Ende März 2024 echauffierte sich Historiker Hubertus Knabe, bis 2018 Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen, auf X (ehemals Twitter): „Hessen verbietet Gendersternchen in der Verwaltung. Wann sorgt Berlin dafür, dass diese Unsitte wieder aus seinen staatlich bezahlten Museen verschwindet?“ Sind Gendersternchen an Museen und Gedenkstätten tatsächlich eine Unsitte oder aber sind sie dringend nötig?
Genderzeichen in Ausstellungstexten in Museen und Gedenkstätten: ja, unbedingt!
Möglichkeiten gendergerechter Sprache in Museen und Gedenkstätten
Generell ist zu sagen: Gendergerechte Sprache steht für ein respektvolles, wertschätzendes Zusammenleben ohne Klischees und stereotype Rollenbilder. Gendersensible Sprache schließt alle Menschen ein, egal, welche sexuelle Identität sie haben. Texte sind gendergerecht formuliert, wenn aus ihnen hervorgeht, ob ausschließlich Frauen, ausschließlich Männer oder alle Geschlechter gemeint sind. Sind nur Frauen oder Männer gemeint, werden diese explizit als solche genannt.
Wer gendergerecht schreiben will, kann aus einer Vielfalt an Möglichkeiten schöpfen:
- Genderzeichen (Gendersternchen, Unterstrich, Doppelpunkt)
- Gendern mit Binnen-I
- Gendern mit y
- Genderumschreibende, geschlechtsneutrale Formulierungen
- Paarform
Jede dieser Möglichkeiten hat Vor- und Nachteile. Manche Genderzeichen sind nicht für alle Screenreader ideal, andere sind schwer lesbar oder behindern das Verständnis. Die Paarform erwähnt nur Frauen und Männer explizit. Personen, die sich anders definieren, werden nicht miteingeschlossen.
Selbstverständlich sind alle oben genannten Möglichkeiten auch in Ausstellungstexten an Museen und Gedenkstätten denkbar, so zum Beispiel:
- Gendersternchen: Zwangsarbeiter*innen; Maler*innen; Ärzt*innen; Unterstützer*innen
- Gendern mit Binnen-I: ZwangsarbeiterInnen; MalerInnen; ÄrztInnen; UnterstützerInnen
- Gendern mit y: Zwangsarbeitys; Malys; Ärztys; Unterstützys
- Genderumschreibende, geschlechtsneutrale Formulierungen: Zwangsarbeiterschaft; malende Personen; Ärzteschaft; Unterstützende
- Paarform: Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter; Malerinnen und Maler; Ärztinnen und Ärzte; Unterstützerinnen und Unterstützer
Allerdings unterliegen Ausstellungstexte in der Regel einer Zeichenbeschränkung: In Ausstellungsräumen, auf Fahnen und Schildern ist der Platz begrenzt, so dass man sich in Museen und Gedenkstätten eher für kürzere Varianten entscheiden wird. Heißt: Die Paarform scheidet in der Regel aus. Auch genderumschreibende, geschlechtsneutrale Formulierungen sind häufig lang oder wenig gebräuchlich.
Übrig bleiben gendersensible Varianten mit Genderzeichen, Binnen-I oder y. Mit y zu gendern ist eine recht neue Entwicklung, die in bestimmten Kreisen seit etwa 2023 vor allem auf Twitter/X verbreitet ist. So nennen Lehrkräfte ihre Schüler*innen zum Beispiel Schülys. Ansonsten hat sich das y bisher kaum eingebürgert, vermutlich auch weil es an verniedlichende Formen mit i erinnert: Rudi (Rudolf), Andi (Andrea oder Andreas), Klausi (Klaus) …
Mit Binnen-I zu gendern war vor ein paar Jahrzehnten en vogue, als es die anderen Varianten noch nicht gab. Ich persönlich finde es schwierig, auf das Binnen-I zurückzugreifen, da kleines L und großes i optisch nicht zu unterscheiden sind.
Bleiben noch drei Optionen: Gendern mit Gendersternchen, Unterstrich oder Doppelpunkt.
Gegen den Doppelpunkt spricht, dass Teile der Queer-Community ihn als binäres Zeichen sehen. Diese Meinung vertreten jedoch nicht alle Menschen der Community. Bei einer Fortbildung 2023 erfuhr ich, dass einige jüdische Menschen durch das Gendersternchen an den Judenstern der Nazis erinnert werden. Screenreader-Nutzer*innen haben unterschiedliche Präferenzen. Manche sprechen sich für das Gendersternchen, andere für den Doppelpunkt aus.
Warum du in Museen und Gedenkstätten unbedingt gendern solltest
Warum dann also nicht weiter wie seit Jahrzehnten? Weshalb Ausstellungstexte nicht einfach mit generischem Maskulinum versehen? Motto: mitgemeint.
Zugegebenermaßen war ich lange Zeit eine Vertreterin des generischen Maskulinums. Ich mag gut formulierte Texte und insbesondere Genderzeichen sah ich als eine Verhunzung des Deutschen an. Für mich war klar: Alle sind gemeint.
