Dass in der Nähe des Bahnhofs Horgau bei Augsburg 1944 ein KZ-Außenlager für KZ-Häftlinge errichtet wurde, wissen heute nur noch wenige.
Produziert wurden dort Teile des Düsenflugzeugs Me 262. Wie kam es dazu?
Die Entstehung des KZ-Außenlagers Horgau
Bereits nach der Machtübernahme im Jahr 1933 betrieben die Nationalsozialisten eine umfangreiche Aufrüstungspolitik, wobei die Rüstungsproduktion auf sog. Blitzkriege mit modernster Waffentechnik vor allem im Bereich der Luftwaffe ausgelegt war. Dies sollte nicht nur einen Abnutzungskrieg mit hohem Materialaufwand vermeiden, sondern auch gewährleisten, dass die Bevölkerung ausreichend versorgt werden konnte.
Während die Luftfahrtindustrie 1939 recht gut auf den Krieg vorbereitet war, stellten sich mit zunehmender Dauer des Krieges strukturelle Probleme ein. Sowohl Rüstungsorganisation als auch Produktion erwiesen sich mit der Zeit als ineffizient, so dass die NS-Führung eine Umstellung der Rüstungsindustrie anstrebte.
Bombardierung von Industrieanlagen
Die Bombardierung von Verkehrs- und Industrieanlagen, welche ab 1943 auch Flugzeugwerke im Süden des Reiches betrafen, wirkten sich ferner immer mehr auf die Rüstungsindustrie aus. So kam es zum Beispiel in und um Augsburg zu größeren Zerstörungen bei den Messerschmitt-Werken in Haunstetten sowie im Luftpark Gablingen.
Reichsweit waren im März 1944 zwei Drittel der Luftrüstungskapazitäten von Zerstörungen betroffen. Es entstand der sogenannte Jägerstab unter Leitung Albert Speers, dessen Ziel es war, die Produktionsprobleme in der Luftrüstung durch staatliche Lenkung und Kontrolle zu beheben.
Produktionssteigerung
Gesteigert wurde insbesondere die Herstellung von Jagdflugzeugen, welche gegen die Lufthoheit der alliierten Truppen ankämpfen sollten. Als besonders wichtig galt hierbei die massive Produktion des Düsenjägers Me 262, der schon seit 1938 von Messerschmitt entwickelt wurde, der aber bisher noch nicht in ausreichender Zahl produziert werden konnte.
Verlagerung von Produktionsstätten
Ziel des Jägerstabs war es auch, kriegswichtige Produktionsstätten vor Luftangriffen zu schützen und bombensichere Standorte zu schaffen. Produktionsstätten wurden hierzu aus den Städten an gut getarnte, wenig belebte Orte auf dem Land verlagert. Den Alliierten sollten durch eine Dezentralisierung ferner keine großen Ziele mehr geboten werden. In einem zweiten Schritt war schließlich geplant, Jäger in Großbunkern bzw. bombensicheren Stollen herzustellen.
Mit der Produktion des Düsenjägers Me 262 wurde bereits im April 1944 in einem Waldlager in der Nähe von Leipheim begonnen.
KZ-Außenlager Horgau: Zwangsarbeit in der Flugzeugproduktion
Aufgrund der durch den Krieg stark angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt und der nicht ausreichenden Zahl an zivilen Zwangsarbeitern sowie an Kriegsgefangenen kam es bereits ab 1942 in der Rüstungsindustrie zum Einsatz von KZ-Häftlingen, wobei die KZ-Stammlager für die vielen Außenlager als Verteilstationen dienten.
In Bayerisch-Schwaben entstanden ab 1943 zahlreiche Außenlager des Konzentrationslagers Dachau, wobei tausende KZ-Häftlinge in den Produktionsstätten der Messerschmitt AG sowie des Flugmotorenherstellers BMW eingesetzt waren.
Größere Lager gab es beispielsweise in Augsburg und bei Landsberg am Lech, kleinere in Burgau, Fischen oder Lauingen.
Der Bau des KZ-Außenlagers Horgau
Der Bau der Waldfabrik sowie des Außenlagers Horgau wurde von der Messerschmitt AG im Rahmen des Jägerprogramms in Auftrag gegeben.
Die perfekte Tarnung
Für den Standort Horgau waren sowohl der für die Tarnung sehr wichtige Hochwald als auch die Lage zwischen Bahnstrecke und Autobahn sowie die Nähe zum Stammwerk Augsburg, zu Zulieferbetrieben und zu Orten der Endproduktion der Me 262 entscheidend.
