Ehemaliges KZ-Außenlager Haunstetten: Hermann-Frieb-Park
Kinder toben an der Stele im heutigen Hermann-Frieb-Park vorbei, spielen Fangen. Von der nahegelegenen Inninger Straße tönt Fahrzeuglärm auf meine Bank. Aus der Ferne außerdem eine Kreissäge. Sanfter das Rauschen der hohen Birken, deren Blätter von einem erfrischenden Sommerlüftchen bewegt werden, während sich die der hohen Kastanien kaum regen.
Ab und zu kommen Passanten mit einem Hund vorbei, den sie hier auf dem Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers Haunstetten Gassi führen. Die Bebauung um das Areal ist eng: Einfamilienhäuser, Reihenhäuser, Blocks, ein Parkdeck.
Ein Ball fällt lautstark gegen ein Metallgitter, zwei Buben amüsieren sich beim Fußballspielen. Von einem Baum ruft eine Kohlmeise. Ein Hupen, ein Hämmern, um mich herum eine etwa 2 Meter hohe Hecke, die trotz der unterschiedlichen Geräusche, die zu mir vordringen, Abgeschiedenheit und Ruhe vermittelt und ein Gedenken möglich macht.
Bei Haunstetter Bürgern heißt der schattige, satt-grüne Park nach dem sich in der Nähe befindenden Café Spring-Park. Dass er nach einem sozialistischen Widerstandskämpfer benannt ist, der 1943 in München-Stadelheim hingerichtet wurde, wissen viele nicht.
Das KZ-Außenlager Haunstetten
Umbau zum KZ-Lager
Im Februar 1943 baute die Messerschmitt AG hier innerhalb von nur wenigen Tagen ein Kriegsgefangenenlager zu einem Außenlager des KZ Dachau aus.
Das Militärinterniertenlager befand sich auf dem Gelände einer ehemaligen Kiesgrube. Im Gegensatz zu heute war die nahegelegene Inninger Straße 1943 nur wenig bebaut und Haunstetten noch eine eigene Stadt, welche erst im Jahr 1972 nach Augsburg eingemeindet wurde.
Während des Umbaus zum KZ-Lager wurde ein ca. drei Meter hoher, elektrisch geladener Stacheldrahtzaun hochgezogen, den man mit Rohrmatten von der Öffentlichkeit abschirmte. Zur besseren Bewachung der Häftlinge wurden insgesamt vier Wachtürme, einer an jedem Eck, errichtet.
Unterkünfte des KZ-Lagers
Die Gefangenen waren in 22 Holzbaracken untergebracht, wohingegen die Unterkünfte der SS-Wachmannschaften auf der anderen Seite der Inninger Straße lagen. Vorhanden war ferner ein Krankenrevier, das aber nur eine ambulante Versorgung sicherstellen konnte. Bei Verletzungen oder schwereren Erkrankungen wurden die Häftlinge in das Stammlager Dachau zurückverlegt.
Pro Baracke konnten bis zu 200 Leute untergebracht werden. Die Häftlinge schliefen auf Betten, deren Matratze aus einem Strohsack mit Laken bestand und die außerdem mit einer Decke ausgestattet waren.
Häftlinge im KZ-Außenlager Haunstetten
Während die ersten Häftlinge aus dem KZ Mauthausen stammten, wurden Gefangenen in der Folge nur noch aus dem KZ Dachau überstellt. Es handelte sich vorwiegend um politische Gefangene, hinzu kamen Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, sog. “Asoziale”, “Arbeitsscheue” und “polizeilich Sicherheitsverwahrte”.
Als politisch Gefangener galt bereits, wer ausländische Sender hörte oder einen politischen Witz zum Besten gab, ein aktiver politischer Widerstand war nicht nötig, um verhaftet zu werden. Als “Asoziale” wiederum wurden die Menschen kategorisiert, die sich aus irgendeinem Grund von den Vorstellungen der nationalsozialistischen Volksideologie unterschieden. Hierbei konnte es sich z. B. um Arbeitslose oder Menschen ohne Obdach handeln.
