Neulich hatte jemand zum Einstand im Gemeinschaftsbüro einen Karton Glückskekse mitgebracht. Gespannt packte ich eine der Leckereien aus und hielt einen kleinen Zettel mit der folgenden Aufschrift in der Hand:
You can enjoy yourself and also include others.
Als deutsche Übersetzung befand sich auf der Rückseite:
Herrlich, wie Sie sich amüsieren und andere miteinbeziehen.
Auf die nächste Übersetzung gespannt öffnete ich eine weitere Verpackung. Auf dem sich im Keks befindenden Papier war zu lesen:
Very soon you will be quite proud of someone close to you!
Du wirst demnächst sehr stolz auf jemanden in Deiner Nähe sein.
Was Übersetzer*innen von Glückskeksen lernen können
Während mir die Übersetzung bei der zweiten Botschaft recht nah am englischen Ausgangstext schien und dessen Sinn genau wiedergab, war ich über die erste Übersetzung verwundert. Ich selbst hätte den ersten Text mit „Sie können sich amüsieren und dabei andere einbeziehen“ oder „Es ist möglich, sich zu amüsieren und andere einzubeziehen“ wiedergegeben. Die Übersetzung, die sich im Glückskeks befand, schien mir den Sinn zu verzerren beziehungsweise den Satz in einer Richtung zu interpretieren, die vom*von der Autor*in des Spruchs eher nicht beabsichtigt war.
Wer Texte von einer Sprache in eine andere überträgt, hat bei der Übersetzung häufig die Qual der Wahl.
Zu berücksichtigen sind im Translationsprozess zahlreiche Faktoren: Die Autorintention des Quelltextes muss im Zieltext genau wiedergegeben werden, die Textgattungen müssen sich entsprechen, bei den Leser*innen des Zieltextes sollen ähnliche Reaktionen und Gefühle hervorgerufen werden wie bei denen des Quelltextes.
Übersetzer*innen kommt bei der Translation eine wichtige Rolle zu. Sie müssen den Ausgangstext verstehen und mit dessen Thematik vertraut sein. Ob Übersetzer*innen den Ausgangstext richtig interpretieren, ist für die Übertragung in deine Zielsprache entscheidend. Sprachmittler*innen, die sich nicht sicher sind, wie ein Text gedeutet werden kann, sollten beim*bei der Autor*in des Textes nachfragen.
Bei „Herrlich, wie Sie sich amüsieren und andere miteinbeziehen.“ ist die Intention, für ein bestimmtes Verhalten ein positives Feedback zu geben. Mit „Es ist möglich, sich zu amüsieren und andere einzubeziehen“ wird dagegen ein Denkanstoß gegeben. Vielleicht mag der*die Leser*in sein*ihr Verhalten ja überdenken und gemeinsam mit anderen etwas unternehmen? Ziel ist also eine Verhaltensänderung.
Ob die Botschaft in einem Glückskeks zu 100 % richtig wiedergegeben wird, ist sicher sekundär. Bei den meisten Texten aber ist entscheidend, dass die Kommunikationsintention so genau wie möglich erhalten bleibt.
Bereits vor der Übernahme einer Übersetzung macht es Sinn, folgende Fragen mit Auftraggeber*innen beziehungsweise Sprachmittler*innen zu klären:
An wen richtet sich der Text? Wer übermittelt/veröffentlicht den Text? Wie beziehungsweise wo wird der Text übermittelt/veröffentlicht? Was soll mit dem Text erreicht werden?
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