Zwecks besserer Lesbarkeit hat es sich in deutscher Leichter Sprache eingebürgert, lange Wörter mit Bindestrich oder Mediopunkt zu untergliedern. Doch was ist besser? Bindestrich oder Mediopunkt? In diesem Beitrag erfährst du alles, was du zu beiden Lesehilfen in Leichter Sprache wissen solltest.
Bindestrich oder Mediopunkt: Was ist besser?
Was ist der Mediopunkt?
Beim Mediopunkt handelt es sich um einen Mittelpunkt: Medio·punkt. Schriftsetzer*innen nennen ihn auch Halbhochpunkt, Hochpunkt oder Punkt auf Mitte. Als Schriftzeichen existiert er schon sehr lange. Sicher hast du den Mediopunkt schon in der ein oder anderen römischen Inschrift entdeckt.
Wie erzeugt man einen Mediopunkt?
Bis zur Erfindung und Durchsetzung von Wortzwischenräumen diente der Mediopunkt dazu, Wörter voneinander zu trennen. Auf dem PC erzeugst du einen Mediopunkt, indem du die ALT-Taste gedrückt hältst, während du gleichzeitig 0183 eingibst. Auf einem Mac erstellst du einen Mediopunkt mit der Tastenkombination Option + Shift + 9. Natürlich kannst du ihn aber auch mit Copy und Paste einfügen.
Wie der Bindestrich dient der Mediopunkt in Leichter Sprache dazu, lange Wörter lesbarer zu machen: Wahl·programme, Dauer·ausstellung, Erinnerungs·ort, Schul·aufgabe, Turn·halle, Natur·kunde·museum.
Der Bindestrich in Leichter Sprache
Als Lesehilfe ist der Bindestrich in Leichter Sprache älter als der Mediopunkt. Der Grund ist einfach: Die ersten Leichte-Sprache-Regeln sind aus der Behindertenbewegung heraus entstanden. Der Bindestrich als Lesehilfe ist zum Beispiel Teil des Regelwerks des Netzwerks Leichte Sprache e. V. Als das Regelwerk entstanden ist, wurde der Mediopunkt in Leichter Sprache noch von niemandem benutzt.
Der Bindestrich wird mit dem Minuszeichen dargestellt. Ähnliche Zeichen, wie zum Beispiel der Halbgeviertstrich, kannst du nicht als Bindestrich verwenden.
Die Din Spec Leichte Sprache sieht sowohl Mediopunkt als auch Bindestrich vor. Große Teile der Leichte-Sprache-Bubble sind im Hinblick auf Mediopunkt und Bindestrich gespalten. Das Thema hat Tendenz zu polarisieren. Anders gesagt: Wenn du nicht möchtest, dass bei einem Meeting zu Leichter Sprache die Fetzen fliegen, solltest du keine Diskussion über Zeichen zur Wortgliederung starten …
Bindestrich oder Mediopunkt: die Vor- und Nachteile
Was aber sind die Vor- und Nachteile von Mediopunkt beziehungsweise Bindestrich? Welche Argumente führen die einzelnen Lager zur Wahl ihres Wortgliederungszeichens an? Wie äußern sich ihre Gegner*innen?
Die Vorteile des Mediopunkts in Leichter Sprache
Schauen wir uns zunächst einmal die Vorteile des Mediopunkts in Leichter Sprache an. Laut Bredel und Maaß verwenden manchen Kinder den Mediopunkt im Schriftlichen intuitiv als Abstandsmarkierung zwischen einzelnen Wörtern. Auch manche Lehrkräfte sollen ihn benutzen. Beides verwundert mich. In über 20 Jahren als Deutschlehrerin kann ich mich an kein einziges Kind erinnern, das mittels Mediopunkt Wörter getrennt hat … Aber nun ja, glauben wir das mal, auch wenn sich im Ratgeber Leichte Sprache von Bredel und Maaß dazu kein Beleg findet.
