Dark Tourism in Potsdam: Geschichtspfad Militärstädtchen Nr. 7
Während ich NS-Konzentrationslager ganz bewusst aufsuche, bin ich im Februar 2019 völlig zufällig auf das Untersuchungsgefängnis der sowjetischen Militärspionageabwehr in Potsdam gestoßen.
Wir hatten gerade einen Besuch der russischen Kolonie Alexandrowka abgeschlossen, welche Friedrich Wilhelm II. von Preußen in den Jahren 1826/27 errichten ließ, und waren auf dem Weg zum Pfingstberg, als wir ein Schild entdeckten, das uns auf die Geheimdienststadt „Militärstädtchen Nr. 7“ hinwies.
Neben der Zentrale des sowjetischen Geheimdienstes in Ostberlin war die Geheimdienststadt „Militärstädtchen Nr. 7“ der bedeutendste Vorposten des Nachrichtendiensts an der Grenze zu Westeuropa.
Die ersten Gebäude in Potsdam wurden von der Roten Armee bereits im April 1945 beschlagnahmt. Schon vier Monate später umfasste das Militärstädtchen dann ein Areal von 16 ha mit insgesamt 100 Gebäuden, in denen sowohl verschiedene Abteilungen des russischen Geheimdiensts als auch Personal und Angehörige untergebracht waren. Das Viertel verfügte zudem mit Lebensmittelgeschäften, Krankenstationen, Hotels, Bibliotheken, Modeboutiquen, Saunen u. v. m. über eine ausgesprochen gute Infrastruktur. Vom Rest der Stadt war es durch Schlagbäume, Zäune und Wachtürme hermetisch abgeriegelt.
Ende der 1940er-Jahre arbeiteten in der Potsdamer Zentrale der Militärspionageabwehr insgesamt 150 Personen.
Durch das Militärstädtchen führt den interessierten Besucher ein etwa zweieinhalb Kilometer langer Geschichtspfad mit 14 Informationstafeln in deutscher und englischer Sprache.
Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße
Eine Station des Rundgangs ist das Untersuchungsgefängnis in der Leistikowstraße. Ursprünglich handelte es sich bei dem 1916 errichteten Gebäude um ein Pfarrhaus des Evangelisch-Kirchlichen Hilfsvereins. Vom sowjetischen Geheimdienst wurde es zum Gefängnis umgebaut.
Häftlinge im Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße
Im Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße in Potsdam wurden Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen festgehalten. Kurz nach dem Krieg wurde ihnen v. a. eine Mitschuld an NS-Verbrechen vorgeworfen. Auch der Verdacht, der im September 1944 von Himmler ins Leben gerufenen Untergrundorganisation Werwolf anzugehören, führte zu Festnahmen.
Ab dem Jahr 1946 wurden Menschen aus verschiedenen Schichten und auch Altersgruppen immer öfter unter dem Vorwurf der „Spionage“ inhaftiert, wobei der jüngste Gefangene 12 Jahre alt war und das Etikett „Spionage“ insbesondere dazu diente, Kritik am Regime zu unterbinden.
Seit den 1960er-Jahren waren in der Leistikowstraße ferner Bürger der Sowjetunion wegen Fluchtversuchen, krimineller Delikte oder anderer Verstöße verhaftet. In der DDR lebten zum damaligen Zeitpunkt etwa eine halbe Million Sowjetbürger, die dort als Soldaten stationiert waren. Viele davon erhielten nur wenig Sold und wurden außerdem nur unzureichend verpflegt, was u. a. zu Diebstählen führte. Manche versuchten auch, aus politischen oder wirtschaftlichen Motiven in den Westen zu fliehen.
Nach dem Staatsvertrag zwischen der Sowjetunion und der DDR vom 20. September 1955, welcher zu einer Änderung der besatzungsrechtlichen Bestimmungen führte, verhaftete die sowjetische Militärspionageabwehr nur noch Militärangehörige sowie Zivilangestellte der eigenen Streitkräfte.
Während der Zeit des Kalten Kriegs erfolgten Verhaftungen von Deutschen zunehmend unter dem Vorwurf der Spionagetätigkeit für westliche Geheimdienste. Für eine Festnahme reichte schon aus, dass man mit jemandem befreundet war bzw. jemanden flüchtig kannte, dem Spionage vorgeworfen wurde.
