Konzentrationslager Gablingen: Was man ausgebuddelt hat, kann man auch wieder einbuddeln

Tafel mit der Aufschrift "Teamwork" und in verschiedenen Farben aufgemalten Personen

Konzentrationslager Gablingen: Ein Fuggerdorf möchte auf seine Geschichte stolz sein

“Ein Konzentrationslager bei uns? Das war doch nur ein Gefangenenlager und gut behandelt wurden die bei uns außerdem!”

Das ehemalige Fuggerdorf Gablingen ist stolz auf seine Geschichte, jedenfalls auf Teile davon. Andere verschweigt man lieber oder interpretiert Geschichte um …

Erstmals urkundlich erwähnt wird Gablingen bei Augsburg bereits im Jahr 1143. Ein Konzentrationslager erbaut man dort rund 800 Jahre später.

Anzeichen auf Siedeltätigkeit finden sich in der Gegend schon im Neolithikum. Die äußerst fruchtbaren Humus- und Lößböden boten nämlich gute Bedingungen für periodische Besiedlungsphasen. Solche finden auch die deutschen Luftstreitkräfte 1916 in Gablingen vor, die dort im Januar 1917 mit dem Bau eines Militärflugplatzes beginnen. 1934 entdeckt das Reichsluftfahrtministerium das Gelände für sich.

Gablingen bei Augsburg

Gablingen: Mist! Wir haben ein KZ ausgebuddelt …

Das erste Bechergrab buddelt man in der Nähe von Hirblingen 1965 aus, 1982 wird bei Baggerarbeiten auf dem Trentelberg ein Keramikkomplex entdeckt. Dreißig Jahre später legen Archäologen in Gablingen die Reste eines Konzentrationslagers frei.

In der Frühbronzezeit schreitet die Besiedlung des Gebiets rund um Gablingen kräftig voran. Zu beobachten ist ein großer Kulturwandel. Keramik wird reicher an Formen und Mustern. Lebensweise und Gebräuche wandeln sich. Tote werden in flachen Erdgruben bestattet.

1933 erhält die NSDAP bei der Reichstagswahl 43,9 % der Stimmen. Zu beobachten ist eine Verrohung der Sitten. Hakenkreuze zieren jetzt Geschirr und Besteck. Ahnenpässe und Parteiabzeichen sind Mode. Politische Gegner und Minderheiten verfolgt man, sperrt man ein und erschießt sie bei “Fluchtversuchen”. Wenige Jahre später beginnt man, sie in Massengräbern zu verscharren. Dann baut man Krematorien.

Häftlingsbekleidung KZ Mauthausen
Häftlingsbekleidung KL Mauthausen

Steinpfeilspitzen vs. Hakenkreuze

Während des Erdgasleitungsbaus im Frühjahr 1991 kommen in einem Seitental der Schmutter humose Gräber in einer Tiefe von bis zu 1,20 Meter zum Vorschein. Man findet Tonscherben, Bruchstücke von Handmühlen und Steinpfeilspitzen und freut sich darüber in Gablingen sehr.

Im Juni 2012 kommt es in der Gemeinde zu Rodungsarbeiten sowie zum Abbruch von Nachkriegsbauten. In Bungalows aus den 1970er-Jahren kommen Bauelemente alter KZ-Lagerbaracken zum Vorschein, deren Fenster noch kriegszeittypische Bänder und Türpfosten mit dem Datumsstempel 1942 aufweisen. Darüber freut man sich in Gablingen gar nicht.

1986 wird im Rahmen einer Baugrubenaushebung an der Gemeindegrenze Gablingen/Hirblingen der Grundriss eines ca. 23 x 10 Meter großen Hauses zu Tage befördert. Im Inneren des Hauses befinden sich drei Feuerstellen, urnenfelderzeitliche Keramik und Schmuck.

Auf dem Areal des ehemaligen KZ-Außenlagers Gablingen entdeckt man Kiesfundamentierungen, Betonfundamente und Bodenplatten von zwölf Wohn- bzw. Lagerbaracken. Hinzu kommen die Fundamente von drei Abortbaracken, vier Waschbaracken, ein Torhaus sowie ein großes Löschwasserbecken. Ferner Geschirr der Firma Messerschmitt mit dem Logo “Aufsteigender Falke” sowie Porzellanbodenmarken mit dem Hakenkreuz. Hässlich. Daran will man nicht erinnert werden!

Gablingen Schmutter
Schmutter in Gablingen

Hallstattzeit vs. Volk ohne Raum

Die 300 Jahre andauernde Epoche der Hallstattzeit verläuft friedlich, die des tausendjährigen Reichs der Nationalsozialisten weniger.

Das feuchtwarme Klima 750 – 450 v. Chr. trägt wahrscheinlich dazu bei, dass es für die Bauern der Hallstattzeit zu einem wirtschaftlichen Aufschwung kommt. Mit großen Viehherden siedelt man wieder in Tälern. Versteck- und Fliehburgen gibt man auf.

