeche zahlen dann unsere Kinder. Ich würde mir sehr wünschen, dass die Gemeinde Brétignolles von dem Vorhaben Abstand nimmt und stattdessen auf nachhaltigen Tourismus setzt. Für ihre Bewohner, aber auch für uns Urlauber, die sich an einer intakten Natur erfreuen.”/
Esther Vergenz, leidenschaftliche Womofahrerin und Reisebuchautorin: “Wir sind seit Jahrzehnten in ganz Frankreich mit dem Wohnmobil unterwegs und sehen mehr als genug Häfen. Und zwar meistens dort, wo sie “gewachsen” sind und hingehören.
Einen neuen Hafen in diese schöne, noch sehr naturbelassene Gegend zu bauen wäre eine Schande. Erstens benutzt diesen – wenn überhaupt – wohl nur eine kleine reiche Minderheit, zweitens ist die Nutzung wohl saisonal, was bedeutet, nur in 2-3 Monaten. Dafür Natur zerstören? Wir bemerken, dass auch in Frankreich Flora und Fauna rarer wird. Durch den Bau würden noch mehr Tiere verdrängt und Pflanzen zerstört. Muss das sein?
Die Bevölkerung wird nicht profitieren. Vielleicht ein paar wenige in der Gastronomie Beschäftigte. Aber dafür fallen andere Urlauber weg. Im Gegenteil, es bringt mehr Lärm, mehr Animation zur Kriminalität (reiche Yachtbesitzer locken Diebe an), mehr Schmutz (Öl, Fäkalienentleerung), mehr verschandelte Landschaft mit sich. Und das Geld, was für das Bauprojekt ausgegeben wird, kommt wohl in 10 Jahren nicht rein!”
Sizilianische Verhältnisse mitten in der Vendée?
Manche fragen sich, wer letztlich von dem Großprojekt profitieren soll.
Der Umwelt und den Menschen vor Ort ist jedenfalls zu wünschen, dass der gestiefelte Kater und sein Lakai Boudelier doch noch zur Besinnung kommen oder dass beide einer größeren Raubkatze zum Opfer fallen. Auf die nächste Wahl im Frühjahr 2020 darf man außerdem gespannt sein.
Zum Abschluss des Tages genehmigen wir uns in der Crêperie am Strand noch einen französischen Pfannkuchen mit karamellisierten Äpfeln. Bei dem schlechten Wetter tut außerdem eine heiße Schokolade gut. Unser Blick wandert auf die offene See und das fantastische Schauspiel der Wellen.
Wir hoffen, dass wir dieses hier auch noch in ein paar Jahren genießen können, sollten wir dann immer noch in der Gegend sein.
Für mehr Informationen:
La Vigie – Association de veille citoyenne et écologique
Port de Brétignolles : 1600 personnes sur la ZAD ce dimanche
Le blog de surveillance du site de la Normandelière à Brétignolles-sur-Mer (Vendée)