NS-Zwangsarbeit in Bayern: Sterben für die Rüstungsindustrie
Für Deutschland kam es mit der Jahreswende 1941/42 zu einer wesentlichen Veränderung des Kriegsverlaufs. Die sowjetische Gegenoffensive war erfolgreich und führte zu einem Zusammenbruch des Blitzkriegs. Nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor erklärte Deutschland auch den USA den Krieg. Warum dies in Bayern einen massiven Ausbau der NS-Zwangsarbeit zur Folge hatte, wird in diesem Artikel erklärt.
Ende des Blitzkriegs: Hochfahren der Rüstungsproduktion
Die deutsche Wirtschaft, welche bisher auf den Blitzkrieg ausgerichtet war, musste sich auf längere Kämpfe umstellen. Das Kriegsgerät, das während der Offensive auf Moskau im Schnee steckengeblieben war, musste so schnell wie möglich ersetzt werden. Der Wehrmacht fehlte es an Soldaten und die neu eingezogenen wiederum an ihren Arbeitsplätzen. Gleichzeitig musste die Rüstungsproduktion hochgefahren werden.
NS-Zwangsarbeit zum Beheben von Personalproblemen
Am 8. Februar 1942 wurde Albert Speer zum Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion ernannt. Einen Monat später wurde Gauleiter Sauckel zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz. Ziel war es, die Personalprobleme der Rüstungsindustrie durch den Einsatz von Zwangsarbeitern aus besetzten Gebieten sowie durch KZ-Häftlinge zu lösen. Himmler sah in der Entscheidung Hitlers die ideale Gelegenheit, SS-eigene Rüstungs- und Industrieanlagen zu bauen und die wirtschaftliche Zukunft der SS zu sichern.
Rüstungsindustrie: Vernichtung durch Arbeit
Auch Speer stand dem Arbeitseinsatz von Häftlingen mehr als positiv gegenüber. Pohl berief für den 24. und 25. April 1942 eine Besprechung der KZ-Kommandanten und des Leiters der Wirtschaftsunternehmen der SS ein. Die Ergebnisse dieses Treffens fasste er ein paar Tage später in einem Befehl zusammen. Dieser besagte, dass die Häftlinge ein Höchstmaß an Arbeit zu verrichten hätten, das durch nichts eingeschränkt werden dürfe, was die Zeit der Gefangenen anderweitig in Anspruch nehmen könne. Essenspausen und Appelle seien daher auf ein Minimum zu kürzen.
Die Arbeit für die Rüstungsproduktion sollte nach Absicht Himmlers und Pohls kräftezehrend, ja todbringend sein, ausgelaugte oder verstorbene Häftlinge ständig durch neue ersetzt werden. Die Inspektion der Konzentrationslager verlangte, die Arbeitskraft der KZ-Häftlinge bis zum letzten auszuschöpfen.
Bereits früher hatte Himmler versucht, den Mangel an Arbeitskräften durch einen massiven Einsatz von Juden zu kompensieren. Ende Januar 1942 hatte er Glück mitgeteilt, dass demnächst 150 000 jüdische Frauen und Männer in Lager eingewiesen würden. Handeln sollte es sich dabei um die arbeitsfähigen jüdischen Bürger, die sich noch auf deutschem Gebiet, in Österreich oder dem Protektorat aufhielten.
Rüstungsbetriebe und Wehrmacht fürchten die SS
Dennoch kam man mit der Kriegsproduktion in den Konzentrationslagern nicht wirklich voran. Die Rüstungsbetriebe waren nämlich nicht wirklich zu einer Kooperation bereit, was vermutlich daran lag, dass sie sich mit der SS keine Konkurrenz an Land ziehen wollten, und auch die Wehrmacht hatte kein Interesse an einem weiteren Machtzuwachs der Schutzstaffel.
Während einer Besprechung am 15. August 1942 schlug Speer daher vor, die Konzentrationslager nicht innerhalb der Betriebe, sondern etwas außerhalb zu errichten. Außerdem sollte die SS während der Zeit der Errichtung von Außenlagern Fabriken nutzen können, deren Kapazitäten nicht voll ausgelastet waren.
Zwar forderte Himmler weiter eine SS-eigene Rüstungsproduktion, doch gelang es ihm nicht, den Widerstand der deutschen Industriellen zu brechen, die dieses Vorhaben ablehnten. Er musste sich also damit zufriedengeben, für die deutsche Kriegsindustrie Arbeitssklaven zu liefern.
In einem Winter fast die Hälfte der Häftlinge “durch Arbeit vernichtet”
Mit Reichsjustizminister Thierack verständigte sich Himmler am 18. September 1942 darauf, dass alle Häftlinge in Sicherheitsverwahrung, sämtliche Juden, “Zigeuner”, Russen und Ukrainer in Konzentrationslager eingewiesen wurden. Hinzu kamen Polen mit einem Strafmaß von mehr als drei Jahren sowie Deutsche und Tschechen mit einer Strafdauer von mehr als acht Jahren.