Ein Vorteil des Mediopunkts ist sicher, dass du ihn nicht nur bei Komposita, wie Haus·aufgabe und Tee·kanne, verwenden kannst. Mit dem Mediopunkt kannst du bereits Silben voneinander trennen, wenn du dies hilfreich findest: aus·arbeiten, ab·schicken, Um·satz·steuer, Post·leit·zahl.
Der Mediopunkt verändert das Wortbild kaum. Insbesondere lange Worte lassen sich mit dem Mediopunkt wesentlich besser gliedern als mit Bindestrichen und nach einem Mediopunkt schreibst du klein weiter.
Die Nachteile des Mediopunkts in Leichter Sprache
Obwohl der Mediopunkt nun auch schon seit mindestens zehn Jahren in Leichter Sprache verwendet wird, ist sein Anblick für viele Menschen aus der Hauptzielgruppe Leichter Sprache noch ungewohnt. Wenn ich meinen Prüfer*innen einen Text mit Mediopunkten vorlege, protestieren sie in der Regel: „Ich mag diese Punkte nicht. Warum machst du keine Bindestriche?“ „Was sollen die Punkte da?“ „Was sind das für kleine Zeichen da? Ich sehe die kaum!“ Andere Übersetzer*innen teilen mir ähnliche Reaktionen mit.
Sicher irritiert der Mediopunkt manche Prüfer*innen mehr als andere. Und vermutlich würden sich heutzutage nicht mehr so viele Menschen mit Lernschwierigkeiten gegen den Mediopunkt aussprechen wie noch 2019. Bei einer damals durchgeführten Umfrage des Netzwerks Leichte Sprache e. V. stimmten 80 Prozent der befragten Nutzer*innen Leichter Sprache gegen den Mittelpunkt.
Die Vorteile des Bindestrichs in Leichter Sprache
Ein Vorteil des Bindestrichs ist sicher seine bessere Akzeptanz bei der Hauptzielgruppe Leichter Sprache – nämlich Personen mit einer geistigen Behinderung. Dies mag zum einen daran liegen, dass es den Bindestrich in Leichte-Sprache-Texten schon von Anfang an gibt und dass er in Leichter Sprache vielleicht immer noch verbreiteter ist. Außerdem kommt der Bindestrich – im Gegensatz zum Mediopunkt – auch in standarddeutschen Texten vor.
Für Übersetzer*innen in Leichte Sprache lässt sich der Bindestrich besser eingeben als der Mediopunkt – außer sie weisen dem Mittelpunkt auf ihrem PC eine ganz bestimmte Taste zu.
Die Nachteile des Bindestrichs in Leichter Sprache
Die Nachteile des Bindestrichs hängen vor allem von der individuellen Nutzung durch Leichte-Sprache-Übersetzer*innen ab. Manche Texter*innen und Übersetzer*innen benutzen den Bindestrich in Leichter Sprache fast schon inflationär. Sie trennen damit nicht nur Komposita, also Zusammensetzungen von mehreren Substantiven, wie Wahl-Programm, Wasser-Flasche, Zitronen-Kuchen oder Schrank-Tür.
Manche Übersetzer*innen verwenden zu viele Bindestriche
Einige Übersetzer*innen verwenden den Bindestrich auch in Worten, wie auf-schreiben, mit-bestimmen oder auf-arbeiten. Eine solche Verwendung des Bindestrichs widerspricht den Regeln des Duden und ist vom Netzwerk Leichte Sprache e. V. auch nicht unbedingt intendiert. Jedenfalls lehnten sie die Dozent*innen des Netzwerks Leichte Sprache e. V. während meiner Netzwerkausbildung zur Leichte-Sprache-Übersetzerin klar ab.
Bredel und Maaß weisen außerdem darauf hin, dass die Leichte Sprache für manche Nutzer*innen nur eine Übergangslösung darstellt. Eine inflationäre, falsche Verwendung von Bindestrichen ist für diese Gruppe kontraproduktiv, da falsche Schreibweisen erlernt werden.
