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So steigerst du deine Leistungsfähigkeit als Übersetzer*in

Muscheln und Steine

Seit ein paar Monaten habe ich den Newsletter von Niko Single abonniert. Entdeckt habe ich ihn auf LinkedIn. Niko Single ist Unternehmensberater und Coach für Führungskräfte. Eine seiner letzten E-Mails befasste sich mit dem Thema Leistungsfähigkeit in Unternehmen. Sein Tipp: „Trenne Stabiles von Instabilem!“ Was Niko Single damit meint und wie sich dieses Prinzip zur Steigerung der Leistungsfähigkeit für Übersetzer*innen anwenden lässt, erfährst du in diesem Artikel.

 

Die Leistungsfähigkeit als Übersetzer*in steigern

Stabile und instabile Dinge 

Was nennt Niko Single „stabil“ beziehungsweise „instabil“? Stabilen Dingen oder Prozessen schreibt der Unternehmensberater folgende Eigenschaften zu:

  • Stabiles verläuft reibungslos.
  • Stabiles ist planbar.
  • Die Gestaltung von stabilen Dingen kann oft recht effizient erfolgen, zum Beispiel durch Prozessoptimierungen.

Instabiles zeichnet sich nach Niko Single durch Folgendes aus:

  • Instabile Dinge benötigen relativ viel Zeit.
  • Instabiles taucht ungeplant auf.
  • Instabiles verlangt schnelles Handeln, so zum Beispiel eine störungsanfällige Anlage.

 

Mehr Leistungsfähigkeit durch die Trennung von Stabilem und Instabilem

Treffen stabile auf instabile Dinge, beeinflussen sie einander negativ. Stabile Dinge (zum Beispiel bestimmte Produkte, Tätigkeiten, Maschinen, Lieferant*innen oder Kund*innen) verlieren durch Instabiles (zum Beispiel Lieferant*innen mit Lieferschwierigkeiten, Schwankungen unterliegenden Märkten, Kund*innen mit Sonderwünschen) an Planbarkeit. Oft fordert Instabiles die gesamte Aufmerksamkeit und viel Zeit, so dass dadurch eigentlich Stabiles auch instabil wird.

Wie aber verhindern, dass Instabiles Stabiles negativ beeinflusst?

Die Lösung liegt nach Niko Single darin, Stabiles von Instabilem zu trennen: und zwar entweder nach Ressourcen oder zeitlich. Das Ergebnis: mehr Leistungsfähigkeit.

(Manchmal kann auch Stabiles auf Instabiles negative Auswirkungen haben.)

 

Was bedeutet dies für die Leistungsfähigkeit von Übersetzer*innen?

Zunächst einmal solltest du dir als Übersetzer*in Gedanken machen, mit welchen stabilen und instabilen Dingen du im Rahmen deiner Übersetzertätigkeit zu tun hast.

Instabile Dinge sind für mich als Übersetzer*in zum Beispiel:

  • die Beantwortung von E-Mails (da sowohl deren Anzahl als auch der mit der Beantwortung verbundene Aufwand unvorhersehbar sind)
  • die Erstellung von Angeboten
  • plötzlich auftretende technische Probleme (zum Beispiel mit einem für die Übersetzung nötigen Tool)
  • die Beantwortung von Telefonanrufen
  • Kund*innen, die Quelltexte nicht zum vereinbarten Termin verschicken
  • Team-Mitglieder, die Zeitpläne nicht einhalten (so du im Team arbeitest, also zum Beispiel im Vier-Augen-Prinzip)
  • der starken Schwankungen unterliegende Übersetzungsmarkt, der zu einem unterschiedlich hohen Aufkommen an Anfragen führt
  • spontane Anfragen für Meetings oder Telefonberatungen

Stabile Dinge sind für mich als Übersetzer*in zum Beispiel:

  • die Vorbereitung einer Präsentation für einen Networking-Abend oder ein Translation Event
  • das Übersetzen eines geplanten Projekts
  • ein gut funktionierender CAT-Tool
  • zuverlässige Kund*innen, die ihre Quelltexte zum vereinbarten Termin schicken
  • zuverlässige Kolleg*innen, die sich an Deadlines halten
  • Kund*innen, die einen Rahmenvertrag unterzeichnet haben und die sich an die darin aufgeführten Bedingungen halten
  • das Schreiben von Blogartikeln für meinen Übersetzerblog

(„Dinge“ können bei Niko Single Maschinen, Tätigkeiten, Märkte, Lieferant*innen, Produkte und Kund*innen sein.)

Sitze ich als Übersetzerin über einem kniffligen Text und schaue trotzdem alle zehn Minuten in meine E-Mails, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich mit der Übersetzung des Texts nicht vorankomme. Nach jeder Pause muss ich mich neu auf den zu übersetzenden Text konzentrieren, mich in ihn „hineindenken“ und verliere als Übersetzer*in immer wieder den Faden. Manche Expert*innen schätzen, dass wir allein durch solche Aktionen 20 Prozent unserer Produktivität verlieren.