Es gelang Himmler so, während der Wintermonate nach und nach zu fast 13 000 neuen Arbeitskräften zu kommen. Am 1. April 1943 waren davon bereits 5935 “durch Arbeit vernichtet”. Versucht hatte er im Oktober 1942 außerdem, die Zahl der arbeitenden Häftlinge durch Juden aus Ostpolen zu erhöhen, was ihm jedoch nur teilweise gelungen war.
Keine wesentliche Steigerung der Waffenproduktion im Jahr 1942
Die Waffenproduktion konnte im Jahr 1942 dennoch nicht wesentlich gesteigert werden. Die Häftlinge waren ausgelaugt und die durchschnittliche Sterberate pro Monat betrug fast 10 %.
In den Lagern kam es zu Befehlen, die Schikanen und körperliche Strafen vorübergehend untersagten. Stattdessen wurden Häftlinge besonders schweren Arbeitskommandos zugeteilt, was meist eine Verurteilung zum Tode bedeutete.
Sabotageakte wurden dagegen durch ein Aufhängen am Arbeitsplatz geahndet. Eine etwas längere Erhaltung der Arbeitskraft der Häftlinge erreichte man ab Ende Oktober 1942 v. a. durch die Erlaubnis des Erhalts von Essenspaketen.
Im Falle einer sinkenden Produktivität empfahl Hitler im Januar 1943 außerdem, jeden zehnten Häftling hinzurichten. Im zweiten Halbjahr 1942 lag die durchschnittliche Überlebensdauer der Lagerinsassen bei 10,3 Monaten, im ersten Halbjahr 1943 bei 17,5 Monaten.
Die Lage für Nazideutschland verschlechtert sich weiter
Währenddessen verschlechterte sich 1943 die Lage für Nazideutschland weiter.
Die 6. Deutsche Armee kapituliert Ende Januar/Anfang Februar in Stalingrad. In Afrika müssen sich die letzten deutschen Einheiten im Mai ergeben. Im Juli kommt es zur Aufgabe einer Offensive an der Ostfront. Immer mehr alliierte Flugzeuge werfen über Deutschland Bomben ab. Rohstoffe und Energie werden knapp, der Mangel an Arbeitskräften verschärft sich weiter.
Die Rüstungsproduktion wird beständig hochgefahren. 1944 werden so viel Munition, Panzer und Flugzeuge herzustellen. Gleichzeitig werden Flugzeugwerke zum bevorzugten Ziel amerikanischer Bomber.
Der Bau von Jagdflugzeugen wird in Bayern durch Zwangsarbeit vorangetrieben
Insbesondere um Industriebetriebe zu schützen forciert Göring ab Frühjahr 1944 den Bau von Jagdflugzeugen.
Damit mehr Flugzeuge gebaut werden können, sollen Fliegerschäden in Werken beseitigt, Teile der Produktion verlegt und bombensichere Fertigungsstätten gebaut werden.
Teile der Rüstungsindustrie sind zu dem Zeitpunkt bereits aufs Land verlegt worden. Andere folgen und erhalten teils Decknamen, um ihre Ausspionierung zu erschweren: Kastanie (Festung Ulm), Therese (Keller einer Brauerei in Sonthofen), Blechschmiede Horgau (Horgau) …
Während eine Verlegung in Autobahntunnel, Keller von Winzern und Brauern sowie in U-Bahnhöfe und große Unterführungen sofort möglich ist, starten andernorts unterirdische Bauvorhaben.
NS-Zwangsarbeit für Rüstungsproduktion und Baumaßnahmen
Für Rüstungsproduktion und Baumaßnahmen werden immer mehr Arbeitskräfte benötigt. 15 Millionen deutsche Frauen arbeiten teils freiwillig, teils mit Dienstverpflichtung in der Rüstungsproduktion. Herangezogen werden ferner Kriegsgefangene, weitere KZ-Häftlinge und zivile Fremdarbeiter.
Millionen NS-Zwangsarbeiter
Ende 1944 arbeiten im Gebiet des Deutschen Reichs etwa 7,5 Millionen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Im Mai 1944 bemerkt SS-General Kammler während einer Besprechung des Jägerstabs, für die Aufrüstung Deutschlands müsse er unbedingt weitere 50 000 Menschen in Schutzhaft nehmen. Bereits 1943 fuhren die der SS gehörenden Unternehmen einen Umsatz von insgesamt 50 Millionen Reichsmark ein.
Das Lagersystem wird erheblich vergrößert
Zu Kriegsbeginn betreibt die SS sechs Konzentrationslager: Dachau, Sachsenhausen, Buchenwald, Mauthausen, Flossenbürg und Ravensbrück. Im Laufe des Krieges kommen mehr als zwölf weitere große Lager sowie über 500 kleinere hinzu.
Für das Jägerprogramm von zentraler Bedeutung ist Messerschmitt. Seine Hoffnung, den Krieg doch noch zu gewinnen, setzt Hitler insbesondere auf das Jagdflugzeug Me 262.