In Komposita können manche Bindestriche zu Fehlinterpretationen führen
In Komposita kann die Verwendung eines Bindestrichs irreführend sein. Ein Wasserhahn hat mit dem Tier Hahn nichts zu tun, die Schreibung Wasser-Hahn mit Bindestrich könnte dies jedoch nahelegen. Auch die Schreibung von Handschuh als Hand-Schuh scheint nicht sinnvoll, weil es sich um keinen Schuh handelt.
Damit es bei manchen komplexen Wörtern durch Bindestriche nicht zu Fehlinterpretationen kommt, ist das Gespür der Übersetzer*innen gefragt. Manche Zusammensetzungen sind stark lexikalisiert. Ihre Bedeutung lässt sich aus den einzelnen Bestandteilen nicht erschließen.
Bindestrich bei Fugen-s
Die Gegner*innen des Bindestrichs führen häufig ins Feld, dass ein Bindestrich nach Fugen-s nicht möglich sei, aber von Übersetzer*innen des Netzwerks auch nach Fugen-s eingesetzt werde: Geburts-Tag, Schadens-Fall.
Der Online-Duden schreibt zum Bindestrich bei Fugen-s: „Bei durch ein Fugen-s gegliederten Komposita erübrigt sich zwar im Allgemeinen ein Bindestrich, da das Fugenelement per se eine Verbindung darstellt. Allerdings kann vor allem bei mehrgliedrigen, unübersichtlichen Verbindungen um der besseren Lesbarkeit willen zusätzlich zum Fugen-s durchaus ein Bindestrich gesetzt werden.“ Enttäuschend, dass dies auch manche Sprachwissenschaftler*innen nicht wissen …

Wie ich in Leichter Sprache mit Mediopunkt und Bindestrich umgehe
Bei einem Leichte-Sprache-Auftrag kläre ich mit dem Kunden, ob Bindestriche oder Mediopunkte gewünscht sind.
Meist plädiere ich für eine moderate Verwendung von Bindestrichen, weil diese bei Leichte-Sprache-Nutzenden in der Regel auf mehr Akzeptanz stoßen. Moderat heißt für mich: keine Verwendung von Bindestrichen in lexikalisierten Verbindungen, wie zum Beispiel Wasserhahn oder Handschuh. Bindestriche verwende ich nur so, wie sie auch der Duden vorsieht. Vor-merken, ab-schreiben, vor-lesen und so weiter gibt es mit mir nicht.
Statt auf eine Vielzahl an Bindestrichen setze ich auf leichte, kurze Wörter. Ich schreibe also zum Beispiel nicht Straßenbahn, sondern Bahn oder Tram.
Hin und wieder verwende ich auch Mediopunkte, zum Beispiel wenn der Kunde schon über andere Texte in Leichter Sprache verfügt, die Mediopunkte enthalten.
Auch bei Mediopunkten überlege ich mir gut, wann sie als Lesehilfe nötig sind und wann nicht. Be·ein·trächtig·ung ist hilfreicher als Beein·trächtig·ung, weil sofort klar wird, wie der Wortanfang gesprochen wird. Eigentlich ist Beeinträchtigung aber ein Wort, das ich eh vermeide. Behinderung ist leichter lesbar und verbreiteter.
Das Motto heißt für mich: Wortungetüme vermeiden!
Meine Tipps zu Mediopunkt und Bindestrich
1. Setze auf kurze, leichte Wörter.
2. Verwende Bindestriche und/oder Mediopunkte, wenn du trotzdem längere Wörter verwenden musst.
3. Halte dich an die Duden-Regeln, wenn du dich für Bindestriche entscheidest.
4. Frag dich bei jedem Zeichen, ob es den Lesenden wirklich hilft.
5. Stell sicher, dass es durch Bindestriche oder Mediopunkte zu keinen Fehlinterpretationen kommt.
6. Wechsle auf einer Website oder in einer Broschüre nicht zwischen Bindestrichen und Mediopunkten hin und her. Kohärenz ist Trumpf!
7. Kläre mit deinen Prüfer*innen, wo sie Lesehilfen brauchen. Die Art der Wortgliederung sollte ein wichtiger Bestandteil des Prüfprozesses sein.