Alle meine Texte in Leichter Sprache sind wichtig, denn sie ermöglichen Teilhabe und machen das Leben bunt. Dennoch gibt es in diesem Jahr ein Leichte-Sprache-Projekt, das wichtiger war als andere. Um welchen Auftrag es sich handelt, erfährst du in diesem Artikel.
Eine Trigger-Warnung gibt’s auch noch: Im Beitrag geht es um Vergewaltigung und andere Formen sexualisierter Gewalt.
Das wichtigste Leichte-Sprache-Projekt
Bereits im Sommer 2023 kontaktierte mich meine Übersetzer-Kollegin Nina Fuchs. Sie wollte in Erfahrung bringen, ob ich Interesse daran habe, die Website ihres Vereins in Leichte Sprache zu übersetzen. Nina Fuchs ist Vorständin des Vereins KO – Kein Opfer e. V. in München.
Wie der Verein KO – Kein Opfer e. V. entstand
Den Verein hat sie 2020 gegründet. Der Hintergrund: Im April 2013 erlebte Nina einen Albtraum, der sie bis heute beschäftigt. Sie isst mit einem Bekannten in einem italienischen Restaurant zu Abend. Anschließend geht es in eine Bar. Dann möchte der Bekannte nach Hause. Nina bleibt. Sie hat beim Rauchen einen Mann kennengelernt, der sie zum Bleiben überredet.
Vorständin Nina Fuchs bekam K.-o.-Tropfen
Nach mehreren Drinks: Filmriss. Als Nina wieder zu Bewusstsein kommt, ist sie wie benebelt. Sie liegt in einem Gebüsch und nimmt schemenhaft einen Mann wahr, der sie vergewaltigt. Ein zweiter sieht zu. An Gesichter kann sich Nina bis heute nicht erinnern.
Der Täter wurde 5 Jahre später gefunden
Nina Fuchs ist sich sicher: Jemand hat ihr K.-o.-Tropfen verabreicht. Die Übersetzerin geht an die Öffentlichkeit. Sie will, dass der Täter gefunden und bestraft wird. Bei der Polizei ist Nina erst am Tag nach der Tat. Eine narkotisierende Substanz kann zu jener Zeit nicht mehr nachgewiesen werden. Jedoch wurde in Ninas Körper Sperma gefunden. Einen Treffer in der Datenbank der Polizei gibt es aber nicht. Das ändert sich im Frühjahr 2018 – ein paar Monate, nachdem ein Mann wegen einer anderen Straftat festgenommen wurde. Zum Vorwurf der Vergewaltigung schweigt er.
Es kam nie zu einer Verurteilung
Die zuständige Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren im Januar 2019 ein. Nina könne sich an die Vorgänge in der Tatnacht nicht wirklich erinnern und es sei nicht auszuschließen, dass sie mit anderen Männern einvernehmlichen Sex gehabt habe. Für das Opfer ein Schlag ins Gesicht, für potenzielle Täter eine Art Freifahrtschein!
Nina startet eine Petition, doch im November 2019 stellt die zuständige Staatsanwaltschaft in München das Verfahren erneut ein. Im Mai 2020 weist das Oberlandesgericht München ein Klageerzwingungsverfahren ab. Nina Fuchs reicht daraufhin eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Und sie gründet ihren Verein, der über K.-o.-Tropfen aufklärt: Damit Menschen über K.-o.-Tropfen Bescheid wissen und vorsichtig sind.
Zur Entstehung der Texte in Leichter Sprache
Leichte-Sprache-Texte über K.-o.-Tropfen zu schreiben ist relativ aufwändig. Als erstes muss ein Konzept erstellt und abgestimmt werden. Dann braucht es Zeichnungen. Auf Bilddatenbanken sind jedoch KEINE leichten Bilder zu K.-o.-Tropfen zu finden. Es ist daher nötig, eine*n Zeichner*in mit ins Boot zu holen – und Prüfer*innen, die nicht nur die Texte, sondern auch die Illustrationen prüfen. Eine Summe, die ein Verein nicht ohne Unterstützung wuppen kann.
Finanzierung des Leichte-Sprache-Projekts
2023 wurde eine solche abgelehnt, aber 2024 erhielt Ninas Verein eine Förderzusage der Stadt München. Mit dem Projekt konnten wir daher im Sommer 2024 loslegen.
Vorhandene Leichte-Sprache-Texte über K.-o.-Tropfen
Für die Website des Vereins KO – Kein Opfer e. V. schlug ich Nina und ihren Mitkämpfer*innen vier Texte vor:
Leichte-Sprache-Text 1 informiert kurz über Namen, Zweck und Sitz des Vereins. Außerdem stellt er die Mitglieder des Vorstands kurz vor. Text 2 definiert, was sexualisierte Gewalt ist. Er zeigt, dass jede Person Opfer werden kann, und erklärt, dass Opfer ihre Täter häufig kennen. In Leichte-Sprache-Text 3 geht es dann um K.-o.-Tropfen: Was machen K.-o.-Tropfen? Wie werden sie verabreicht? Weshalb? Woran erkennt man, dass man K.-o.-Tropfen eingenommen hat? Wie kann man sich schützen? Was sollte man tun, wenn man den Verdacht hat, K.-o.-Tropfen bekommen zu haben?
