KI-Anwendungen schießen wie Pilze aus dem Boden – auch in Leichter Sprache. Doch gibt es Leichte Sprache auf Knopfdruck überhaupt?
Ende Mai präsentiert mal wieder eine Absolventin einer bayerischen Hochschule ihr Tool. Schon der erste Blick macht skeptisch. Für die User*innen ploppt auf: „KI kann ähnlich wie Menschen denken.“ Nein, KI denkt nicht. Deshalb halte ich den Begriff „Künstliche Intelligenz“ auch für falsch. Wer hat sich den ausgedacht? Vermutlich tatsächlich jemand, der suggerieren will, dass KI denkt …
Leichte Sprache auf Knopfdruck: Ist das möglich?
Im Eingabefeld steht „Gebe hier den Text ein der übersetzt werden soll“, es geht also weiter, wie es angefangen hat. Korrekt wäre „Gib hier den Text ein, der übersetzt werden soll“. Sollte Sprachmodelle kreieren, wer selbst nicht korrekt formulieren kann?
KI-Übersetzer in Leichte Sprache – ein Test
Das Tool (EasyJon Beta) übersetzt angeblich in Leichte und Einfache Sprache. Na, da geben wir doch gleich mal einen Satz ein und verlangen eine Leichte-Sprache-Übersetzung: „In der Endphase des Nationalsozialismus kam es zu Todesmärschen.“ Okay, der Satz ist fies. Auf einen Knopfdruck schlägt mir die KI für Leichte Sprache vor: „In der letzten Zeit des National-Sozialismus gab es Todes-Märsche.“ Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Schwierige Wörter werden nicht dadurch leichter, dass KI eben mal schnell einen Bindestrich setzt. Das kann Gretchen Müller auch, dazu braucht sie kein Übersetzungstool. Okay, „gab“ ist besser als „kam es zu“ und „in der letzten Zeit des“ besser verständlich als „in der Endphase des“.
Leichte Sprache auf Knopfdruck ist das Ergebnis trotzdem nicht und es zeigt die ganze Problematik von KI-Tools … oder von Entwickler*innen, die meinen, dass ihre KI denkt.
Das KI-Tool für Leichte Sprache erzeugt keine LS
Machen wir es noch fieser: „Allen nationalsozialistischen ‚Euthanasie‘-Aktionen gleichermaßen fehlte eine gesetzliche Regelung, lediglich der ‚Führerwille‘, eine ‚Beauftragung‘ durch Adolf Hitler, lag vor.“1
Auf einen Knopfdruck spuckt der KI-Übersetzer Folgendes aus:
„Für die ‘Euthanasie’-Aktionen der Nazis gab es kein Gesetz.
Es gab nur den Willen von Hitler.
Hitler hat die Tötungen befohlen.
Er hat andere Personen damit beauftragt.”
Das ist nun schon eine erhebliche Vereinfachung. Allerdings wissen die User*innen noch immer nicht, was „Euthanasie“ eigentlich ist. Und was eigentlich bedeutet „Es gab nur den Willen von Hitler“?
Leichte Sprache auf Knopfdruck: fehlende Hintergrundinfos, dafür schwere Wörter
Probieren wir es mit: „Die Frage nach der Legitimationswirkung von Hitlers Ermächtigung wie auch die Diskussion über ein ‚Euthanasie‘ -Gesetz nahmen deswegen im Augsburger Strafverfahren gegen ‚Dr. Faltlhauser und Genossen‘ – ebenso wie in anderen Prozessen zu diesem Tatkomplex – breiten Raum ein.“1
Auf einen Knopfdruck schlägt das KI-Tool zur Übersetzung in Leichte Sprache vor:
„Im Straf-Verfahren in Augsburg ging es um Dr. Faltlhauser und andere Personen.
In diesem Verfahren wurde viel über 2 Themen gesprochen:
- War Hitlers Macht rechtmäßig?
- Gab es ein Gesetz zur Tötung kranker Menschen?