Was die Nationalität der Häftlinge betrifft, fällt auf, dass der Anteil ausländischer Häftlinge, insbesondere der an Franzosen, Sowjetbürgern und Polen, im KZ-Außenlager Haunstetten sehr hoch war. Nach Aussagen bestimmter Häftlinge soll die Versetzung von Dachau nach Haunstetten für deutsche Reichsbürger einer Bestrafung gleichgekommen sein. Andere Häftlinge eigneten sich aber wohl aufgrund ihrer Qualifikation ganz besonders für einen Einsatz in Haunstetten und wurden daher in das heutige Augsburg verlegt.
Zwangsarbeit in den Messerschmitt-Betrieben
Fast alle Häftlinge des KZ-Außenlagers Haunstetten arbeiteten in den Messerschmitt-Betrieben im Norden Haunstettens am Produktionsprogramm der Kampfflugzeuge Me 210 und Me 410. Ein Teil der Gefangenen war nicht in der Flugzeugfertigung eingesetzt, sondern musste Bau- oder Zuarbeiten verrichten. Nur wenige Häfltinge waren in anderen Haunstetter Betrieben tätig.
Gearbeitet wurden von Montag bis Freitag in einer Wechselschicht von jeweils zwölf Stunden. Am Samstag musste sechs Stunden gearbeitet werden. Zum Einsatzort waren jeweils zwei bis drei Kilometer zu Fuß zurückzulegen. Arbeitsbeginn war für viele bereits um 4 Uhr morgens, während des Fußmarsches wurden die Arbeitskolonnen von SS-Wachleuten und Hunden bewacht, die auch im Lager an der Inninger Straße zum Einsatz kamen. Wer von einem Hund gebissen wurde, ließ sich häufig aus Angst, nach Dachau zurückgeschickt zu werden, nicht behandeln.
Häftlinge wurden Unternehmen nicht einfach vom Arbeitsamt oder von anderen staatlichen Stellen zugeteilt, sondern immer vom Betrieb selbst angefordert. Kein Unternehmen war also dazu gezwungen worden, Häftlinge zu beschäftigen, auch die Messerschmitt AG nicht. Sie forderte bei der SS bzw. ab Oktober 1944 beim Rüstungsministerium Gefangene an. Diese Anforderungen wurden dann gemeinsam mit denen anderer Betriebe überprüft. Im Falle der Messerschmitt AG, welche Teil des Jägerprogramms der Rüstungsindustrie war, spielte bei der Dringlichkeitseinstufung auch der sog. Jägerstab eine Rolle.
Bis Januar 1944 hatten die Häftlinge aus dem KZ-Außenlager Haunstetten bei Messerschmitt bereits über 740 000 Arbeitsstunden absolviert.
Um die Leistung der Häftlinge immer weiter nach oben zu treiben, existierte ein perfides System aus Anreizen und Strafen. Anreize waren z. B. besseres Essen, Tabak, Briefkontakt oder ein individueller Haarschnitt.
SS-Wachmannschaften
Neben den Lohnzahlungen an die SS hatte die Messerschmitt AG Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, die SS dagegen war für Bewachung und Transport der Häftlinge verantwortlich. Wer für die Verpflegung von Zwangsarbeitern zuständig war, war nicht einheitlich geregelt. Häufig wurden die Kosten für die Verpflegung zwischen der SS und den Beschäftigungsbetrieben aufgeteilt.
Die Behandlung der Häftlinge durch Betriebsangehörige der Messerschmitt AG soll in der Regel korrekt gewesen sein. Doch gab es auch Mitarbeiter, die einzelne Gefangene wegen angeblicher Sabotageakte bei der SS denunzierten.
Wie in anderen Konzentrationslagern auch wurden die Gefangenen von den SS-Wachleuten misshandelt. Aussagen von ehemaligen Häftlingen sprechen außerdem dafür, dass es in Haunstetten zu Hinrichtungen gekommen sein kann. So soll ein russischer Gefangener bei einem Fluchtversuch erschossen worden sein und andere Männer, die auf dem Weg zur Arbeit Lebensmittel auflasen, sollen abends gehenkt worden sein. Zwei geflohene und wieder eingefangene Männer seien außerdem mit einem Schild um den Hals hingerichtet worden sein, auf dem stand: “Ich bin wieder da.”