Die Nationalsozialisten sehen die Deutschen als ein Volk ohne Raum. Daher entscheiden sie, im Osten Lebensraum zu erobern. Die Intelligenz der eingenommenen Länder soll ausgerottet und die übrige Bevölkerung versklavt werden. Die annektierten Gebiete im Osten besiedelt man mit deutschen Bauern oder versucht es zumindest. Das KZ-Außenlager Haunstetten gibt man nach seiner Zerstörung im April 1944 auf. Einen Teil der überlebenden KZ-Häftlinge bringt man nach Gablingen.

Im Herbst 1993 findet man auf der Flur “Fürsaumfeld” das erste Urnengrab der späten Hallstattzeit. Der Gablinger Friedhof beherbergt viele Jahre das Grab eines deutschen KZ-Häftlings, der kurz nach dem Krieg in einem Krankenrevier gestorben ist. Zwei italienische Gefangene kommen außerdem am 24. April 1944 in Gablingen durch Brandwunden ums Leben, die sie sich während eines Fliegerangriffs zugezogen haben.

Einige Zeitzeugen geben an, dass im KZ-Außenlager Häftlinge erhängt worden seien, weil sie fliehen wollten. Andere seien hingerichtet worden, weil man bei ihnen Lebensmittel fand. Nach dem Krieg sagt ein polnischer Zeitzeuge aus, dass ein französischer Häftling in Gablingen von zwei SS-Wachmännern so lange geschlagen worden sei, bis er leblos liegen blieb. Andere Zeugen geben an, dass in etwa zehn KZ-Häftlinge an den Misshandlungen starben, die ihnen von SS-Leuten sowie einem Lagerältesten, einem Blockältesten und einem Kapo zugefügt worden seien.

KZ-Außenlager Haunstettten Augsburg
Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers Haunstetten

Römisches Feldlager vs. KZ-Außenlager

15 v. Chr. errichten die Römer im heutigen Augsburg-Oberhausen zwischen Lech und Wertach ein großes Feldlager. Die römische Verwaltungsorganisation wird rund 60 Jahre später von Kaiser Claudius ausgebaut. Ein weitverzweigtes Straßennetz wird geschaffen, um die neuerschlossene Provinz Raetien mit dem römischen Kernland zu verbinden. Siedlungen entstehen entlang dieser Straßen.

Nach seiner Machtübernahme beschleunigt Hitler den Bau von Reichsautobahnen. Das Konzentrationslager Dachau wird im März 1933 eröffnet. Seit wann das KZ-Außenlager Gablingen bestand, ist nicht genau geklärt. Laut neuerer Publikationen sollen die ersten Häftlinge am 21. Januar 1944 aus dem KZ Groß-Rosen in Gablingen eingetroffen sein. Einen Monat später sollen im KZ-Außenlager Gablingen bereits 352 Männer inhaftiert sein.

Die auf Gablinger Flur gefundenen römischen Münzen geben Aufschluss über die Dauer der römischen Besiedlung. Wie lange das KZ-Außenlager Gablingen Bestand hat, ist nicht abschließend geklärt. Die Staatsanwaltschaft München I geht davon aus, dass das Lager Gablingen etwa 14 bis 16 Monate existiert. Während das Lager manchen Quellen zufolge am 13. April 1944 aufgelöst wird, vermuten andere, dass dies erst im Sommer 1944 der Fall gewesen sein könnte, was ich jedoch nach Quellenlage eher für unwahrscheinlich halte.

Konzentrationslager Dachau
Konzentrationslager Dachau

Hochwasser vs. amerikanische Bombenangriffe

Im zweiten Jahrhundert n. Chr. werden große Teile der Via Claudia zwischen Gersthofen und Meitingen durch ein gewaltiges Hochwasser zerstört. Das KZ-Außenlager Haunstetten sowie die Messerschmitt-Betriebe im nördlichen Haunstetten werden am 25. Februar 1944, am 16. März 1944 sowie am 13. April 1944 von amerikanischen Bombern angegriffen. 600 Überlebende werden im April nach Gablingen überstellt.

Am 24. April 1944 wird auch das KZ-Außenlager Gablingen durch einen Bombenangriff zerstört. Die KZ-Häftlinge, die bei den Bombardierungen nicht umgekommen sind, müssen fortan in einer Kiesgrube nahe der Bahnlinie Augsburg-Donauwörth übernachten. Eine Quelle spricht davon, dass alle überlebenden Gefangenen bereits nach wenigen Tagen nach Leonberg, Kempten und Augsburg-Pfersee verlegt werden.

Das Ausmaß der Bombardierung ist enorm. Im März 1945 stehen auf dem Areal des KZ-Außenlagers Gablingen nur noch zehn Bauten. Manche davon sind stark beschädigt. Im Februar 1947 errichtet man in der ehemaligen Kaserne ein sog. Displaced-Persons-Lager. Dieses beherbergt mehrere Hundert Menschen, bevor es im Herbst 1950 schließt. Danach kommt es auf dem Gebiet zu einer Neubebauung. Errichtet wird u. a. ein Stadel.