Ankunft im Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße
In das Gefängnis in der Leistikowstraße wurden Frauen und Männer aus sämtlichen Teilen der DDR sowie der sowjetischen Besatzungszone gebracht. Im Gefängnis kamen sie in vergitterten und mit Gardinen bestückten Bussen oder Lastwagen an, so dass sie meist nicht sehen konnten, wo sie hingebracht wurden. Neuankömmlinge wurden Leibesvisitationen unterzogen und mussten persönliche Gegenstände abgeben. Ebenso nahm man ihnen Utensilien, wie Gürtel und Schnürsenkel, ab. Von Häftlingen, die in anderen Anstalten noch nicht fotografiert worden waren, wurden Bilder gemacht. Auch Fingerabdrücke wurden abgenommen und bereits bei der Aufnahme im Potsdamer Untersuchungsgefängnis kam es zu ersten gewalttätigen Übergriffen.
Ermittlungsarbeit
Die Untersuchungsabteilung befand sich direkt neben dem Gefängnis. Sie führte Verhöre durch, vernahm Zeugen und suchte nach Beweisen. Geständnisse wurden hauptsächlich unter Gewaltanwendung und Folter erpresst. Ab 1950 arbeitete die Untersuchungsabteilung mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) zusammen.
Dem Personal der Untersuchungsabteilung waren Gefangene völlig schutzlos ausgeliefert. Die Untersuchungsführer wandten nicht nur Gewalt an, sondern verschwiegen bisweilen auch Sachverhalte, die zur Entlastung der Häftlinge geführt hätten.
Zur Festnahme führte bereits ein Verdacht. Zur Ermittlungsarbeit zählten Hausdurchsuchungen, das Erpressen von Zeugenaussagen, Verhöre und ein ausgeprägtes Spitzelsystem.
Verhöre fanden sowohl in der Untersuchungsabteilung als auch im Obergeschoss des Gefängnisses in der Leistikowstraße statt. Häftlinge hatten kein Recht auf einen Anwalt und durften auch mit ihren Angehörigen nicht kommunizieren, nicht einmal Briefe waren erlaubt. Sprachen die Gefangenen kein Russisch, wurden Dolmetscher eingesetzt.
Gefängnispersonal
Das Gefängnispersonal bestand zu 100 % aus Geheimdienstmitarbeitern. Ende der 1940er-Jahre waren im Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße etwa zwölf Aufseher tätig. Hinzu kamen ein Sekretär, ein Koch und ein Angestellter der Krankenstation. Ab 1950 vergrößerte sich der Personalbestand.
Die Wachsoldaten sprachen mit den Häftlingen ausschließlich Russisch, was von den meisten deutschen Gefangenen nicht verstanden wurde. Befolgten sie Befehle nicht, wurden sie jedoch trotzdem bestraft. In Kontakt mit dem Gefängnispersonal kamen die Häftlinge v. a. während der Ausgabe des völlig unzureichenden und sehr einseitigen Essens oder beim Abholen zu Verhören.
Haftbedingungen im Gefängnis Leistikowstraße
Im Gefängnis Leistikowstraße kam es zu massiver Folter. Insbesondere in den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs litten die Häftlinge auch unter extremem Hunger und großer Kälte. Sie waren von der Außenwelt völlig abgeschnitten, konnten keinerlei Tätigkeiten ausüben und sich auch kaum bewegen. Hinzu kamen Schlafentzug, Isolierzellen, Dunkelhaft und eine fehlende medizinische Versorgung.
Durch die unverglasten Fenster mit Holzbeschlägen drangen nur wenig Luft und natürliches Licht. Frauen und Männer waren getrennt voneinander untergebracht.
Die hygienischen Verhältnisse waren ausgesprochen schlecht und verbesserten sich erst in dern 1960er- und 1970er-Jahren, als es u. a. zum Einbau von Toiletten und Waschbecken kam. Vorher standen in den Zellen zum Verrichten der Bedürfnisse lediglich Kübel zur Verfügung, die oft nur jeden zweiten Tag geleert wurden.
In den ersten Jahren gab es weder Zahnbürsten noch Seife oder Handtücher und auch kein Toilettenpapier. Die Gefangenen konnten ihre Kleidung nicht wechseln und waren daher nach kürzester Zeit völlig verdreckt und von Ungeziefer befallen.
In den ersten Jahren gab es außerdem kaum Decken oder Strohsäcke, Häftlinge mussten in der Regel auf blanken Holzpodesten schlafen.