Andere Gefangene wiederum erinnern sich an keine Morde oder machen hiervon abweichende Aussagen. Da KZ-Häftlinge in der Regel in mehreren Lagern inhaftiert waren, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Zeitzeugen, die von Morden in Haunstetten berichten, getäuscht haben.
Während einige Häftlinge aufgrund von Fliegerangriffen ums Leben kamen (ihnen standen keine Schutzräume zur Verfügung), ist die Todesursache bei anderen ungeklärt. Belegt ist, dass sich manche aufgrund von Erschöpfung, Hunger, Strafen oder ihrer schlechten psychischen Verfassung selbst umbrachten. Wie hoch die Sterblichkeitsrate im KZ-Außenlager insgesamt war, ist unbekannt.
Wer die Lagerkommandanten in Haunstetten waren, konnte bisher nicht zuverlässig ermittelt werden. Nach Erinnerungen von Häftlingen muss es sich u. a. um Fritz Wilhelm und Peter Betz gehandelt haben. Der 1913 im Landkreis Kronach geborene Betz war bereits 1933 der SS beigetreten und ab August 1935 zunächst im Stammlager Dachau und dann in diversen Außenlagern eingesetzt, bevor er 1944 nach Dora-Mittelbau gelangte. Ein US-amerikanisches Gericht verurteilte ihn 1945 zu lebenslanger Haft. Entlassen wurde er jedoch bereits im Januar 1954.
Verpflegung im KZ-Außenlager
In der Anfangszeit des Lagers wurde die Verpflegung für die Häftlinge direkt aus Dachau angeliefert. Danach gab man an die Messerschmitt AG Bezugsscheine aus, mit denen das Unternehmen Nahrungsmittel für die Gefangenen besorgen sollte. In dieser Zeit wurde das Essen in der Lagerküche von Häftlingen zubereitet. Da die Verpflegung völlig unzureichend war (in der Regel gab es nur schwarzen Kaffee, etwas Brot und Kohlrabisuppe), wollten die Messerschmitt-Betriebe zusätzliche Lebensmittel besorgen, was von der Lagerleitung aber abgelehnt wurde.
Dabei wäre es durchaus möglich gewesen, die Gefangenen besser zu versorgen. Hunger gehörte jedoch zu den Foltermethoden der SS. Die Versorgung mit mehr Lebensmitteln war außerdem – wie weiter oben erwähnt – Teil des Leistungsanreizsystems der SS.
Gefangene konnten sich Pakete von Angehörigen oder Hilfsorganisationen schicken lassen. Viele bekamen jedoch nie etwas.
Amerikanische Bombenangriffe auf Haunstetten
Am 25. Februar 1944 greifen 199 amerikanische Bomber die Messerschmittwerke an und werfen 335 Tonnen Spreng- und 121 Tonnen Brandbomben ab. Unter den Opfern befinden sich auch 234 KZ-Häftlinge. Nicht ganz drei Wochen später kommt es zu einer weiteren Bombardierung, bei der 58 Häftlinge getötet und 117 verletzt werden. Am 13. April 1944 wird Haunstetten erneut angegriffen. Das KZ-Außenlager wird dabei komplett zerstört, 107 Häftlinge verlieren ihr Leben. Von denen, die den Angriff überlebt haben, sind nur elf unverletzt. Während des Bombenhagels soll 30 Gefangenen die Flucht gelungen sein. Wie viele davon wieder gefasst wurden, ist unbekannt.
Baracken und Wachtürme werden nach dem Angriff im April nicht wieder aufgebaut, die Häftlinge werden stattdessen in andere Lager, z. B. nach Leonberg und Gablingen, verlegt.
Wieviel wussten die Bürger in Haunstetten über das KZ-Außenlager?
