Die Geschichte des vergessenen Konzentrationslagers Burgau
Eine schwäbische Kleinstadt im idyllischen Mindeltal zwischen Günzburg und Augsburg, viel Wald und eine Reichsautobahn. Dazu ab 1945 das KZ-Außenlager Burgau und das Waldwerk Kuno I.
Ein Holzbarackenlager für den Landdienst
Am 5. Mai 1942 berichtet der Burgauer Anzeiger über den Bau eines Holzbarackenlagers in der Nähe des Burgauer Jahnsportplatzes für den sog. Landdienst. Als Landhilfe werden ab 1933 Jugendliche zumeist im Alter von 14 bis 21 Jahren, die sich freiwillig gemeldet haben, in bäuerliche Familienbetriebe vermittelt und pro Monat mit bis zu 25 Reichsmark entlohnt. Das Landjahr rechnet man auf bestimmte Ausbildungszeiten an. Die Jugendlichen wohnen in gemeinsamen Unterkünften und werden auf umliegende Bauernhöfe verteilt.
Die Personalverwaltungsbaracken der Messerschmitt AG
Im März 1944 verlagert die Messerschmitt AG einen Teil ihrer Verwaltung in die bereits bestehenden Baracken in Burgau. Gleichzeitig laufen die Planungen für das KZ Burgau.
Ab 1944 starten die Alliierten als Reaktion auf den Angriffskrieg der Nationalsozialisten immer mehr Bombenangriffe auf das Gebiet des Deutschen Reichs. Um die alliierten Bomber abzuschießen, kommt es zum “Jägerprogramm”. Für eine reibungslose Produktion der Jagdflugzeuge, die nicht das Ziel feindlicher Angriffe werden kann, benötigt man sichere Fertigungsstätten. Produziert werden soll in Tunneln, Waldwerken (zum Beispiel Blechschmiede Horgau), Stollen und Großbunkern. So sind bei Kaufering 6 Großbunker geplant, für deren Bau es zum Beispiel zu den Lagern Kaufering IV und Kaufering VII kommt.
Aufgrund des Fronteinsatzes deutscher Männer fehlen der Rüstungsindustrie Arbeitskräfte. Unternehmen, wie BMW und Messerschmitt, “mieten” daher von der SS KZ-Häftlinge. Ab Anfang 1943 arbeiten in den Werken der Augsburger Messerschmitt AG fast 3 000 KZ-Insassen.
Zwangsarbeiterlager und Entstehung des KZ Burgau
Im September 1939 kommen im Lager Burgau Zwangsarbeiter aus dem Osten an. Einer Liste zufolge handelt es sich um 39 Arbeitskräfte. Im Februar 1945 räumt die Messerschmitt AG die Personalverwaltungsbaracken. 100 männliche Häftlinge aus dem KZ Augsburg-Pfersee treffen ein und sollen das etwa 36 000 m² große Gelände zu einem KZ-Außenlager umbauen. Anfang März 1945 werden insgesamt 1000 Jüdinnen in Viehwaggons von Polen und Ungarn auf die Reise nach Burgau geschickt. 979 treffen dort lebend ein. Zuvor waren sie in Ravensbrück oder Bergen-Belsen inhaftiert.
Die Zugfahrt der Eva Langley-Dános
Über die Zugfahrt vom Konzentrationslager Ravensbrück nach Burgau berichtet die ungarische Jüdin Eva Langley-Dános in ihren Erinnerungen, die sie auf Anraten eines Benediktinermönchs unmittelbar nach ihrer Befreiung niederschreibt. Als sie ihren schrecklichen Bericht verfasst, liegt sie auf 26 kg abgemagert im Spital von St. Ottilien. Sie erzählt vom Ringen nach Luft in den übervollen Waggons, von qualvollem Durst, erbärmlich niedrigen Temperaturen, in der Notdurft der anderen liegenden Frauen und mehreren Bombenangriffen. In einen Waggon wurden bis zu 110 Frauen gepfercht und 16 Tage lang quer durch das Reich gekarrt. Nur ein Teil davon trifft lebend in Burgau ein. Andere Frauen sterben nach der Ankunft.
