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6 Punkte, die dafür sprechen, die Aussprache von schweren Wörtern anzugeben

Mann, der liest

Bei meiner letzten Fortbildung in Leichter Sprache forderte eine der Dozentinnen, in Leichte-Sprache-Texten die Aussprache von schweren Wörtern nicht anzugeben. Sie war der Ansicht, eine Angabe der Aussprache, wie sie vom Netzwerk Leichte Sprache e. V. empfohlen wird, sei diskriminierend.

Anlass für diesen kurzen Artikel, in dem ich meine Sicht der Dinge erläutern möchte. Diese beruht allein auf meinen Erfahrungen als Leichte-Sprache-Texterin und -Übersetzerin. Studien sind in diesem Bereich für Leichte Sprache noch nicht vorhanden und als Freiberuflerin habe ich auch nicht die Möglichkeit, solche durchzuführen. Auch die oben erwähnte Dozentin konnte mir keine solche Studie zu Leichter Sprache nennen.

6 Punkte für die Angabe der Aussprache von schweren Wörtern in Leichter Sprache

Zunächst einmal: Was sind eigentlich schwere bzw. schwierige Wörter? Die Charakteristika von leichten Wörtern kannst du in meinem Artikel Leichte Sprache: Wie erkennt man leichte Wörter? nachlesen. Als schwierige Wörter sind alle Wörter zu betrachten, die den Kriterien für leichte Wörter nicht entsprechen.

Leichte Sprache verwendet schwere Wörter nur in Ausnahmefällen – also vor allem, wenn kein leichteres Wort zur Verfügung steht oder es sich bei dem schwierigen Wort um einen Eigennamen handelt, der nicht ersetzt werden kann.

Die Bedeutung von schweren Wörtern muss im Leichte-Sprache-Text erklärt werden. Beispiele für solche Erklärungen findest du in meinem Blogartikel Nationalsozialismus: Erklärung von schweren Wörtern in Leichter Sprache.

Manche Wörter sind auch oder nur aufgrund ihrer Aussprache als schwer zu betrachten. Warum es aus meiner Sicht Sinn macht, ihre Aussprache anzugeben, verrate ich dir nun:

#1 Die Schreibung mancher Wörter ist nicht bekannt

Nicht alle schweren Wörter sind selten. Manche von ihnen sind der Hauptzielgruppe durchaus bekannt – manchen allerdings nur mündlich. Wie die Wörter geschrieben werden, wissen nicht alle. Daher tritt beim Lesen unter Umständen kein Wiedererkennungseffekt ein. Der Fall sein kann dies meiner Erfahrung nach vor allem bei Wörtern, die aus einer Fremdsprache kommen und die aus dem Bereich der Kulinarik stammen: Cappuccino, Roulade, Croissant, Bouletten, Frikassee …

Dazu gehören auch bekannte Einrichtungen, wie zum Beispiel Geschäfte oder Gaststätten. Wer in Aichach wohnt, hat beispielsweise sicher schon von Jimmy’s Funpark gehört. Wie sich dieser Freizeitpark schreibt, wissen aber vermutlich nicht alle. Spontan würden manche Menschen, die des Englischen nicht kundig sind, mit Sicherheit die Schreibung Fanpark erwarten. Andere würden das J vermutlich wie in Januar aussprechen … Eine Angabe der Aussprache kann in diesem Fall in Leichte-Sprache-Texten hilfreich sein.

 

#2 Schwierige Eigennamen

Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft, in der auch ich manche Eigennamen zum ersten Mal lese oder höre. Bei manchen ist auch mir als Leichte-Sprache-Übersetzerin, die mehrere Sprachen fließend spricht, nicht klar, wie sie korrekt ausgesprochen werden. Solche Wörter stören dann zwar nicht unbedingt meinen Lesefluss, dennoch möchte ich wissen: Wie lautet ihre korrekte Aussprache?

Menschen, die Leichte-Sprache-Texte brauchen, haben mit dem Lesen mehr oder weniger große Probleme. Sie stolpern über lange Wörter und auch über Eigennamen, von denen sie nicht wissen, wie man sie ausspricht.

