Den Begriff Jussiv hast du sicher noch nie gehört – außer du bist Sprachwissenschaftler*in oder Deutschlehrkraft. Über den Weg gelaufen ist dir der Jussiv aber bestimmt schon, jedenfalls wenn du – wie ich – gern in alten Koch- und Backbüchern stöberst. Was der Jussiv genau ist und was du mit dem Jussiv in Leichter und Einfacher Sprache machst, erfährst du in diesem Artikel in nur drei Minuten.
Was ist der Jussiv?
Wenn du irgendwann einmal ein Kochbuch deiner Großmutter (oder deiner Urgroßeltern) aufgeschlagen hast, hast du sicher Man nehme gelesen, zum Beispiel:
Man nehme vier Eier und verrühre sie mit weicher Butter und Zucker.
Man nehme eine Gugelhupf-Form und fette sie mit etwas Butter ein.
Man öffne ein Glas mit eingelegten Kirschen und gebe sie auf die Teigmasse.
In zeitgenössischen Koch- und Backrezepten suchst du die Formulierung man nehme inzwischen vergeblich. Dafür findest du sie in manchen Läden als witzigen Spruch auf Blechschildern:
Man nehme ein gutes Glas Wein und schütte es in den Koch.
Man nehme ist ein Verwendungsfall des Konjunktiv I. Die deutschen Verben kannst du in zwei Modi setzen: den Indikativ oder den Konjunktiv. Auf Deutsch sagt man zu Indikativ auch Wirklichkeitsform und zu Konjunktiv Möglichkeitsform. Im Indikativ stehen zum Beispiel folgende Verbformen: ich gehe, du kaufst, er ist geschwommen, wir hatten gekocht, sie wurden genannt, ihr werdet fahren. Der Indikativ wird verwendet, wenn etwas gerade passiert, in der Vergangenheit bereits passiert ist oder in Zukunft passieren wird.
Konjunktiv-I-Formen sind zum Beispiel: er gehe, sie habe gekauft, sie werde kaufen. Für den Konjunktiv I gibt es im Deutschen verschiedene Verwendungsmöglichkeiten. Wir benutzen in zum Beispiel, um auszudrücken, dass eine Person etwas gesagt hat.
Petra sagt, sie sei krank gewesen.
Martin sagt, er koche gern.
Eine andere Verwendungsmöglichkeit des Konjunktiv I ist der Jussiv. Beim Jussiv wird das Eintreten von zukünftigen Ereignissen vorweggenommen. Leser*innen und Hörer*innen sind Akteur*innen dieses Geschehens. Sie bekommen eine Aufforderung zum Handeln, ohne direkt angesprochen zu werden: mit man und Verb im Konjunktiv I. Eben wie in unseren Beispielen zu Beginn des Artikels.
Was du in Leichter und Einfacher Sprache mit dem Jussiv machst
Der Jussiv ist selten. Wenn du unter 50 Jahre alt bist, ist dir wahrscheinlich noch nie ein Jussiv über den Weg gelaufen. Der Jussiv wird daher auch in Leichter und Einfacher Sprache nicht verwendet. In Leichter Sprache, der verständlichsten Form des Deutschen, gibt es sogar überhaupt keine Konjunktivformen. Die meisten Konjunktive würden die Hauptzielgruppe Leichter Sprache überfordern.
Was du in Leichter und Einfacher Sprache mit dem Jussiv machst?
Ganz einfach: Sprich die Leute direkt an. Wenn du zum Beispiel ein altes Kochrezept übersetzt, schreibst du nicht Man nehme vier Eier, sondern Nimm 4 Eier oder Nehmen Sie 4 Eier (je nachdem, ob du die Leser*innen duzt oder siezt).
Möglich ist auch, den Jussiv durch Infinitive oder durch eine Passivkonstruktion zu ersetzen:
Dann eine Gugelhupf-Form nehmen und mit etwas Butter einfetten. (Infinitive)
Dann wird eine Gugelhupf-Form genommen und mit etwas Butter eingefettet. (Passiv)
Auch Passivkonstruktionen sind meist nicht barrierefrei. In Leichter Sprache kannst du den Jussiv daher nicht mit Passiv übersetzen. Einfache Sprache richtet sich nicht an Menschen mit Lernschwierigkeiten. Passivkonstruktionen sind in Einfacher Sprache möglich, wenn sie nicht zu oft vorkommen. Zu oft kommt Passiv in einem Text vor, wenn sich mehr als 9 Prozent deiner Verben im Passiv befinden.
Die Hauptzielgruppe Leichter Sprache versteht Infinitivkonstruktionen nicht unbedingt als Handlungsaufforderung. In Leichter Sprache kannst du den Jussiv deshalb nur durch eine direkte Anrede mit du oder Sie ersetzen.