Leichte-Sprache-Text Nr. 4 befasst sich mit dem Angebot des Vereins.
Leichte Sprache: weitere Etappen der Texterstellung
Nachdem die Texte vom Auftraggeber genehmigt worden waren, konnte ich sie ein erstes Mal in die Prüfgruppe geben. Mein Prüfer Maik Frühling hatte kaum Änderungswünsche, was – Frau muss sich auch mal selbst loben – für die Qualität meiner Leichte-Sprache-Texte sprach.
In der nächsten Etappe ging es darum, die Texte zu illustrieren. Wegen der Zeichnungen war ich bereits 2023 mit Simone Fass in Verbindung. Simone stammt aus Leipzig und ist auf leichte Bilder für Leichte-Sprache-Projekte spezialisiert. Viel Erfahrung besitzt Simone insbesondere mit Projekten zur Sexualaufklärung, sodass sie mir die geeignete Person für den Verein KO – Kein Opfer e. V. schien.
Leichte Bilder für mein wichtigstes Leichte-Sprache-Projekt
Simone sah sich zunächst die Leichte-Sprache-Texte an und machte dann Vorschläge, wo ihrer Erfahrung nach Zeichnungen zur Unterstützung des Textverständnisses nötig seien. Diese diskutierten wir anschließend zunächst untereinander und dann auch mit den Auftraggebern.
Danach fertigte Simone erste Skizzen an, die im Laufe der Wochen und Monate „verfeinert“ wurden und Farbe bekamen. Bei den Zeichnungen achteten wir auf Diversität. Die abgebildeten Menschen sollten unterschiedlich aussehen, mal jung und mal alt sein. Manche hatten eine sichtbare Behinderung, einige eine helle Hautfarbe, andere eine dunkle … Eine Frau trug Kopftuch, eine andere einen Davidstern.
Schließlich wurden die Zeichnungen von mehreren Prüfgruppen und mit unterschiedlichen Prüfassistenzen geprüft. Wichtig ist dabei, die Zeichnungen zunächst ohne die Leichte-Sprache-Texte zu betrachten. Was sagen sie aus?
Bei mehreren Prüfungen war ich als Leichte-Sprache-Texterin selbst dabei. An einigen Illustrationen hatten wir ziemlich zu knabbern. Wie stellt man Täter da? Wie zeigt man, dass Täter oft aus dem Bekanntenkreis stammen? Wie kann man eine Vergewaltigung darstellen, ohne Leser*innen zu triggern? … Alles nicht so einfach! Erstellung und Prüfung der Bilder nahmen wesentlich mehr Zeit in Anspruch als das Schreiben der Texte.
Teamarbeit für das wichtigste Leichte-Sprache-Projekt des Jahres
Insgesamt waren an dem Leichte-Sprache-Projekt mindestens 9 Personen beteiligt – sieht man mal von den Auftraggebern und dem Webmaster ab, der die Texte auf der Website des Vereins integrierte. Vorhanden sind sie dort auch zum Herunterladen – seit Februar 2025, sodass dieses Projekt tatsächlich als das wichtigste des Jahres gelten kann, obwohl es im Juli 2024 begonnen wurde.
Warum diese Texte in Leichter Sprache so wichtig sind
Warum ich die Texte so wichtig finde? Ich bin der Meinung, dass jede*r über K.-o.-Tropfen Bescheid wissen sollte. Nur wer informiert ist, kann sich schützen. Wichtig ist auch, dass es diese Informationen nicht nur auf Standarddeutsch gibt, sondern auch in Leichter Sprache – also der verständlichsten Form des Deutschen.
Frauen mit Behinderungen sind häufiger von Gewalt betroffen
Generell sind nämlich Frauen mit Behinderungen viel mehr von Gewalt betroffen als nicht-behinderte Frauen. Im Jahr 2024 registrierte die Polizei allein in Sachsen 88 Fälle von K.-o.-Tropfen mit 99 Betroffenen, zumeist Frauen. Ermittler*innen gehen jedoch von einer wesentlich höheren Dunkelziffer aus. Viele Opfer bringen solche Taten aus Scham nicht zur Anzeige oder sie erinnern sich an nichts.
Du willst dich vor K.-o.-Tropfen schützen? Dann schau dir die Leichte-Sprache-Texte auf der Website des Vereins von Nina Fuchs an. Die Texte richten sich zwar vorrangig an Menschen mit einer geistigen Behinderung, bieten aber für alle hilfreiche Informationen.
Abschließend noch herzlichen Dank an alle für die hervorragende Zusammenarbeit und an die Stadt München für die Förderung! Mehr über von mir durchgeführte Projekte in Leichter und Einfacher Sprache erfährst du hier.
Zeichnungen: © Simone Fass