Diese Themen waren auch in anderen Prozessen zu diesem Fall wichtig.“
Schön kurz, aber was ist eigentlich ein „Straf-Verfahren“? „Prozess“ wäre besser lesbar und bekannter. Was sind „Themen“? Der Plural weicht stark vom Singular „Thema“ ab und wird nicht von allen Menschen der Hauptzielgruppe erkannt. Weshalb nicht „Punkte“? Und was bitte bedeutet „War Hitlers Macht rechtmäßig?“ (Ganz davon abgesehen, dass es darum im Original eigentlich gar nicht geht.)

Leichte Sprache auf Knopfdruck gibt es nicht
Was ist jetzt eigentlich das Problem der KI-Übersetzer in Leichte Sprache? Weshalb schaffen es KI-Tools nicht, Leichte Sprache zu erzeugen? Nun, da wären wir wieder am Anfang: weil sie nicht denken. Sprachmodelle in der künstlichen Intelligenz basieren auf Algorithmen, also Wahrscheinlichkeiten. Für Übersetzungen in Leichte Sprache geben Entwickler*innen zusätzliche Anweisungen ein, die nennt man Prompts.
Für Laien sieht KI-erzeugte Leichte Sprache super aus
Für Laien sieht KI-erzeugte Leichte Sprache erst einmal super aus. Die übersetzten Beispiele oben wirken wesentlich leicht verständlicher als die Sätze, die ihnen zur Übersetzung in Leichte Sprache vorgelegt wurden. Leichter aussehen heißt aber nicht, dass es sich wirklich um Leichte Sprache handelt. Aber welcher Laie erkennt das schon?
Software-Entwickler*innen reiben sich indessen die Hände. Es ist einfach, vor allem der öffentlichen Hand, die an allen Ecken und Enden sparen muss, KI-Tools, Overlays … zu verkaufen. Websites geben sich damit einen Anstrich von Barrierefreiheit. Pflicht erledigt. Barrierefrei sind die Lösungen aber nicht.
Welche Probleme treten bei KI-erzeugter Leichter Sprache auf?
1. Wenn die Künstliche Intelligenz nicht weiß, was sie mit einem Abschnitt anfangen soll, fällt der auch einfach mal unter den Tisch. Er kommt in einer KI-Übersetzung in Leichte Sprache also einfach nicht vor.
2. Der Gesamtzusammenhang wird nicht klar.
3. Zusatzerklärungen fehlen. Die Beispiele oben haben dies recht deutlich gemacht. Die User*innen wissen immer noch nicht:
- was Euthanasie ist,
- was der Nationalsozialismus war,
- worum es sich bei Todesmärschen handelt.
Informationen, die im Ausgangstext vorausgesetzt werden, fügen KI-Tools für Leichte Sprache nicht ein. Und zwar auch dann nicht, wenn die Hauptzielgruppe Leichter Sprache sie unbedingt bräuchte.
4. Ein Leichte-Sprache-Text muss über eine korrekte chronologische Reihenfolge verfügen. Heißt: Was zuerst passiert ist, steht zuerst da. Auch dies ist bei KI-erzeugten Übersetzungen in Leichte Sprache in der Regel nicht der Fall.
5. Je nach KI-Übersetzer in Leichte Sprache finden sich in den übersetzten Texten auch noch schwere Strukturen, wie Vorgangspassiv, Präteritum, Genitivkonstruktionen …
6. Künstliche Intelligenz weiß nicht, was für welche Nutzer*innen relevant ist.
KI-Übersetzer können bei Übersetzungen in Leichte Sprache unterstützen
KI-Übersetzer können Übersetzer*innen in Leichte Sprache unterstützen. Sie erzeugen jedoch keine Leichte-Sprache-Texte. Da können die Werbemethoden ihrer Unternehmen noch so aggressiv sein. Ein paar ganz geschäftstüchtige versuchen, Übersetzer*innen anzuwerben, um ihr Tool zu verbessern. Selbstverständlich sollen die Expert*innen für Leichte Sprache dafür auch noch bezahlen. Sorry, wenn ich ein Tool trainieren soll, will ich dafür bezahlt werden und nicht andersherum.