Viele fürchteten, in die Sowjetunion deportiert zu werden. Wo sie sich befanden, war den meisten nicht klar.
Durch Spione in Türen und teils auch im Mauerwerk waren Gefangene einer permanenten Überwachung ausgesetzt.
Wer in einer Sammelzelle untergebracht war, konnte zumindest mit anderen kommunizieren, musste aber ständig Angst haben, dass sich unter den Mithäftlingen auch eingeschleuste Spitzel befanden. Ab den 1960er-Jahren waren Hofgänge möglich.
Wie viele Menschen an den Haftbedingungen starben, ist nicht geklärt.
Verhöre und Prozesse
Während ihrer Haft wurden Häftlinge intensiv verhört. Da sie häufig der einzige Schuldbeweis waren, wurden Geständnisse mit sämtlichen Mitteln erpresst.
Eines davon war die Isolationshaft im Stehkarzer, der so eng war, dass Gefangene sich nicht einmal hinsetzen konnten. In dieser Zelle mussten sie mehrere Tage bleiben, wobei jegliche Frischluftzufuhr fehlte und sie also auch Angst hatten, ersticken zu müssen. Viele Häftlinge im Stehkarzer fielen bereits nach mehreren Stunden in Ohnmacht und wurden dann vom Wachpersonal mit kaltem Wasser überschüttet, so dass sie wieder zu sich kamen.
Nach Beendigung der Verhöre kam es vor sowjetischen Militärtribunalen zum Prozess. Auch hier waren weder Verteidiger noch Entlastungszeugen zugelassen. Das Strafmaß reichte von mehrjährigen Haftstrafen bis hin zum Tod.
Häftlingsinschriften
Im Keller des Gefängnisses Leistikowstraße sind mehr als 1 200 Häftlingsinschriften erhalten. Etwa die Hälfte davon wurde in Russisch verfasst.
Die Inschriften ritzten Häftlinge mit Fingernägeln, Holzsplittern oder Besteck in die Wände. Sie versuchten so, sich zeitlich zu orientieren, Informationen über sich dazulassen, ihrem christlichen Glauben Ausdruck zu verleihen oder sich einfach nur zu beschäftigen.
Namensinschriften befinden sich in der Gedenkstätte etwa 60. Teils sind Angaben zu Wohnort, Alter, Datum des Prozesses und Strafmaß vorhanden. Die Gefangenen erhofften sich hiervon, dass andere diese Informationen weitergeben und ihre Familien benachrichtigen würden.
Gedenkstätte Leistikowstraße Potsdam
Die Stiftung Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam wurde im Dezember 2008 gegründet und wird von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten verwaltet.
Die Dauerausstellung der Gedenkstätte wurde im Frühjahr 2012 eröffnet und kann seither an sechs Tagen in der Woche besucht werden. Hinzu kommen Sonderausstellungen sowie Veranstaltungen und pädagogische Angebote.
Die Besucherzahlen belaufen sich pro Jahr auf etwa 10 000 Personen. Für einen Besuch der reich dokumentierten Dauerausstellung sollte man mindestens zwei Stunden einplanen. Gruppenführungen sind nach vorheriger Anmeldung möglich.
Ein großer Teil der Arbeit der Gedenkstätte besteht ferner darin, ehemalige Häftlinge und deren Angehörige zu betreuen und bei der Klärung von Haftschicksalen behilflich zu sein bzw. bei der Rehabilitierung von Einzelpersonen mitzuwirken.
Informationen über bestimmte Häftlinge finden sich auch in der Dauerausstellung und zeigen, wie willkürlich und aus welch nichtigen Gründen Menschen teilweise verhaftet wurden.
Ein Besuch, der sich – selbst wenn er sehr bedrückt – lohnt und der sehr anschaulich zeigt, welchen Gefahren und Schikanen DDR-Bürger ausgesetzt waren.
Blogparade Schwarzer Tourismus:
Dieser Beitrag ist Teil der Blogparade Schwarzer Tourismus von The Road most traveled. Beiträge sind noch bis 1. August möglich.
Weitere Beiträge zur Blogparade sind z. B.:
Texterin und Übersetzerin auf der Suche nach vergessenen Konzentrationslagern
Denise‘ Bucketlist: Schwarzer Tourismus? – Ein Besuch in Auschwitz-Birkenau
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Quellen:
Informationstafeln in der Gedenkstätte
Website der Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam
Fotos: © Andrea Halbritter