Meine Meinung geändert habe ich 2018. In Thailand ereignete sich damals ein furchtbares Unglück. 17 Tage waren zwölf Jungen und ihr Trainer nach heftigen Regenfällen in der Tham-Luang-Höhle eingeschlossen. Die ganze Welt bangte mit den Angehörigen: Würde es möglich sein, die Fußballmannschaft mit ihrem Trainer lebendig aus der Höhle zu retten?
Weltweit berichteten Zeitungen und Zeitschriften von der Rettungsaktion. Auch ich las einige der Artikel. Zahlreiche Taucher*innen riskierten ihr Leben, um die Gruppe zu retten. Ein 38-jähriger Taucher starb, während er Druckluftflaschen in die Höhle transportierte.
Kurz nach der erfolgreich abgeschlossenen Rettung besuchte ich einen Online-Vortrag zum Thema Gendern. Wer diesen anbot, habe ich inzwischen vergessen. Die Person jedenfalls sprach die Rettungsaktion an und fragte uns, was für Bilder wir von der Rettungsmannschaft vor Augen hätten. Für mich war klar: Sämtliche Taucher*innen waren Männer. Die Artikel, die ich zu der eingesperrten Mannschaft und dem Rettungsteam gelesen hatte, waren in Bezug auf die Taucher*innen im Maskulinum verfasst. Vor meinem geistigen Auge gab es nur tauchende Männer, die der Rettungsmannschaft angehörten. Den anderen Teilnehmenden ging es genauso: Für sie und für mich bestand das Rettungsteam nur aus Männern. Doch das war falsch! In der Rettungsmannschaft waren auch Frauen.
Für mich war diese Erkenntnis ein Schlüsselerlebnis. Mitgemeint ist nicht „mitverstanden“. Für mich war klar: Wenn ich vor meinem inneren Auge nur Männer sehe, obwohl es sich um keine rein männliche Gruppe handelt, hat das generische Maskulinum ausgedient.
Gründe gegen das generische Maskulinum an Museen und Gedenkstätten
Hubertus Knabe monierte auf X mehrere Gendersternchen in Ausstellungstexten, so zum Beispiel „Unterstützer*innen der NSDAP“ und „Zwangsarbeiter*innen“. Ein größerer Kontext war bei den von ihm geposteten Ausschnitten nicht vorhanden und leider hat Knabe auch auf meine Anmerkungen auf X nicht geantwortet. Ob ihm stattdessen die Paarform recht gewesen wäre, kann ich daher nicht sagen.
Betrachten wir zum Beispiel Hitlers frühe 1920er Jahre in München, wäre es ein No-Go aus „Unterstützer*innen der NSDAP“ „Unterstützer der NSDAP“ zu machen. (Für spätere Jahre gilt dies genauso.) Bei den Leser*innen von Ausstellungstexten werden bei „Unterstützern“ sicher wie bei den von mir gelesenen Höhlenrettungsartikeln Bilder von männlichen Unterstützern losgetreten. Eine Ausnahme mögen Ausstellungsbesucher*innen sein, die sich bereits mit der frühen NSDAP beziehungsweise Hitlers Aufstieg vom Biergartenpropheten zum Parteivorsitzenden befasst haben. Hitler wurde stark von Frauen unterstützt und dies sollte explizit erwähnt werden:
Helene Bechstein betrachtete ihn wie ihren Sohn. Sie überschüttete das schlecht gekleidete, verarmte Provinzei mit Lebensmitteln, übergab Hitler zur Finanzierung der NSDAP Schmuckstücke, stattete ihn mit der Garderobe aus, mit der er der Münchner High Society entgegentreten konnte. Winifred Wagner verhalf Hitler zu kultureller Respektabilität. Elsa Bruckmann empfing ihn regelmäßig in ihrem Salon, weihte ihn in kulinarische Genüsse und gesellschaftliche Gepflogenheiten ein. Während ihr Mann Hitler mit wahrscheinlich bescheidenen Geldbeträgen bedachte, besorgte sie ihm beste Abendgarderobe und Schuhwerk.
Ebenso irreführend ist es, nur von „Zwangsarbeitern“ zu reden. Wer Frauen nicht explizit nennt, verschweigt ihr Leid und suggeriert Ausstellungsbesucher*innen ohne Vorwissen, dass es während der NS-Zeit nur männliche Zwangsarbeiter gegeben habe.
Insbesondere an Gedenkstätten sollten wir sehr auf unsere Sprache achten. Wie wir Fakten präsentieren, beeinflusst unsere Wahrnehmung. Wie formulierte schon Wittgenstein? „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Sprache wirkt sich auf unser Denken und Handeln aus. Sprache schafft Sachverhalte. Sprache kann Menschen sichtbar machen oder muten. Vergessen sollten wir niemanden, schon gar nicht an Gedenkstätten.