Warum ich für Übersetzungen in Leichte Sprache kein KI-Tool verwende
#1 KI-Tools sind keine oder kaum Zeitersparnis
Für erfahrene Übersetzer*innen in Leichte Sprache bieten KI-Tools zur Übersetzung in Leichte Sprache keine Zeitersparnis (oder kaum). Bei Anfänger*innen mag das anders sein.
#2 Ausgangstext und KI-Übersetzung müssen verglichen werden
Auch wenn ich den Ausgangstext zur Übersetzung in ein KI-Tool, wie Summ AI, EasyJon Beta und viele mehr, eingebe, muss ich ihn trotzdem lesen. Und mit der Version vergleichen, die mir der KI-Übersetzer ausspuckt. Ich lese also quasi zwei Texte und muss mich permanent fragen: Stimmt, was die KI-Übersetzung in Leichte Sprache anbietet? Oder hat sie irgendwo Inhalte frei erfunden, Wichtiges weggelassen, halluziniert …? Der ständige Vergleich ermüdet, irgendwann werden Fehler übersehen. Wer im fremdsprachlichen Bereich mit Post-Editing befasst ist, weiß, wovon ich rede.
#3 KI beeinflusst Übersetzer*innen in Leichte Sprache
KI beeinflusst mich als Übersetzer*in. Wenn ich das Tool für mich arbeiten lasse, bevor ich selbst ein Konzept im Kopf habe, geht mir die Kreativität verloren. Ich übernehme den Aufbau des KI-Textes, obwohl ich ohne sehr wahrscheinlich einen wesentlich besseren vorgeschlagen hätte. Mit der Sprache ist dies dasselbe. Die Versuchung, die KI-Lösung einfach stehen zu lassen und sich nicht mehr den Kopf zu zerbrechen, ist groß. Überarbeitet werden nur noch die wirklichen „Hämmer“.
#4 KI-Übersetzer in Leichte Sprache bieten einen Wust an ungeordneten Infos
Bei großen Volumen bietet KI oft einen Wust an leicht verständlichen Sätzen, die irgendwie zusammengeklatscht werden. Den Entwickler*innen selbst fällt das oft gar nicht auf. Sonst würden nicht hin und wieder einige ihren Wust auf LinkedIn und anderswo rühmen. Habe ich Lust, diesen Wust zu ordnen? Nein. Bevor ich damit fertig bin, habe ich meine eigene, menschengemachte Übersetzung erstellt. Mit Grips.
#5 KI-Tools für Leichte Sprache machen ein Pre-Editing erforderlich
Pre-Editing heißt: Du bereitest deine Texte so auf, dass sie zur Übersetzung für KI geeignet sind. Erklärungen, die die Hauptzielgruppe Leichter Sprache braucht, fügst du schon in den Ausgangstext ein. Fremdwörter ersetzt du durch deutsche Wörter oder siehst bereits eine Erklärung vor. Dein Text erhält nur Infos, die für die Hauptzielgruppe Leichter Sprache – Menschen mit Lernschwierigkeiten – relevant sind. Unter Umständen sind das ganz andere als für Frau und Herrn Müller aus Hintertüpfelmosen. Oder für Udo aus Hamburg mit Abitur. Die Künstliche Intelligenz spart Kunden weder Zeit noch Geld.
Kritische Stimmen zu KI-Tools für Leichte Sprache waren lange Zeit Spaßverderber
Kritische Stimmen zu KI-Tools für Leichte Sprache waren vor ein paar Jahren auch in der Übersetzer-Community noch verpönt. Wer sich skeptisch zu KI-Übersetzungen in Leichte Sprache äußerte, galt schon fast als Inklusions- oder Barrierefreiheits-Gegner*in. Die Person, die Innovation schlecht redet und die Euphorie zerstört. Die einfach nur Angst hat, dass sich die eigene Auftragslage verschlechtert. Dass weniger Aufträge für Übersetzungen in Leichte Sprache hereinkommen.
