Buchtipp Erinnerungskultur: Die Lebensgeschichte der Angela Reinhardt
Auf Wiedersehen im Himmel ist eines der ersten Jugendbücher, das die Verfolgung der Sinti und Roma im “Dritten Reich” thematisiert.
So befasst sich der 1943 in Berlin geborene Jugendbuchautor Michail Krausnick mit der Lebensgeschichte der Angela Reinhardt, die in den Jahren 1943/44 von der Rassenforscherin Eva Justin im Rahmen ihrer Doktorarbeit untersucht wurde.
Das Buch ist unterteilt in 8 Kapitel, denen jeweils eine Notiz von Angela vorausgeht, welche bis zu eine Seite umfasst. Es beinhaltet ferner einen Anhang mit Briefen aus Mulfingen sowie mit interessanten Fotos von Sinti auf der Flucht, von Eva Justin während ihrer Untersuchungen sowie von anderen Dokumenten aus der Zeit des Nationalsozialismus.
Ein Leben im Wald
Der Roman für Jugendliche setzt mit dem Aufruf “Alles stehn und liegen lassen!” von Angelas Vater, Franz Reinhardt, einem Sinto, der sich bisher seinen Unterhalt als fahrender Korbflechter verdient hat, ein. So muss die kleine Familie, als Angela gerade einmal fünf Jahre alt ist, in die Wälder auf der Schwäbischen Alb fliehen, um einer Verhaftung durch die Nationalsozialisten zu entgehen.
Angela, ihr Vater und ihre Stiefmutter Appolonia Krämer leben fortan im Wald, wo sie sich von Beeren, Pilzen, Kräutern und manchmal auch von Hasen oder Igeln ernähren, denen Franz Fallen stellt. Manchmal gelingt es dem Vater auch, mit bloßen Händen Fische zu fangen, und ab und zu wagt sich die Familie auf einen Hof, um dort einen selbst hergestellten Weidenkorb gegen Brot oder andere Waren einzutauschen. Untereinander verständigen sich die verschiedenen im Wald lebenden Sinti-Familien über einen hohlen Baumstamm, der quasi als Briefkasten fungiert und der es ihnen erlaubt, sich gegenseitig vor ihren Verfolgern zu warnen oder andere Neuigkeiten auszutauschen.
Verhaftung durch SS-Männer
Trotz aller Vorsicht trifft die kleine Familie eines Tages im Wald auf SS-Männer und wird verhaftet. Im Gesundheitsamt in Hechingen begegnet Angela zum ersten Mal Eva Justin, die sie von allen Seiten fotografiert und vermisst und die ihr auch Blut abnimmt.
Noch am selben Tag wird die Familie in ein Straßenbaukommando gebracht. Tag für Tag arbeitet die Familie gemeinsam mit KZ-Häftlingen am Bau einer Reichsstraße und kann schließlich fliehen, bevor sie alle drei in ein Sammellager deportiert werden sollen.
Durch einen Brief im hohlen Baumstamm erfährt Angela, dass es sich bei ihrer leiblichen Mutter nicht um Appolonia, sondern um Erna Schwarz, eine deutsche Arierin, handelt, welche ihren Vater nach ihrer Geburt Hals über Kopf verlassen hat und die sie nun mit der Polizei suchen lässt.
Die leibliche Mutter
Im Frühjahr gelingt es Polizisten schließlich, die Familie aufzuspüren. Die kleine Angela wird zu ihrer Mutter gebracht, die mittlerweile mit einem anderen Mann verheiratet ist und zwei weitere Töchter hat. Bei ihrer Mutter, die Angela gegenüber keine Liebe zeigen kann, fühlt sich das Mädchen jedoch nicht wohl. Sie möchte nur eines: zu Franz und Appolonia zurückkehren.
Bereits am ersten Schultag wirft die sechsjährige Angela ihren Schulranzen weg und reißt aus, wird unterwegs aber von einem Jäger aufgefriffen, welcher sie auf einem Polizeirevier abliefert. Da sie bei ihrer leiblichen Mutter die Nahrung verweigert, wird sie zunächst in ein Heim nach Leutkirch und dann als “Zigeunermischling” in das Kinderheim St. Josefspflege in Mulfingen, ein Sammellager für württembergische Sinti-Kinder, gebracht.
Sammellager für Sinti-Kinder
Als “Anscha” neun Jahre alt ist, gelingt es ihrem Vater und Appolonia, sie dort zu besuchen. Wenig später trifft sie im Heim erneut auf Eva Justin, die dort im Rahmen ihrer Doktorarbeit eine Versuchsreihe mit Sinti-Kindern durchführt und sie beim Kartoffelsammeln, Schuheputzen, Ringkämpfen usw. filmt und beurteilt.
Im Mai 1944 sollen die Kinder des Heims zu einem “Ausflug” aufbrechen. Angela möchte natürlich auch mit, wird von einer Schwester jedoch geohrfeigt, als sie mit den anderen Kindern mitfahren will. Eine Ohrfeige, die dem zehnjährigen Mädchen das Leben rettet, da alle anderen Kinder nach Auschwitz verbracht werden. Schwester Agneta bringt “Anscha” dagegen zu ihrer leiblichen Mutter, wo sie wiederholt ausreißt, so dass sie schließlich in einem anderen Heim untergebracht wird. Nach der Befreiung macht sie sich auf die Suche nach ihrem Vater und Appolonia, bekommt von Erna jedoch die Antwort, dass sämtliche Sinti und Roma in Konzentrationslagern umgebracht worden seien. Angela sucht jedoch weiter und trifft schließlich auf Sinti, die ihren Vater kennen und ihn zu ihr bringen.
Ein Wiedersehen
Durch eine List war es Franz und Appolonia gelungen, das Dritte Reich zu überleben. Indem sie den Nationalsozialisten vorgaukelten, dass es sich bei ihnen um russische Zwangsarbeiter handelte, schafften sie es, in einem kriegswichtigen Betrieb eingesetzt zu werden, wo die russischen Arbeiter sie nicht verrieten.
Meine Meinung zum Buch
Ein berührendes Werk, das sich für Kinder und Jugendliche ab etwa 13 Jahren eignet und das zeigt, dass der Rassenwahn der Nationalsozialisten auch vor Kindern keinen Halt machte. Als sensible Mischung zwischen Informationen und literarischem Erzählen ermöglicht es das Buch dem Leser, sich in das Mädchen Angela hineinzuversetzen. Sehr lesenswert auch für Erwachsene!
Michail Krausnick: Auf Wiedersehen im Himmel – Die Geschichte der Angela Reinhardt. Arena Verlag, Würzburg 2005, ISBN 3-401-02721-0, 175 Seiten
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Foto: © Andrea Halbritter, Côté Langues
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