Übersetzer unterwegs: mein liebstes Museum in Deutschland

Tafel mit der Aufschrift "Teamwork" und in verschiedenen Farben aufgemalten Personen

Blogparade: Mein liebstes Museum in Deutschland, Österreich, Schweiz

Mein liebstes Museum: die Qual der Wahl

Als ich vor kurzem in einer meiner Facebook-Gruppen auf den Blogparaden-Aufruf “Mein liebstes Museum in Deutschland, Österreich, Schweiz”  der ReiseEule stieß, war meine erste Reaktion: “Wow, tolles Thema!” Dann meine zweite: “Das wird schwer!”

Obwohl ich gerne und viel in Museen unterwegs bin, stach für mich bis dato nämlich im DACH-Raum keines wirklich hervor. Zwischen dem Museum des Deutschen Widerstands in Berlin, dem erst kürzlich eröffneten Fugger-und-Welser-Erlebnismuseum in Augsburg, dem  Staatlichen Textil- und Industriemuseum, kurz tim, das sich ebenfalls in der Metropole am Lech befindet, konnte ich mich nicht entscheiden. In der engeren Wahl befanden sich ferner das Volkskundemuseum in Oberschönefeld sowie das sog. “Führerhaus” in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück mit seiner Dauerausstellung zu Lagerkommandanten und deren Gattinnen.

Ich beschloss also, das Ganze etwas ruhen zu lassen, und nach dem Motto Kommt Zeit, kommt Rat zu verfahren.

Ein paar Wochen später – die Blogparade hatte ich mittlerweile schon vergessen –  packte ich dann meine Koffer und trat meinen nächsten Deutschlandaufenthalt als Teilzeit-Digitalnomadin an. Erste Station: Baden-Baden. Programm Tag 1: Stadtrundgang und Freibad. Tag 2: Wanderung im Wald und Fahrt auf den Merkur. An Tag 3 packte uns dann die Lust auf ein Schloss. Rastatt hatten wir uns bereits im Jahr zuvor angesehen und so fiel die Wahl auf das etwa 60 km entfernte Bruchsal.

Barockdecke Schloss Bruchsal

Kleinstadtdschungel Bruchsal

In meinem Führer hieß es dazu in etwa: “Bei Schloss Bruchsal handelt es sich um die älteste erhaltene Residenz eines Fürstbischofs am Oberrhein. Errichtet wurde es ab 1720 im barocken Stil, bekannt ist es v. a. durch seine Treppenanlage, die auf Balthasar Neumann zurückgeht.”

Wer sich nach Bruchsal aufmacht, ohne die Stadt zu kennen, sollte zunächst einmal sicherstellen, dass das eigene Navi funktioniert. Unseres wähnte sich leider immer noch in der Bretagne, und da wir gewöhnlich nicht mit einem Drucker verreisen sowie Baden-Württemberg in manchen Ecken alles bis auf schnelles Internet kann, gingen wir bei unserer Ankunft in Bruchsal zunächst einmal im Kleinstadtdschungel verloren.

Dass es in einer nur etwa 45 000 Einwohner kleinen Stadt so schwer sein sollte, ein doch eher riesiges Schloss ausfindig zu machen, hätten wir nicht gedacht! Zwar weisen nach dem Streuselkuchenprinzip verteilte Hinweisschilder immer mal wieder auf den barocken Bau hin, doch sind diese teils nur für Fußgänger gedacht, in dezentem Hellblau gehalten oder so gestaltet, dass man sich fragt, ob es sich tatsächlich um das Schloss oder aber um eine Hinweistafel auf das örtliche Krankenhaus handelt.

Schloss Bruchsal

Nachdem wir Bruchsal daher etwas länger als geplant mit dem Auto erkundet hatten, standen wir plötzlich vor einer sehr prächtigen Anlage, von der wir vermuteten, dass es sich hierbei nur um Schloss Bruchsal handeln konnte. Wir kämpften uns also fortan durch die angrenzenden Seitenstraßen, versuchten, die dortigen Parkregelungen richtig zu deuten, und stellten unser Fahrzeug schließlich auf dem letzten freien Parkplatz ab.