Den Befehl, die Fertigungsstätten der Me 262 zu dezentralisieren, erhält Messerschmitt bereits im Sommer 1943. Große Messerschmittbetriebe gab es zu dem Zeitpunkt v. a. im Raum Augsburg, Regensburg und Wiener Neustadt.
NS-Zwangsarbeit in Bayern: Dezentralisierung der Rüstungsindustrie im Raum Augsburg
Durch die Dezentralisierung kam es in Bayern im Großraum Augsburg zu 31 Produktionsstätten und 18 Materiallagern. Teile des Flugzeugbaus wurden außerdem nach Flossenbürg und Mauthausen verlegt, wo zunächst Teile für die Me 109 produziert wurden.
Den Messerschmitt-Werken in Augsburg vermietet die SS ab 1943 KZ-Häftlinge, so dass zahlreiche Außenlager des KZ Dachau entstehen.
Zur Auswahl der Arbeitskräfte reiste ein Personalsachbearbeiter von Messerschmitt in verschiedene Konzentrationslager, wo er nach Fachkräften (Ingenieuren, Schlossern …) Ausschau halten sollte. Die letztliche Personalauswahl nahm jedoch die SS vor, welche den Messerschmitt-Werken häufig auch Hilfskräfte als Facharbeiter vermietete, um so mehr Geld in Rechnung stellen zu können.
Die Lager wurden nach von der SS genehmigten Plänen von Baufirmen oder von Messerschmitt selbst errichtet. Die Belegung begann nach der Abnahme des Lagers durch die SS.
NS-Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie: schwere Bedingungen in den Nebenlagern
Die Verhältnisse in den bayerischen Außenkommandos und Nebenlagern waren sehr unterschiedlich. In einigen kleinen Kommandos, in denen es zu keinen Epidemien kam und Kontakt zur Zivilbevölkerung bestand, waren die Beziehungen zur SS häufig besser und es bestand die Möglichkeit der Aufbesserung von Kost.
In Nebenlagern mit Rüstungsproduktion waren die Bedingungen jedoch erheblich schwerer als im Hauptlager Dachau. Besonders unmenschlich waren die Verhältnisse in den jüdischen Nebenlagern, wie z. B. Kaufering VII, die ab 1944 errichtet wurden.
In der Rüstungsproduktion (und insbesondere dem Flugzeugbau) wurden KZ-Häftlinge ab 1943 in Massen zur Zwangsarbeit eingesetzt. Beim größten Außenlager des KZ Dachau handelte es sich um Allach. Dort waren im Schnitt zwischen 3500 und 5000 Männer untergebracht. Das erste Nebenlager in Augsburg entstand in Haunstetten. Später folgten Lager in Gablingen, Pfersee und das Waldlager Horgau.
NS-Zwangsarbeit in Bayern und Bunkerbau
Im Rahmen des Jägerprogramms sollte die Flugzeugproduktion in Höhlen, Stollen und Beton-Unterstände verlegt werden. Gebaut werden sollten insbesondere sechs riesige Bunker.
Diese waren als halbunterirdische Bauten geplant, die nur in einem Gelände mit einer starken Kiesschicht und wenig Grundwasser entstehen konnten. Bedingungen, die die schwäbisch-bayerische Schotterterrasse mit einer Kiesschicht von mehr als 20 m im Raum Landsberg am Lech bot.
Begonnen wurde im Raum Landsberg und Mühldorf mit dem Bau von vier Bunkern, wobei man sich aufgrund der schnellen Entwicklung der Kriegsereignisse rasch auf den Bau von zwei Großbunkern konzentrierte: Weingut I in der Nähe von Mühldorf und Weingut II bei Kaufering.
Ausgestattet werden sollten beide Bunker mit einer fünf Meter starken Stahlbetondecke. Weingut I sollte 8 Stockwerke haben, Weingut II aufgrund seiner weniger dicken Schotterschicht nur fünf.
Zunächst kam es zu einem sog. Entnahmetunnel. Mit der Durchführung der Bauarbeiten wurde die Organisation Todt betraut, welche die Aufträge weitervergab. Geplant war eine monatliche Herstellung von 500 Jagdflugzeugen. Errichtet wurden vier Nebenlager im Raum Mühldorf sowie elf Nebenlager im Raum Kaufering, in die ab dem Sommer 1944 etwa 39 000 jüdische Häftlinge gebracht wurden.
Es handelte sich dabei im Wesentlichen um Menschen aus Ghettos und Lagern in Polen. Viele von ihnen kamen aus Auschwitz, wo sie die Selektion überlebt hatten. Statt sie zu vergasen hatte man für sie “Vernichtung durch Arbeit” vorgesehen. Historiker gehen davon aus, dass allein im bayerischen Außenlagerkomplex Kaufering so 6000 NS-Zwangsarbeiter ums Leben gekommen sind.
Fotos: © Andrea Halbritter, Wikimedia (Me 262)
Quellen:
Römer, Gernot: Für die Vergessenen. KZ-Außenlager in Schwaben – Schwaben in Konzentrationslagern. Augsburg 1984
Zámečník, Stanislav: Das war Dachau. Frankfurt am Main 2013³
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