Viele Menschen aus den Hauptzielgruppen Leichter Sprache werden also beim entsprechenden Wort zumindest eine Zeitlang verharren. Sie werden versuchen herauszufinden, wie das Wort ausgesprochen wird. Vielleicht handelt es sich ja doch um ein bekanntes Wort und sie schaffen es nur nicht, es zu entziffern? Wo endet eine Silbe, wo beginnt die nächste? Je nach Kontext wird auch nicht erkannt, dass es sich um einen Eigennamen handelt.

Wüsstest du, wie man die Vornamen Klervi, Aariz, Haifa, Hamdi, Jacqueline, Vincent, Vehbi, Aicha korrekt ausspricht? Ist Klerwi korrekt oder Klerfi? Aaris oder Aaritz? Heifa oder Ha-i-fa? Wo liegt die Betonung?

#3 Die Aussprache angeben ist nicht diskriminierend

Als Leichte-Sprache-Texterin und -Übersetzerin lege ich alle meine Texte Prüfer*innen mit einer geistigen Behinderung vor. Bisher hat noch keiner von ihnen die Angabe der Aussprache von schwierigen Wörtern als diskriminierend empfunden. Im Gegenteil! Bewertet wurde sie als hilfreich. Allerdings wurde die Angabe der Aussprache nicht immer von allen benötigt. Manche Wörter, wie zum Beispiel E-Mail, waren vielen schon bekannt, weil sie das Wort selbst schon öfter geschrieben gesehen hatten. Andere Wörter dagegen kannte niemand. Bestimmte Eigennamen waren auch mir noch nie über den Weg “gelaufen”.

Die betreffende Dozentin, die ich in der Einleitung erwähnt habe, war der Ansicht, dass eine Angabe der Aussprache vor allem von Menschen mit einer Hörbehinderung als diskriminierend empfunden würde. Den Nachweis blieb sie aber schuldig.

Wer Texte liest, bekommt immer wieder Informationen, die er*sie schon kennt, die andere aber noch nicht kennen. Empfindet man als Leser*in solche Infos daher als diskriminierend? Ich nicht. Allenfalls empfinde ich den Text als für mich zu leicht.

 

#4 Barrierefreiheit muss sich am größten Unterstützungsbedarf orientieren

Ist die Zielgruppe – wie auch meist bei Leichter Sprache – heterogen, kann gar nicht vermieden werden, dass im Text Informationen vorhanden sind, die manche schon kennen und andere nicht.

Barrierefreiheit für alle können wir jedoch nur dann erreichen, wenn wir uns an denen orientieren, die am meisten Erklärungen benötigen. In Leichte-Sprache-Texten sollte dies der Fall sein, wobei natürlich so gut wie möglich abgeklärt werden sollte, was der Zielgruppe bekannt ist. Ist ein Text zum Beispiel nur für eine interne Einrichtung bestimmt, muss der Mitarbeiterschaft sicher nicht erklärt werden, wie deren Name ausgesprochen wird.

 

#5 Prüfer*innen fordern die Angabe der Aussprache in Leichte-Sprache-Texten

Vergesse ich, die Aussprache eines schweren Wortes anzugeben, oder bin ich der Ansicht, dass ich diese nicht erklären muss, kommt es immer wieder vor, dass meine Prüfer*innen mit einer geistigen Behinderung eine solche Angabe im Leichte-Sprache-Text explizit einfordern.

Wie gehe ich beim Prüfen mit meiner Prüfgruppe vor?

