Der Kunde ist König … oder doch nicht? Als Leichte-Sprache-Übersetzerin und -Texterin komme ich Kundenwünschen so weit wie möglich nach. Manche Bitten muss ich Leichte-Sprache-Kunden jedoch abschlagen.
Leichte Sprache: 7 Bitten, die ich Kunden abschlagen musste
Die meisten Leichte-Sprache-Kunden kennen sich mit sprachlicher Barrierefreiheit nur wenig aus. Deshalb bringen sie immer wieder Wünsche vor, die Expert*innen für Leichte Sprache nicht erfüllen können. Hier sind einige davon:
#1 Könnten Sie mehr Abwechslung in die Leichte Sprache bringen?
Leider nein. Das Ziel Leichter Sprache ist es nicht, abwechslungsreich zu sein. Ganz im Gegenteil! Leichte Sprache ist unter anderem deshalb so verständlich, weil dieselben Dinge/Personen immer mit demselben Wort bezeichnet werden. Eine Frau zum Beispiel bleibt in Leichter Sprache eine Frau und wird nicht plötzlich zur Dame, Seniorin, Verkäuferin, Nachbarin, Studentin, Mittdreißigerin oder was auch immer. Kommt im Leichte-Sprache-Text jedoch eine zweite Frau vor, wird für diese ein anderes Wort verwendet, um Verwechslungen zu vermeiden.
Der Punkt interessiert dich? In diesem Artikel erfährst du noch mehr dazu: Leichte Sprache: gleiche Wörter für gleiche Dinge
#2 Könnten Sie den Leichte-Sprache-Text mit von uns angefertigten Zeichnungen illustrieren?
Texte in Leichter Sprache müssen bebildert werden. Übersetzer*innen für Leichte Sprache verwenden dazu Leichte-Sprache-Bilder aus Bilddatenbanken. Ab und zu arbeiten Expert*innen für Leichte Sprache bei der Bebilderung von Texten auch mit Zeichner*innen zusammen, die für ihren Text Leichte Bilder erstellen.
Natürlich kommt es auch vor, dass Leichte-Sprache-Übersetzer*innen ihre Texte mit Zeichnungen oder Fotos illustrieren, die ihre Kunden liefern. Jedes Leichte-Sprache-Bild unterliegt jedoch besonderen Anforderungen. Während Bilder in standarddeutschen Texten meist nur „Deko-Zwecken“ dienen, müssen Bilder in Leichte-Sprache-Texten die Botschaft bestimmter Abschnitte unterstützen und das Verständnis erleichtern. Damit dies der Fall ist, müssen Zeichner*innen sich mit den Anforderungen auskennen, die Leichte-Sprache-Bilder erfüllen müssen. Alle Bilder werden von Vertreter*innen der Hauptzielgruppe Leichter Sprache auf ihre Verständlichkeit geprüft.
Die Auswahl von Bildern auf Bilddatenbanken ist stark begrenzt. Zu manchen Themen gibt es kaum oder keine Leichte-Sprache-Bilder auf Bilddatenbanken. Der Einsatz von Zeichner*innen, die auf Leichte Bilder spezialisiert sind, ist teuer. Einer meiner Kunden kam daher vor ein paar Jahren auf die Idee, selbst mit der Hilfe von KI Zeichnungen anzufertigen.
Da er sich überhaupt nicht mit den Anforderungen an Leichte Bilder auskannte, konnten wir die Zeichnungen leider nicht verwenden. Das Textverständnis hätten die KI-Werke nämlich keineswegs erleichtert – im Gegenteil. Die Bitte musste ich dem Leichte-Sprache-Kunden daher abschlagen.
#3 Könnten Sie in dem Leichte-Sprache-Text statt Perfekt bitte Präteritum verwenden?
Ein Wunsch, den ich Kunden als Leichte-Sprache-Übersetzerin regelmäßig abschlagen muss, lautet: „Könnten Sie im Text bitte Präteritum verwenden? Das hört sich besser an.“
Noch einmal: Das Ziel von Leichte Sprache ist es nicht, sich gut anzuhören.
Als Leichte-Sprache-Texterin und -Übersetzerin bin ich auf Themen rund um den Nationalsozialismus spezialisiert. In standarddeutschen Texten für Gedenkstätten und Erinnerungsorte findet sich oft Präteritum.
