Buchtipp Erinnerungsarbeit: Max Mannheimer: Spätes Tagebuch – Theresienstadt – Auschwitz -Warschau – Dachau
Max Mannheimer wurde 1920 in Neutitschein (Tschechoslowakei) geboren. In seinem Späten Tagebuch schildert er seine Erinnerungen an Theresienstadt, Auschwitz, Warschau und Dachau. Bestimmt waren sie ursprünglich lediglich für seine Tochter Eva, für die er sie Ende 1964 zu Papier brachte, nachdem seine zweite Frau gestoben war.
An eine Veröffentlichung hatte Max Mannheimer über 20 Jahre nicht gedacht, bis Barbara Distel, die damalige Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, 1985 bei der Vorbereitung der Dachauer Hefte auf sein Typoscript stieß. Als Buch wird seine Geschichte seit dem Jahr 2000 immer wieder gedruckt.
Die derzeitige Ausgabe hat 144 Seiten und ist in sechs Kapitel unterteilt. Hinzukommen ein 12-seitiges Vorwort des Historikers Wolfgang Benz, in dem der Leser mehr über den Verfolgten, Maler und Zeitzeugen Max Mannheimer erfährt. Außerdem erklärende Anmerkungen, eine kurze Bibliografie und ein Nachwort von Ernst Piper.
Kapitel 1: Jugend in Neutitschein
In Kapitel 1 erzählt Max Mannheimer vom Kennenlernen seiner Eltern sowie von seiner Kindheit und Jugend in Neutitschein (Tschechoslowakei), in der er bemerkt, dass seine Familie aufgrund ihres Judentums anders ist als die der anderen Volksschüler.
Erste Anzeichen des Nationalsozialismus bemerkt er bereits in den Jahren 1934 bis 1936 auf der Handelsschule, ohne jedoch die drohende Gefahr zu sehen. Dies ändert sich, als Hitler im März 1938 in Österreich einmarschiert und sich seine Truppen in unmittelbarer Nähe befinden. Im Oktober wird schließlich auch das Sudetenland besetzt und das Leben in Neutitschein ändert sich radikal. Überall sind Hakenkreuze zu sehen, viele deutsche Kunden weigern sich fortan, in jüdischen Geschäften einzukaufen. Am 10. November kommt es auch in einem Teil der Tschechoslowakei zur Kristallnacht, jüdische Männer werden verhaftet.
Kapitel 2: Ungarisch-Brod
Ende Januar 1939 zieht die Familie Mannheimer nach Ungarisch-Brod. Sie hofft, dort ein angstfreies Leben führen zu können. Nur wenige Wochen später marschieren jedoch auch in Ungarisch-Brod deutsche Truppen ein. Da Juden nur noch erlaubt wird, manuelle Tätigkeiten zu verrichten, kann Max in seiner Gewürz- und Sammenhandlung nicht mehr arbeiten und heuert beim Straßenbau an. Eine Arbeit, die ihm durchaus gesieht, da man “was sieht”.
In Ungarisch-Brod lernt er auch Eva Bock, seine erste Liebe, kennen, die er im September 1942 heiratet. Obwohl sein Bruder zu dem Zeitpunkt bereits verhaftet worden ist, sehen Max und der Rest der Familie die Gefahr, die auf sie zukommt, nicht. Schließlich erhalten alle Familienmitglieder die Aufforderung, sich am 27. Januar 1943 in einer Schule in Ungarisch-Brod einzufinden. Am darauffolgenden Tag transportiert man sie mit dem Zug nach Theresienstadt.
Kapitel 3: Theresienstadt
Das Kapitel über Theresienstadt umfasst nur wenige Seiten. Theresienstadt ist für die Familie nur eine Durchgangsstation für den angeblichen “Arbeitseinsatz im Osten”. Sehr schnell merken Max, seine Frau, seine Eltern, seine Brüder, seine Schwester und seine Schwägerin, dass es sich bei ihrem Ziel um Auschwitz-Birkenau handelt. Seine Frau Eva sieht Max an der Todesrampe zum letzten Mal.