Auf Infoveranstaltungen von Summ AI fielen dann schon mal Sätze wie: „Aber als Übersetzerin in Leichte Sprache müsstest du es doch toll finden, dass es jetzt Leichte Sprache auf Knopfdruck gibt.“ „Also ich helfe dabei, das Tool zu trainieren. Und ich zahle auch dafür. Warum machst du das nicht? Bist du nicht für Inklusion?“
Aus der Behinderten-Bubble kam es auch zu: „Ich bin der Meinung, Übersetzer*innen in Leichte Sprache sollten mit KI daran arbeiten, sich selbst abzuschaffen. Für die gute Sache!“ „Ich verstehe nicht, dass du KI-Übersetzer kritisch siehst. Es ist doch top, wenn KI auf Knopfdruck Leichte Sprache liefert. Dann kann man alles verstehen. Immer und überall.“ Insbesondere ahnungslose Behindertenbeauftragte überschlugen sich mit Lobreden. Die Behindertenbeauftragten, die selbst in Leichte Sprache übersetzen, sind bis heute skeptisch. Zurecht.
KI-Tools für Leichte Sprache können lediglich eine Hilfe sein
Ja, Leichte Sprache auf Knopfdruck ist zunächst einmal eine schöne Vorstellung. KI erzeugt aber keine Leichte Sprache. Ein KI-Übersetzer kann allenfalls eine Hilfe sein – zum Beispiel um für ein schweres Wort ein leichteres zu finden oder um eine Erklärung zu bekommen. Die Erklär-Funktion von Summ AI wird von einigen Übersetzer*innen in Leichte Sprache sehr geschätzt.
Was hilfreich sein kann, sind auch Funktionen von ChatGPT oder Google AI. ChatGPT kann dir Ideen geben, wie du einen Text strukturierst. Das neue Google AI liefert oft wertvolle Hintergrundinfos. Ich habe es in den letzten Wochen regelmäßig genutzt.
Sicher werden KI-Übersetzer in Leichte Sprache noch besser. Was fremdsprachliche Übersetzungen betrifft, startet langsam und zaghaft schon ein neuer Trend. Und der heißt weg von der KI. Unternehmen, die auf qualitativ hochwertige Texte wert legen, haben inzwischen begriffen, dass Künstliche Intelligenz ihnen diese nicht liefern wird. Tools wie DeepL können für die firmeninterne Kommunikation geeignet sein und helfen, Texte zu verstehen. Für alles, was nach außen geht, sollte man sie nicht verwenden (oder Post-Editing unterziehen).
Warum schießen KI-Übersetzer in Leichte Sprache immer noch aus dem Boden?
In Leichter Sprache geht der KI-Hype einstweilen noch weiter:
- Weil möglichst viele etwas vom Kuchen haben wollen
- Weil Kunden die Qualität von KI-Übersetzungen nicht beurteilen können
- Weil wir uns einreden, dass Technik besser ist als Kreativität
- Weil Barrierefreiheit für viele Kunden ein Muss ist, hinter dem sie nicht stehen
- Weil sich Entwickler*innen einen Anstrich von Wohltätigkeit geben, obwohl sie eigentlich knallharte Geschäftsleute sind und teure Abos verkaufen wollen
- Weil Professor*innen ihre Absolvent*innen das x-te Tool entwickeln lassen
…
Leichte-Sprache-Übersetzerin Bettina Mikhail hat es im Mai 2025 so auf LinkedIn formuliert:
„Ich appelliere an die Entwickler*innen, ihre KI-Produkte unternehmensintern erst mal so weit zu entwickeln und zu perfektionieren, dass sie den formalen und sozialen Ansprüchen der Leichten Sprache genügen, bevor sie sie auf die Menschheit loslassen.
Weder die Kund*innen noch die Zielgruppen sind Versuchskaninchen für ein Training on the Job. Medikamente werden auch nicht an Ärzt*innen und Patient*innen zum Ausprobieren verteilt, sondern durchlaufen einen Zulassungsprozess.“
1 Die Sätze sind entnommen aus:
Schulze, Dietmar: „Auch der ‚Gnadentod‘ ist Mord“. Der Augsburger Strafprozess über die NS-„Euthanasie“-Verbrechen in Kaufbeuren und Irsee. Irsee 2019