Die Bedingungen im KZ-Lager Burgau
Das KZ-Außenlager Burgau war von Stachel- und Maschendrahtzaun sowie Wachtürmen umgeben. Jeder der vier Wachtürme war von einem mit einem Maschinengewehr bewaffneten SS-Mann besetzt. Geschlafen wurde in Stockbetten, Frauen- und Männerlager waren durch einen Zaun voneinander getrennt. Hunger und Unterernährung waren nicht nur Teil des Transports, sondern auch des Alltags im Lager. Zu essen gab es pro Tag zwei Scheiben Brot sowie eine Wassersuppe. Hinzu kam Kaffee-Ersatz. Zur Ausstellung von Totenscheinen griff man auf den niedergelassenen Burgauer Arzt Dr. Karl Schäffer zurück. Tote gab es mindestens 18. Von Schäffer erwartete man, dass er die Totenscheine ausstellte, ohne die Leichen gesehen zu haben. Dies verweigerte er jedoch, so dass er Zugang zum Lager bekam und sich um die Kranken kümmern konnte.
Die Arbeit im Scheppacher Forst für Kuno I
Waldwerk Kuno I im Scheppacher Forst und Waldwerk Kuno II bei Riedheim wurden gleichzeitig von Ostarbeitern aus dem Boden gestampft. Zur Arbeit verpflichtet wurden ferner Arbeiter der Region, die an der Front nicht eingesetzt werden konnten.
Für die Arbeit in den Kuno-Werken wurden 120 Männer und 120-150 Frauen ausgesucht. Man brachte sie mit Lastwagen und Bussen zur Arbeit ins Waldwerk. Bei drohenden Luftangriffen mussten sie zu Fuß laufen. Die bei der Firma Kuno beschäftigten Arbeiter bekamen die doppelte Ration Brot. Ein paar der Frauen waren außerdem in der Gemeinde Burgau zu Erdarbeiten oder zu Arbeiten im Lager selbst eingesetzt. Die meisten jedoch hatten nichts zu tun.
Flugzeuge wurden im Kuno-Werk gemeinsam mit Facharbeitern Teil für Teil zusammengesetzt. Die Einzelteile der Me 262 stammten aus anderen Produktionsstätten in Bayern, Baden-Württemberg und Wiener Neustadt. Sie wurden entweder über die Autobahn oder mit dem Zug angeliefert. Erreichen konnte die Me 262 bis zu 870 km/h, womit sie anderen Düsenflugzeugen ihrer Zeit weit überlegen war. Von der Messerschmitt AG war die Me 262 ursprünglich als Abfangjäger konzipiert, musste dann aber auf Verlangen Hitlers zum Bomber umgerüstet werden. Im Scheppacher Forst wurde die Endmontage erledigt.
Drei SS-Leuten bewachten die Häftlinge im Waldlager. Die Wachen saßen jedoch vorwiegend in einer warmen Hütte. Laut Zeugenaussagen wäre eine Flucht daher durchaus möglich gewesen, jedoch fehlte die Kraft. Weitere 28 Wachleute befanden sich im Außenlager Burgau selbst.
Gearbeitet wurde in Schichten von 10 bis 12 Stunden.
Den Mittelpunkt von Kuno I stellte eine große, mit einem Tarnnetz versehene Montagehalle dar, deren Grube man heute noch im Wald erkennen kann. Zur Anlage gehörten auch Toiletten, Kantine, ein Trafohäuschen, eine Heizbaracke, ein Erdbunker, ein Be- und Entwässerungssystem, eine Kompensierscheibe … Die Startbahn der Me 262 befand sich auf dem grün gestrichenen Mittelstreifen der nahen Reichsautobahn.
Die weiblichen Häftlinge arbeiteten im Waldwerk Kuno I mit Sprühpistolen an der Tarnung der Me 262. Außerdem mussten sie für Betonierungsarbeiten Beton schleppen.
Die Räumung des KZ-Außenlagers Burgau
Geräumt wurde das Lager Burgau am 24. April 1945. Per Bahn sollten die Gefangenen nach Kaufering transportiert werden, der Zug kam aber nur bis Türkheim, von wo aus ein Teil der Häftlinge nach Allach getrieben wurde. Ein Todesmarsch, auf dem mindestens 60 Gefangene das Leben verloren.
1946 inhaftiert man im Lager SS-Angehörige, ab 9. Oktober desselben Jahres finden vorwiegend Flüchtlinge aus Schlesien und Pommern eine Bleibe im ehemaligen KZ-Außenlager Burgau. 1959 werden die Baracken aufgelöst.