Kapitel 4: Auschwitz-Birkenau
Der Station Auschwitz-Birkenau sind im Buch über 40 Seiten gewidmet. Sehr eindrucksvoll schildert Max Selektionen, gnadenlosen Drill, Misshandlungen, Hunger und Überlebensstrategien:
“Auch an Schläge kann man sich gewöhnen. Bei unserer Rückkehr wartet der Lagerkapo auf uns. (…) Er hat sich ein seltsames Spiel ausgedacht. Spießrutenlaufen. Mit dem Kies. Zwei Reihen Häftlinge, ungefähr zehn auf jeder Seite, stehen mit dem Gesicht zueinander. In den Händen halten sie Schaufelstiele. Die übrigen müssen durchlaufen. Und müssen geschlagen werden. Ich werde den Schlagenden zugeteilt. Ich hole zum Schlag aus, ohne in Wirklichkeit zu schlagen. Ich bemerke nicht, daß mich der Kapo beobachtet. Unter seinem Schaufelstiel breche ich zusammen.”
Seinen 23. Geburtstag hat Max im Lager:
“Heute bin ich dreiundzwanzig. Meine Brüder gratulieren. Nächsten Geburtstag in Freiheit! Die Freunde schließen sich an. Ich habe Mühe, die Tränen zu unterdrücken. Härte macht nicht hart. Zumindest nicht mich.”
Am 5. Oktober 1943 soll Max von seinem letzten Bruder getrennt werden. Um nicht allein zurückzubleiben, meldet er sich trotz einer größeren Wunde als arbeitsfähig und darf ihn schließlich zu einem Arbeitseinsatz ins Warschauer Getto begleiten.
Kapitel 5: Warschau
Betraut werden die beiden im Warschauer Getto mit Abbrucharbeiten. Danach meldet sich Max als Wäscher, was u. a. den Vorteil hat, dass er seine eigene Kleidung unbemerkt mitwaschen kann.
Aufgrund durchsickender Nachrichten hoffen die Häfltinge auf eine baldige Befreiung. Eines Tages werden alle auf Richtung Westen auf einen Fußmarsch geschickt:
“Hunger und Durst plagen uns. Wir kommen nach Sochaczew. Ein Fluß. Trotz Typhusgefahr trinken wir. Wir können nicht anders. Mit und ohne Kaulquappen.”
In Kutno werden die Gefangenen in Waggons verladen und nach Dachau transportiert.
Kapitel 6: Dachau
Im August 1944 kommen Max und sein Bruder Edgar im Konzentrationslager Dachau an. Nach drei Wochen Quarantäne in Dachau geht es weiter ins KZ-Außenlager Karlsfeld. Max Mannheimer wird einem Außenkommando zugeteilt, in dem er auf dem Gelände von BMW Hallen bauen soll. Er muss v. a. Zement schleppen. Nachdem er dort erkankt ist, wird er nurmehr für ‘leichte’ Arbeiten vorgesehen:
“Leicht? Zusammen mit einem sehr alten Häftling (…) transportiere ich mit einem Muli Leichen von Karlsfeld nach Dachau. Ins Hauptlager. Zur Verbrennung. (…) Ich habe darauf zu achten, daß die Toten zugedeckt bleiben. (…) Leichen aus dem KZ sind kein schöner Anblick.”
Im Januar 1945 werden Max und Edgar nach Mühldorf am Inn verlegt, das am 28. April 1945 von der SS geräumt wird. Zwei Tage später werden beide von der amerikanischen Armee befreit.
Buchtipp Erinnerungsarbeit: meine Meinung zum Buch
Mit seinen kurzen, häufig ellipsenartigen Sätzen schildert Max Mannheimer seine Erlebnisse während der NS-Zeit sehr eindrucksvoll. Ein Buch, das man nicht aus der Hand legen kann, bevor man es nicht zu Ende gelesen hat. 14 Schwarz-Weiß-Fotografien zeigen Max und seine Familie.
Mannheimer, Max: Spätes Tagebuch – Theresienstadt – Auschwitz – Warschau – Dachau – Mit einem Vorwort zur aktuellen Ausgabe von Wolfgang Benz. München/Berlin, 20166, ISBN 978-3-492-26386-3, 144 Seiten