“Mama, ich muss mal aufs Klo!” Kein Problem, das haben wir sicher sofort … So ein Schloss muss ja schließlich eine Toilette haben. Ja, hat es auch, wenn man mal den Haupteingang gefunden hat. Man könnte es auch so formulieren: Die hintere Fassade des Schlosses ist so prächtig, dass wir sie für die vordere hielten und erst einmal vergeblich nach einer offenen Tür suchten. (Vielleicht hätte ich in meiner Jugend doch bei den Pfadfindern mitmachen sollen?!?) Jedenfalls schritten wir bei inzwischen sengender Hitze (29°C im Schatten) mangels – ihr ahnt es – Beschilderung schon eine Weile die Fassade ab, bis wir auf eine Einheimische trafen, die wir nach dem Weg fragen konnten. Damit wir uns ganz sicher nicht verliefen (“Mama, es wird jetzt wirklich dringend!!!”), ließen wir uns bis vor die richtige Tür geleiten.

Schloss Bruchsal
Hier geht’s rein …

Schloss Bruchsal

“Mit Führung oder ohne?” “Mit Toilette!”

Nachdem wir unsere Eintrittskarte gelöst haben, geht es jetzt erst einmal in den Keller, auf die Toilette. Die nette Dame am Eingang ruft uns noch hinterher: “Wir haben im Schloss auch zwei Museen. Im Musikautomaten-Museum hat gerade die Führung begonnen. Wenn sie da noch mitwollen, sollten Sie möglichst schnell in den 3. Stock.”

Musikautomaten-Museum? Warum nicht! Bei meiner Suche nach einem Schloss hatte ich zugegebenermaßen v. a. den Teil der Beschreibung gelesen, der den Baustil betraf, und hatte mich ansonsten ziemlich unvorbereitet hinters Steuer gesetzt.

Mit einer viertelstündigen Verspätung erreichten wir schließlich die dritte Etage, wo sich ein kleines Grüppchen von Rentnern um eine Führerin in meinem Alter scharte. Da die anderen Besucher wenig Zeit hatten, ging es im Schnellverfahren durch zwei Ebenen der Musikautomaten-Ausstellung. Die etwa 300 Exponate schienen uns mehr Zeit wert. Als sich die Führung im Zwischengeschoss dem Ende zuneigte, beschlossen wir daher, trotz der pro Etage zunehmend heißeren Temperaturen in Stockwerk 3 zurückzukehren.

Deutsches Musikautomaten-Museum

Bruchsal: Deutsches Musikautomaten-Museum

Dokumentiert werden im Deutschen Musikautomaten-Museum in Bruchsal rund 300 Jahre Musik- und Mediengeschichte. Im Museum befindet sich damit eine der größten europäischen Sammlungen an selbstspielenden Instrumenten. Dass diese meine zehnjährige Tochter und mich so begeistern würde, dass wir in der Ausstellung über fünf Stunden verbringen, hätten wir uns vorher nicht ausgemalt.

Die Ausstellung auf drei Etagen gliedert sich im Wesentlichen in vier große Bereiche: Musikautomaten für Jahrmärkte, Gaststätten, Tanzsäle und Privatpersonen.

Grammophon

Salonmusik

Ebene 3 (die mit den höchsten Temperaturen) beschäftigt sich u. a. mit dem Salon. In Salons wurden sowohl Literatur als auch Musik kultiviert. Klavierunterricht und häusliches Klavierspiel wurden im 19. Jahrhundert Teil des bildungsbürgerlichen Lebensstils, das Klavier Teil der Bildung “höherer Töchter”, die zum Lebensunterhalt nicht beitragen durften.

Von der Wertschätzung klassischer Musik zeugen zahlreiche Vorsetzer, Reproduktionsklaviere sowie Salondrehorgeln.

Grammophon

Nicht schlecht gestaunt haben wir, als sich eine der pädagogischen Mitarbeiterinnen ans Klavier setzte und ein Gesangstück einlegte. Mitarbeiterin Iris (ich hoffe, der Name war’s …) hat nicht nur als Restauratorin für Instrumente gearbeitet, sie spricht auch mehr als passabel Französisch und Spanisch (Englisch vemutlich auch, haben wir aber nicht getestet) und ist in der Lage, sich auf unterschiedlichste Gruppen einzustellen: Kinder, Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung, Musikwissenschaftler …

Alter Musikautomat

Wir waren begeistert und folgten ihr auch in den Nebenraum, wo sie auf Rückfrage meiner Tochter sämtliche Automaten spielen ließ, für die ihr der Restaurator kein Verbot erteilt hatte: eine Tanzorgel aus Antwerpen, ein Piano-Accordeon von Seybold, einen Geigenautomaten und und und … Keine Frage, die unbeantwortet blieb.