Gefangenenschicksale
Ruth Cohen
Die Jüdin Ruth Cohen wurde 1920 als Runia Zuckerbrot in Krakau geboren. Im Krakauer Ghetto versuchten sie ihre Eltern vergeblich zu verstecken. Mit ihrem Bruder wurde sie in das KZ Plaszów verschleppt, wo sie permanent Angst hatte, vom Lagerkommandanten Amon Göth getötet zu werden. In Plaszów musste Ruth ein Jahr lang in einer Papierfabrik arbeiten und wurde dann in eine Munitionsfabrik in Skarzysko zur Arbeit gezwungen. Wenig später kam sie in die Konzentrationslager Buchenwald und Bergen-Belsen, von wo aus sie mit dem Zug nach Burgau gebracht wurde. Nach der Auflösung des Lagers Burgau wurde sie auf einen Transport nach Türkheim geschickt. Dort gelang ihr mit Hilfe eines Dorfbewohners die Flucht. Nach der Befreiung fand sie ihren Bruder wieder und flüchtete zuerst nach Palästina sowie anschließend in die USA.
Alexander Feuer
Der Jude Alexander Feuer wurde 1929 geboren. Vor seiner Deportation nach Auschwitz-Birkenau im Mai 1944 hielt er sich kurz in einem ungarischen Getto auf. Alexander arbeitete bis 1945 in vier Lagern: Kaufering, Kaufbeuren, Burgau und Türkheim. Aus dem KZ-Lager Türkheim gelang ihm die Flucht. An den Kriegsverbrecherprozessen trat er als Zeuge auf.
Ann Frum
Ann Frum wurde 1925 in Polen geboren. Nach der Invasion der Deutschen musste ihre Familie in mehreren Gettos leben. Ann leistete in der Munitionsfabrik von Tschenstochau Zwangsarbeit und lernte dort ihren späteren Mann kennen. Sie wurde zunächst ins KZ Ravensbrück und dann nach Burgau verschleppt. Da sie es im Lager Burgau nicht schaffte, schwere Suppenkessel zu schleppen, schlug man ihr mit einem Knüppel ins Gesicht, weswegen ihr nach dem Krieg mehrere Zähne entfernt werden mussten. Nach der Evakuierung des Lagers Burgau war sie in den Lagern Türkheim und Allach inhaftiert, wo sie von der US-Armee befreit wurde. Nach der Befreiung emigrierte sie mit ihrem Mann in die USA.
Die Bevölkerung in und um Burgau
Was sich auf dem heutigen Gelände der Heimstättensiedlung in Burgau abspielte, war den Burgauern durchaus bekannt. So berichteten Zeitzeugen davon, die Ankunft der halbverhungerten jüdischen Frauen gesehen zu haben. Andere wiederum begegneten KZ-Häftlingen, als diese mit einem Handkarren in Burgauer Bäckereien und Metzgereien Verpflegung für das Lager holten. Außerdem soll ein Wachmann einmal zehn Häftlingen erlaubt haben, in benachbarten Bauernhöfen nach Essen zu betteln. Die Rede ist außerdem von einem Bauer, der beim Vorbeifahren mit seinem Mistwagen Äpfel ins Lager warf, was ein Wachmann mit mehreren Schusssalven quittierte. Ein anderer soll über den Zaun des Waldwerks Kartoffeln geworfen haben.
Bei heranbrechender Dunkelheit wurde Bäuerin Katharina Felber in ihrem Garten auf zwei KZ-Häftlinge aufmerksam, die ihr per Zeichen zu verstehen gaben, dass sie großen Hunger hatten. In den folgenden Wochen legte sie ihnen jeden Abend Brot, Nudeln oder Äpfel unter einen Baum, bis eines Tages niemand mehr die Speisen abholte. Zum Dank fand sie einmal eine selbstgebastelte Kartoffelpresse unter dem Baum vor.
Mehrere Bauern boten Lagerleiter Kresse Essen für die KZ-Häftlinge an, das dieser jedoch ablehnte. Deutsche Zivilarbeiterinnen in den Kuno-Werken sollen außerdem für ihre Kolleginnen Nahrungsmittel gesammelt haben.
Nicht hinweg täuschen sollten diese Berichte jedoch darüber, dass die überwiegende Mehrzahl der lokalen Bevölkerung schlicht und ergreifend nichts unternahm, um die Bedingungen der Häftlinge zu verbessern oder sich gar gegen das NS-Regime aufzulehnen.