Meine Prüfer*innen bekommen meine Texte einzeln vorgelegt. Entweder als Ausdruck oder auf dem PC als Word- oder PDF-Datei mit einer ausreichend großen Schrift. Ich persönlich prüfe mit jedem*r Prüfer*in einzeln und nicht in einer größeren Gruppe. Die Prüfer*innen lesen mir meine Leichte-Sprache-Texte abschnittweise laut vor. So höre ich sofort, wo sie ins Stocken geraten. Ist dies der Fall, kann dies beispielsweise an folgenden Faktoren liegen:

  • Ich habe ein Wort verwendet, dessen Bedeutung sie nicht kennen.
  • Ich habe ein Wort benutzt, dessen Aussprache sie als schwierig empfinden.
  • Mein Satz ist zu lang.
  • Ich habe eine Struktur verwendet, die schwer verständlich ist.

Gemeinsam formulieren wir den Leichte-Sprache-Text dann so um, dass der Lesefluss nicht behindert wird und der Text wirklich barrierefrei ist. Meist schlage ich meinen Prüfer*innen Umformulierungen, zusätzliche Erklärungen …  vor. Manchmal kommen solche Vorschläge aber auch von ihnen selbst.

Angaben zur Aussprache haben meine Leichte-Sprache-Prüfer*innen in den letzten Jahren zum Beispiel bei den folgenden Wörtern “angemahnt” beziehungsweise als nützlich empfunden: Sluhowina, Designerin, Vivaldi, Miles, Jelfimowa, Symbol, Orchester, WLAN.

Nicht nötig erschien ihnen die Angabe der Aussprache bei Tschernobyl, E-Mail, Diskriminierung, Demokratie und Archivar. (Manche dieser Wörter bedurften aber hinsichtlich ihrer Bedeutung einer Erklärung.)

Bei Facebook schieden sich die Geister …

 

#6 Falsche Aussprache führt zu unangenehmen Gefühlen und Verständigungsproblemen

Die Dozentin fand die Angabe der Aussprache diskriminierend. Nehmen wir einmal an, ein*e Nicht-Einheimische*r wird über das Internet auf Jimmy’s Funpark aufmerksam. Vor Ort findet er*sie den Freizeitpark nicht sofort. Er*sie entschließt sich daher, Einheimische nach dem Weg zu fragen. Spricht er*sie den Namen des Freizeitparks falsch aus, kann das bei manchen Leuten zu einem Lachen führen oder aber das Anliegen wird erst gar nicht verstanden.

Eine Situation, die sicher jede*r von uns kennt, die versucht hat, im Ausland mit nur rudimentären Kenntnissen der Landessprache bestimmte Dinge in Erfahrung zu bringen … Nicht immer angenehm.

Ich persönlich halte mich als Leichte-Sprache-Übersetzerin und -Texterin daher an die Empfehlungen des Netzwerks Leichte Sprache e. V. Erscheint es meiner Prüfgruppe wichtig, die Aussprache eines Wortes anzugeben, dann gebe ich eine entsprechende Erklärung – und zwar nicht in Lautschrift, wie mir schon als Alternative von einer Sprachwissenschaftlerin suggeriert wurde. Denn: Hand aufs Herz! Kannst du Lautschrift problemlos lesen? Wenn du kein*e Fremdsprachenlehrer*in, eifrige*r Fremdsprachlerne*r oder Linguist*in bist, sicher nicht! Können Leichte-Sprache-Übersetzer*in erwarten, dass Menschen mit einer geistigen Behinderung, nach einem Schlaganfall oder funktionale Analphabet*innen Lautschrift lesen können? Ganz sicher nicht! Und das müssen sie auch nicht. Die Aussprache eines schweren Wortes können Expert*innen für barrierefreie Kommunikation auch anders erklären:

Symbol spricht man so:

Süm-bool

Nicht immer ist es übrigens nötig, die Aussprache detailliert anzugeben. Manchmal reicht es schon, einen Mediopunkt oder Bindestrich als Hilfe einzuplanen. In meinen Texten in Leichter Sprache war dies die letzten Jahre zum Beispiel bei Kurfürst, Feldherrnstab, Weltkrieg, Luftangriff, Wechselausstellung, Volkshochschule, Tagesklinik, Kurzzeitpflege der Fall.

 

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Zeichnung: © Stefan Albers, Atelier Fleetinsel, Lebenshilfe Bremen

 

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