1994 geben die Amerikaner ein 25 ha großes Gelände, zu dem auch das Areal des Konzentrationslagers Gablingen gehört, zur zivilen Nutzung frei. Die Gemeinde Gablingen kauft zwei Jahre später 16 ha. Auf dem westlichen Teil des Geländes entstehen ein Reiterhof sowie andere Gebäude. Der östliche Teil bleibt weitgehend ungenutzt und ist zunehmend dem Verfall ausgesetzt.

KZ-Außenlager Gablingen
Gelände des ehemalligen KZ-Außenlagers Gablingen

Konzentrationslager Gablingen: Was man ausgebuddelt hat, kann man auch wieder einbuddeln

2012 schließlich stellt die Untere Denkmalschutzbehörde das Areal unter Schutz, Studenten der Hochschule Augsburg erarbeiten verschiedene Konzepte für eine Gedenkstätte und ein Besucherzentrum, darunter der Entwurf “Konfrontation mit der Vergangenheit durch Transparenz” von David Maier.

Auf Transparenz setzt die Gemeinde jedoch leider nicht. Auf “Die Vergangenheit berühren” (Konzept: Thomas Geipel) und “Plätze schaffen – Erinnerungen wecken” (Konzept: Johanna Edelmann) noch weniger. Dann schon lieber vergraben, aber nicht wie es das Konzept von Lennart Abelmann-Brockmann vorsieht, ein paar Meter Erdreich über die Reste kippen, die an die unrühmliche Vergangenheit des Ortes erinnern, und drumherum ein Gewerbegebiet bauen …

Ein Schild, wenigstens eine klitzekleine Infotafel? So ein Ding, das nur der findet, der ganz beharrlich danach sucht und das sonst gar nicht ins Auge sticht? “Das überlegen wir uns noch …”

Und so beschäftigt sich auch das archäologische Museum Gablingen weiterhin nur mit Mittelsteinzeit, Bronze- und Eisenzeit, Zeitalter der Römer und frühem Mittelalter. Auch interessant und weniger “peinlich”.

Außenlagerkomplex Dachau Gablingen
KZ Gablingen: Gut verbuddelt, ist (fast) vergessen …

Schlussbemerkung:

  • Dass die Errichtung einer größeren Gedenkstätte die Finanzen einer Gemeinde wie Gablingen übersteigt, ist nicht verwunderlich. Dass der Freistaat Bayern sich nicht engagiert, dagegen ärgerlich.
  • Das angehäufte Erdreich dient dazu, die Reste zu schützen, die von Archäologen als besonders interessant und erhaltenswert eingestuft wurden.
  • Die letzten in Deutschland vorhandenen Originalbauteile eines Konzentrationslagers, welche in Gablingen gefunden wurden, sind jetzt im KZ Dachau eingelagert, wo sie nach Angaben meines Informanten mehr oder weniger vor sich hinrotten. Orginalbauten gibt es im Bereich der BRD sonst nur noch im Konzentrationslager Kaufering VII, wobei es sich dort jedoch um Tonröhrenbauten handelt.
  • Andere Fundstücke wurden im Großraum Schwabmünchen untergebracht, wo sie ebenfalls ungenutzt herumliegen sollen …

Mehr über das Konzentrationslager Gablingen, seine Geschichte und Entdeckung erfährst du in meinem Artikel Vergessene Konzentrationslager: das KZ-Außenlager Gablingen.

Außenlagerkomplex Dachau Gablingen
Gras über den Nationalsozialismus wachsen lassen …

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Quellen:

Benz, Wolfgang und Distel, Barbara (Hg.): Der Ort des Terrors – Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager – Band 2 Frühe Lager, Dachau, Emslandlager. München 2005

Gemeinde Gablingen: Gablinger Chronik. Augsburg 1994

Kreisheimatpflege Landratsamt Augsburg: Das KZ-Außenlager Gablingen. Zeitgeschichte und Erinnerung. Bobingen 2014

Kucera, Wolfgang: Fremdarbeiter und KZ-Häftlinge in der Augsburger Rüstungsindustrie. Augsburg 1996

Römer, Gernot: Für die Vergessenen – KZ-Außenlager in Schwaben – Schwaben in Konzentrationslagern. Berichte, Dokumente, Zahlen und Bilder. Augsburg 1984

Augsburger Allgemeine: Auf den Spuren des KZ-Außenlagers Gablingen

Augsburger Allgemeine: Kolpingsfamilie nimmt Geschichtsunterricht im Gelände

Archäologie Augsburg Land: Grabungen Gablingen

Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege: Denkmalschutzmedaille 2017

Fotos: © Andrea Halbritter, Wikimedia Commons

Frau mit schulterlangen blonden Haaren und grauen Strähnen, blauen Augen, Brille und grauem Mantel

Andrea Halbritter

Andrea Halbritter ist Nachfahrin von politisch Verfolgten des Naziregimes. Drei Mitglieder ihrer Familie waren im “Dritten Reich” im Polizeigefängnis Augsburg und/oder im Konzentrationslager Dachau inhaftiert. Als Übersetzerin vom Französischen ins Deutsche sowie vom Standarddeutschen in Leichte und Einfache Sprache arbeitet die Germanistin und Romanistin unter anderem im Bereich Erinnerungskultur.

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