Die Täter
Lagerkommandant Kresse wurde nach dem Krieg von einem amerikanischen Militärgericht zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Dem 1898 geborenen Kresse wurden Verbrechen in den Außenlagern Pfersee, Burgau, Wertingen und Dillingen vorgeworfen. Verurteilt wurde Kresse, der seinen Namen nach dem Krieg in Kullik umänderte, v. a. wegen Vorkommnissen in Pfersee, wo er Gewaltexzesse nicht verhindert hatte. Seine Strafe: 5 Jahre Haft. In Burgau hatte er ferner auf Häftlinge mit einem Stuhl eingeschlagen. Laut Zeugenaussagen keine Seltenheit. Als entlastend wurde gewertet, dass er für Burgauer Häftlinge Medizin bestellt hatte. Lagerleiter Kreber wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt. Wie andere Aufseher und Aufseherinnen bestraft wurden, ist nicht bekannt. Besonders brutal war auch KZ-Aufseherin Josefine Rippl, die Häftlingsfrauen mit einer Peitsche und Kabelresten schlug und ihnen ihre warme Kleidung wegnahm. Ob sie dafür je verurteilt wurde, konnte ich nicht herausfinden.
KZ-Außenlager Burgau und Kuno I heute:
Im Scheppacher Forst existiert seit dem Herbst 2018 ein 4 km langer Gedenkweg. Los geht es an dem Parkplatz am Solarfeld, wo eine erste Gedenktafel steht. Den Parkplatz erreicht man, wenn man von der Autobahn A8 die Abfahrt Burgau nimmt und am ersten Kreisverkehr auf einen Kiesweg fährt, der parallel zur Autobahn verläuft und nach einer längeren Strecke am Parkplatz endet. Auf dem Gedenkweg erwarten den Besucher gut erkennbare Fundamente, Infotafeln sowie vier Holzkisten, in denen sich Fundstück und weitere Infos befinden.
Im Museum Zusmarshausen befindet sich außerdem eine Ausstellung zu Konzentrationslager Burgau, Kuno-Werken und Me 262. Ausstellung und Gedenkweg gehen unter anderem auf Christus Katsikis, einen Ausbilder der Luftwaffe für Starfighter und Jagdbomber, zurück, bei dem ich mich ganz herzlich für die Privatführung durch Forst und Museum bedanke, nachdem wir ihn ganz zufällig in Seestall getroffen hatten. Weitere Initiatoren: Augsburger Allgemeine und Forstbetrieb Zusmarshausen.
Der Dachstuhl der Montagehalle von Kuno II wurde nach dem Krieg in Gabelbach zum Bau eines Sägewerks verwendet. Dieses steht noch heute.
In Burgau erinnert seit 2011 ein Mahnmal an die Menschen, die im Konzentrationslager leiden mussten. Zusätzlich informieren Stelen über die Geschichte des Lagers.
Quellen:
Benz, Wolfgang; Distel, Barbara: Der Ort des Terrors – Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager Band II Frühe Lager Dachau Emslandlager. München 2005
Czysz, Maximilian: Mit einem Knüppel aus Elektrodraht schlug sie zu, in: Augsburger Allgemeine, 10.03.2016
Czysz, Maximilian: Windkraft und Wunderwaffe, in: Augsburger Allgemeine, 11.08.2016
Czysz, Maximilian: Im Kuno-Wald steckt Geschichte bald in Kisten, in: Augsburger Allgemeine, 29.06.2018
Czysz, Maximilian: Hitlers “Wunderwaffe” auf der Spur, in: Augsburger Allgemeine, 23.07.2018
Czysz, Maximilian: Wie die Geheimsache in den Wald kam, in: Augsburger Allgemeine Zusamtal, 27.10.2018
o. Hg.: Wunderwaffe aus dem Wald – Das Geheimwerk Kuno im Scheppacher Forst und andere Rüstungsstätten der Nazis im Augsburger Land. Augsburg 2016
o. A.: Der “Schrecken” des Lagers Türkheim auch in Burgau, in: Augsburger Allgemeine, 20.02.2016
Römer, Gernot: Für die Vergessenen – KZ-Außenlager in Schwaben – Schwaben in Konzentrationslagern. Augsburg 1984
Ausstellungstexte Museum Zusmarshausen und Gedenkweg Scheppacher Forst
Fotos: © Andrea Halbritter, Harald Munding (Mahnmal), Museum Zusmarshausen (Sägewerk)
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