Informiert man über Konzentrationslager, taucht regelmäßig die Frage auf, wieviel die vor Ort lebenden Menschen über ein Lager wussten.
In Bezug auf das Außenlager Haunstetten konnte ich mit einem Augsburger Bürger reden, dessen Mutter als Kind in der Nähe des Konzentrationslagers aufwuchs. Über das Lager berichtet ihm seine über 80-jährige Mutter noch heute Folgendes:
“Wenn wir am Sonntag mit unserer Großmutter und unserer Mutter spazieren gingen, liefen wir regelmäßig an dem Lager vorbei. Ich war damals sieben Jahre alt. Vom Zaun aus konnten wir übereinander gestapelte Tote sehen. Manche Häftlinge sprachen mit mir. Da die SS uns Kinder nicht beachtete, konnten wir Brote über den Zaun werfen, die die Gefangenen dann aufsammelten.”
In diversen Büchern finden sich ähnliche Aussagen von anderen Zeitzeugen, die jedoch keine Leichenberge erwähnen. Vielmehr ist die Rede von ins Lager heimkehrenden oder durch Haunstetten ziehenden Kolonnen in Sträflingskleidung sowie von weiteren Anwohnern, die versuchten, Brot ins Lager zu werfen oder am Zaun mit den Gefangenen in Kontakt zu kommen. Manche der KZ-Häftlinge waren außerdem auf Bauernhöfen beschäftigt und in den Messerschmitt-Betrieben kamen sie selbstverständlich auch in Kontakt zur Stammbelegschaft.
Im Lager existierte ferner eine Musikgruppe, die am Wochenende aufspielte. Französische Häftlinge sangen dazu, Haunstetter hörten vor dem Stacheldrahtzaun zu. Unmöglich zu sagen: “Wir wussten von nichts!”
Das KZ-Außenlager Haunstetten heute
Heute erinnern im Hermann-Frieb-Park ein Gedenkstein sowie eine Stele an das KZ-Außenlager Haunstetten. Auf der Stele befinden sich die Namen von 56 Gefangenen, die am 25. Februar 1944 bei einem Fliegerangriff auf das Lager starben. Sie stammen aus Belgien, Polen, Frankreich, Österreich, den Niederlanden, Deutschland, der Tschechischen Republik, dem ehemaligen Jugoslawien und Ungarn. Erinnert wird auch an die Häftlinge, die am gleichen Tag sowie am 16. März 1944 bei den Fliegerangriffen auf die Messerschmitt AG sowie am 13. April bei einem weiteren Angriff auf das Lager ums Leben kamen. Dabei handelt es sich insgesamt um weitere 66 Häftlinge. Alle anderen werden namentlich nicht erwähnt.
Für Haunstetter Bürger ist das Areal mittlerweile eine kleine grüne Oase, die im Sommer Schatten spendet und zu etwa einem Drittel aus einem Spielplatz besteht.
Ich selbst habe über zehn Jahre in der Inninger Straße gelebt. Lange Zeit ohne zu wissen, dass sich in meiner unmittelbaren Nähe bis 1944 ein KZ-Außenlager befand.
Der nächste Ball kommt geflogen, Zeit für mich, das Weite zu suchen und in meinem provisorischen Zuhause weiterzuschreiben.
Newsletter abonnieren
Quellen:
Benz, Wolfgang und Distel, Barbara (Hg.): Der Ort des Terrors – Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager – Band 2 Frühe Lager, Dachau, Emslandlager. München 2005
Kucera, Wolfgang: Fremdarbeiter und KZ-Häftlinge in der Augsburger Rüstungsindustrie. Augsburg 1996
Römer, Gernot: Für die Vergessenen – KZ-Außenlager in Schwaben – Schwaben in Konzentrationslagern. Berichte, Dokumente, Zahlen und Bilder. Augsburg 1984
Fotos: © Andrea Halbritter
Weitere Artikel zu Konzentrationslagern:
Was ein französisches Patent mit dem KZ-Lager Kaufering VII zu tun hat
Eindrücke aus der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau (Gastbeitrag)