 

Wie du als Übersetzer*in Stabiles und Instabiles trennen kannst

Wer als Übersetzer*in nicht allein arbeitet, kann Ressourcen aufteilen. Das heißt: Während du deinen stabilen Tätigkeiten, wie dem Übersetzen, nachgehst, übernimmt eine zweite Person die instabilen Tätigkeiten. In größeren Übersetzungsagenturen und anderen Unternehmen, die kein Eine-Person-Betrieb sind, ist dies sicher eine ideale Lösung, um die Leistungsfähigkeit zu steigern. Die meisten von uns Übersetzer*innen arbeiten jedoch alleine. Du vermutlich auch.

Für dich als Übersetzer*in funktioniert daher Niko Singles Vorschlag Nummer 2 zur Optimierung der Leistungsfähigkeit besser: die zeitliche Trennung von Stabilem und Instabilem. Wie kann dies ausschauen?

Niko Single rät dazu, sogenannte Fokuszeiten zu schaffen, in denen dich nichts und niemand stören kann. Auch kein Telefonanruf! Ich zum Beispiel schalte mein Telefon beim Übersetzen auf lautlos. Inzwischen steht mein Festnetztelefon sogar in einem separaten Raum. Den Anrufbeantworter höre ich zweimal täglich ab.

Fokuszeiten solltest du für stabile Tätigkeiten nutzen: zum Übersetzen, zum Korrekturlesen, zur Vorbereitung einer Präsentation oder zum Schreiben eines Blogartikels.

Auch instabilen Tätigkeiten weist du als Übersetzer*in feste Zeiträume zu. Was E-Mails betrifft, könnte dies zum Beispiel heißen: morgens, mittags und abends 30 Minuten einplanen, in denen E-Mails gesichtet werden. Ich kenne aber auch Übersetzer*innen, die ihren E-Mail-Account nur einmal täglich checken, zum Beispiel am Ende des Arbeitstages. Kann gut funktionieren, wenn du keine Eilübersetzungen bearbeiten möchtest oder … musst.

Viele Muscheln

Für Kundentermine kannst du einen festen Vor- oder Nachmittag einplanen. Ich kenne mehrere Texter*innen, die damit gute Erfahrungen gemacht haben. Funktioniert für Übersetzer*innen sicher auch. Für die Online- oder Telefon-Beratung von Kund*innen planen sie jeweils maximal eine Stunde ein. Pro Woche sind so mindestens vier Termine mit Kund*innen möglich. Wenn du pro Kund*in nur 30 Minuten vorsiehst, mehr. Bei mir persönlich fallen Beratungen nicht nur mit Direktkund*innen an, sondern auch immer wieder mit Projektmanager*innen von Agenturen, die in Leichter oder Einfacher Sprache arbeiten möchten.

Du kannst als Übersetzerin auch feste Zeiten vorsehen, in denen du Angebote erstellst. Für mich persönlich ist die Angebotserstellung der größte „Zeitfresser“ und auch die instabilste Komponente. Ideal wäre für mich, alle Angebote für Übersetzungen am selben Nachmittag zu erstellen, zum Beispiel immer am Freitag. Da manche Kund*innen ihr Angebot aber quasi sofort oder zumindest noch am selben Tag benötigen, habe ich für Offerten noch keine zufriedenstellende Lösung gefunden. Manche Angebote gehen schnell von der Hand, die Erstellung dauert nur 15 Minuten. Über anderen sitze ich als Übersetzer*in aber Stunden. Du sicher auch!

Solltest du Familie und insbesondere Kinder haben, legst du deine Fokuszeiten am besten so, dass die Kids nicht anwesend sind. Zeiten, in denen die Familie tendenziell stört, bieten sich für andere Tätigkeiten an. Aber natürlich auch nicht für Kundenberatungen ..

Vielleicht möchtest du dir jetzt selbst ein paar Gedanken machen, wie du Stabiles von Instabilem trennen kannst, um deine Produktivität als Übersetzer*in zu steigern.

Falls ja, kannst du so vorgehen:

  • Schreib dir auf, mit welchen instabilen Dingen du konfrontiert bist.
  • Mach eine Aufstellung mit den stabilen Dingen.
  • Überleg dir, wie du Stabiles und Instabiles zeitlich trennen kannst.
  • Erstell einen Plan und setz ihn um.
  • Teste ihn.
  • Überprüfe ihn nach einer gewissen Zeit: Was funktioniert? Was nicht?
  • Pass deinen Plan an deine Bedürfnisse an.
  • Schreib mir gern, welcher Plan für dich als Übersetzer*in klappt.

 

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Zur Autorin:

Übersetzerin Andrea Halbritter

Andrea Halbritter

Andrea Halbritter übersetzt vor allem im Weinbereich vom Französischen und Englischen ins Deutsche. Außerdem erstellt sie Texte in Leichter und Einfacher Sprache für Gedenkstätten, Museen, Politiker*innen und den Gesundheitsbereich.

Fotos: © Andrea Halbritter

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