Musikautomat

Der 3. Stock beherbergt außerdem mehrere Automaten von Wurlitzer, der Mitte des 19. Jahrhunderts von Sachsen nach Cincinnati ausgewandert war und dort ab 1880 Klaviere baute sowie Klavier-Orchestrien der Frankfurter Firma Phillips ab 1902 unter eigenem Namen in den USA vertrieb.

Der Bau deutscher Musikautomaten war insgesamt sehr exportorientiert. So hatte auch die Freiburger Firma Welte ab 1866 eine Niederlassung in Amerika und Orchestrienhersteller Schönstein produzierte ab 1870 auch in San Francisco.

Wurlitzer-Automat, mit Vögeln verziert

Leipzig und Umgebung dominierten zwischen 1880 und 1930 den internationalen Markt mit selbstspielenden Instrumenten, welche häufig mit einem Münzeinwurf ausgestattet waren. Die Voraussetzung hierfür war in Sachsen mit der Entwicklung der Metalllochplatte durch Paul Lochmann geschaffen worden.

Musikdosen und Androide

Das Zwischengeschoss widmet sich u. a.  Musikdosen aus der Schweiz, eine Erfindung, durch die es aufgrund der Uhrmacherkrise zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam. Gebaut wurden Musikdosen hauptsächlich in Heimarbeit. Exportiert wurde in andere Länder Europas, nach Japan, China und Amerika. Präsentiert werden außerdem sog. Androide, also Automaten, die Menschen nachahmen. Bekannte Werkstätten befanden sich ab 1850 v. a. in Paris sowie in der Schweiz. Auch hier können einige Exponate zum Spielen gebracht werden.

Schwarzwald

Das Erdgeschoss wiederum befasst sich hauptsächlich mit Flötenuhren und Orchestrien aus dem Schwarzwald, ein Handwerk, das maßgeblich zur Entwicklung der bis dahin vorwiegend agrarisch geprägten Region beitrug. Zu sehen und zu hören sind ferner Jahrmarkt- und Karrussellorgeln, wobei viele Automaten auch durch ihre Größe und ihre Gestaltung imponieren.

Flötenuhr
Flötenuhr Schwarzwald

FAZIT:

Ein tolles Museum, das Groß und Klein begeistert. Die Räume sind meist so gestaltet, dass man auch das Tanzbein schwingen kann, was ferner ausdrücklich erwünscht ist. Manche Automaten kann man durch Knopfdruck selbst zum Spielen bringen, sollte aber unbedingt auch das Personal fragen, ob man sich weitere anhören darf.

Kinder werden außerdem die zahlreichen Mitmachstationen begeistern. So können Musikstücke durch Stecken komponiert, Drehorgeln betätigt werden u. v. m.

Deutsches Musikautomaten-Museum Mitmachstation Kinder
Deutsches Musikautomaten-Museum Mitmachstation für Kinder
Mitmachstation für Kinder
Museum Kinder Musikautomaten Bruchsal

Wer Glück hat, trifft außerdem auf die pädagogische Mitarbeiterin, die uns durch einen Großteil der Ausstellung begleitet hat (die anderen sind etwas zurückhaltender und geizen mit ihrem Wissen mehr).

Sehr zu empfehlen sind auch Kinderführungen sowie Touren in Leichter Sprache (nach Iris mit dem Doppelnamen fragen). Ein Museum, auf das man sich mit (fast) allen Sinnen einlassen kann und sollte und das uns so begeistert hat, dass ich am Ende des Tages genau wusste: Das ist es, das stelle ich euch vor!

Praktisches:

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr

Eintritt:

Erwachsene : 8 €, Kinder: 4 €, Familien: 20 €

Adresse: Schloss Bruchsal, Schönbornstraße (Schlossraum 4), 76646 Bruchsal

Dieser Artikel ist Teil der Blogparade “Mein liebstes Museum in Deutschland, Österreich, Schweiz”. Eine Teilnahme ist noch bis 30.09.2019 möglich.

Jahrmarktorgel, kunstvoll verziert

Fotos: Andrea Halbritter

Frau mit schulterlangen blonden Haaren und grauen Strähnen, blauen Augen, Brille und grauem Mantel

Andrea Halbritter

Andrea Halbritter ist Germanistin mit 2. Staatsexamen und vom Netzwerk Leichte Sprache e. V. zertifiziert. Sie erstellt Texte in Leichter und Einfacher Sprache für NS-Gedenkstätten, Museen, politische Parteien und Gesundheitsbehörden. In den Sprachrichtungen Französisch-Deutsch und Englisch-Deutsch übersetzt Andrea vor allem im Bereich Wein.

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