Leichte Sprache verwendet dagegen kaum Präteritum. Der Grund ist zum einen, dass es im mündlichen Sprachgebrauch kaum Präteritumsformen gibt. Das Präteritum (zum Beispiel: lief, fing) ist der Hauptzielgruppe Leichter Sprache also weit weniger bekannt als das Perfekt (Beispiel: ist gelaufen, hat gefangen).
Auch für Deutschlernende sind Verbformen im Präteritum oft schwer verständlich, weil es bei starken Verben zu einem Vokalwechsel kommt (zum Beispiel: laufen : lief; fangen : fing).
Gute Leichte Sprache verwendet daher nur wenige Präteritumsformen (zum Beispiel: war).
Mehr zu diesem Thema erfährst du auch in meinen Artikeln:
Welche Tempora verwendet Leichte Sprache?
Tempus in Leichte-Sprache-Texten für NS-Gedenkstätten
#4 Bitte verwenden Sie in Ihrem Leichte-Sprache-Text kein von!
Viele Kunden hängen am Genitiv (zum Beispiel: das Auto der Mutter). Auch wenn mir dies als Germanistin gefällt: Leichte Sprache ist der Tod des Genitivs … oder fast. In der Tat sind die meisten Genitivformen schwer verständlich. Bis auf wenige Ausnahmen umschreiben wir in Leichter Sprache Besitzverhältnisse mit von.
#5 Könnten Sie bitte alles in Leichte Sprache übersetzen?
Es ist selten möglich beziehungsweise sinnvoll, alle Inhalte eines Textes in Leichte Sprache zu übersetzen. Als Expertin für Leichte Sprache muss ich daher auch diese Bitte meist ausschlagen.
Wenn wir alle Inhalte eines standarddeutschen Textes in Leichte Sprache übersetzen, ergibt sich häufig ein Faktor von 6 oder 7. Das heißt: Der Leichte-Sprache-Text ist 6- oder 7-mal länger als der standarddeutsche Text.
Die Zielgruppen Leichter Sprache sind mit langen Texten jedoch überfordert. In Leichter Sprache müssen sich Leichte-Sprache-Übersetzer*innen deshalb auf die wichtigsten Informationen begrenzen. Natürlich sprechen sie sich dazu mit dem Auftraggeber ab. Und im Idealfall sind Vertreter*innen der Hauptzielgruppe Leichter Sprache bei der Auswahl eingebunden.
#6 Die Schriftart des Leichte-Sprache-Textes gefällt uns nicht. Könnten Sie bitte Schriftart xy benutzen?
Leichte-Sprache-Texte müssen gut lesbar sein. Dies heißt auch, dass bestimmte Schriftarten in Leichter Sprache möglich sind und andere nicht.
Leichte-Sprache-Übersetzer*innen können Kunden ein paar lesefreundliche Schriftarten vorschlagen. Insbesondere Grafiker*innen, die nicht auf Barrierefreiheit spezialisiert sind, werden hier aber die ein oder andere Kröte zu schlucken haben.
Anforderungen an gut lesbare Schriftarten sind zum Beispiel: die Schrift ist weder zu eng noch zu weit, die Buchstaben können klar voneinander unterschieden werden.
Dir schwebt eine bestimmte Schriftart vor? Deine Expert*innen für Leichte Sprache testen sie sicher gern mit ihrer Prüfgruppe auf Lesbarkeit. Vielleicht erlebst du ja eine positive Überraschung und dein Vorschlag ist möglich!
#7 Geht in dem Leichte-Sprache-Text auch eine kleinere Schrift?
Wie schon im letzten Punkt erwähnt: Ein Leichter-Sprache-Text muss nicht nur leicht verständlich, sondern auch gut lesbar sein. Dazu gehört auch, dass der Text in Leichter Sprache eine bestimmte Größe nicht unterschreitet.
Das Netzwerk Leichte Sprache e. V. fordert eine Schriftgröße von mindestens 14. Überschriften sollten größer sein.
Dir schwebt eine Schriftgröße von 10 vor, damit auch alles auf einen kleinen Flyer passt?
Sorry, haut nicht hin.
Einige Menschen, die Leichte Sprache brauchen, haben eine Mehrfachbehinderung. Sie sehen zum Beispiel schlecht. Und spätestens, wenn die erste Lesebrille ansteht, sind auch andere über eine große Schrift froh. (Außerdem: Bei kleinen Flyern geht oft die Übersichtlichkeit verloren oder es ist nicht klar, wo man zu lesen anfängt, wo’s weitergeht …)