Wasser konnte ferner durch Brunnen gewonnen und Abwasser in einen Bachlauf geleitet werden. Ein Stromanschluss war durch eine Trafostation möglich. Das Material für die Unterkünfte konnte außerdem vor Ort gewonnen werden.
Gemäß Berichten der US-Armee soll der Bau der Waldfabrik Horgau zwischen Mitte September 1944 und Anfang März 1945 durch 80 Arbeiter erfolgt sein. Beteiligt am Bau waren sowohl Baufirmen aus der Gegend als auch KZ-Häftlinge aus dem KZ-Außenlager Augsburg-Pfersee. Nicht bekannt ist bisher, ob in Horgau für längere Zeit ein Bautrupp mit KZ-Häftlingen untergebracht war.
Gebäude des Waldwerks Horgau
Den Bau von sechs Mannschaftsbaracken sowie einer Waschbaracke für 700 KZ-Häftlinge beantragte die Messerschmitt AG am 4. Dezember 1944. Die Befürwortung dieses Antrags erfolgte bereits 12 Tage später durch das Rüstungskommando Augsburg, die übergeordnete Bauleitung der Organisation Todt genehmigte den Bau des Außenlagers dann im Januar 1945 und stellte wenig später die nötigen Mittel hierfür zur Verfügung. Die US-Armee geht jedoch davon aus, dass die offiziell angestrebte Belegung mit 400 bis 700 Häftlingen nicht erreicht wurde.
Errichtet wurden insgesamt 21 Gebäude in leichter Holzbauweise. Betonböden gab es nur in den Barackenteilen, die Maschinen beherbergten, überall sonst handelte es sich um Lehmböden. Auch die Holzwände waren mit Lehm und Kalk ausgekleidet. Laut US-Armee waren die Dächer der Baracken ferner mit Holz, Dachpappe und Riffeleisen belegt.
Produktion der Me 262
Nach Angaben der US-Armee waren die Hallen für die Rumpfteile des Me 262 acht Meter breit, wohingegen die Montagehalle für die Tragflächen eine Breite von 15 Meter hatte.
Neben den Produktionshallen gab es Lagerhallen, eine Waschbaracke sowie Büro- und Aufenthaltsräume. Möglich ist, dass es sich bei den Unterkünften für die Arbeitssklaven zunächst nur um zeltartige Gebäude handelte. In den Produktionshallen waren außerdem Kräne sowie Einspannvorrichtungen und Transportbänder vorhanden.
Die Lage der Baracken wurde an das Waldstück angepasst, teils wuchsen sogar Bäume durch die Dächer, so dass eine perfekte Tarnung vorhanden war.
Die Anlage umgab ein zwei Meter hoher Stacheldrahtzaun, der Zugang zum Gelände erfolgte im Südwesten durch ein Eisentor.
Tarnname Blechschmiede
Nachdem die für die Produktion erforderlichen Maschinen und Transportbänder eingebaut worden waren, wurden im Waldwerk Horgau Flugzeugtragflächen und Bugteile für die Me 262 hergestellt. Ob tatsächlich Tragflächen geliefert wurden, ist nicht belegt.
Zur Tarnung bekam das Waldwerk Horgau den Namen “Blechschmiede Horgau”.
Die Herstellung der Tragflächen des Jagdflugzeuges sollte in Horgau etwa wie in den stillgelegten Autobahntunneln in Leonberg erfolgen. Komplexe Bauteile wurden quasi baukastenartig zusammengesetzt, die Produktion der Tragflächen in zahlreiche einfache Arbeitsschritte aufgegliedert, so dass auch unerfahrene Häftlinge Präzisionsarbeit leisten konnten.
Einige Bauteile wurden dabei in Horgau vermutlich bereits vorgefertigt angeliefert, so dass die Hauptaufgabe der Häftlinge darin bestand, Teile zusammenzubauen, zu beplanken und Verbindungen zu nieten.
Zwangsarbeit im Waldwerk Horgau
Insgesamt sollen im Waldwerk Horgau bis zu 850 Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigt gewesen sein. Bei den meisten Arbeitskräften in der Blechschmiede handelte es sich um Zwangsarbeiter (ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge). Wie viele Angestellte der Messerschmitt AG im Waldwerk arbeiteten, ließ sich bis heute nicht ermitteln.
Während die ausländischen Zivilarbeiter in einer Baracke im Garten des Waldcafés in Horgau untergebracht waren, sollen für sowjetische Kriegsgefangene südlich des Bahnhofs Baracken errichtet worden sein. Das Essen für Zivilarbeiter und Kriegsgefangene wurde im Waldcafé zubereitet.
Wie viele KZ-Häftlinge in der Blechschmiede als Arbeitssklaven eingesetzt wurden, ist nicht klar.
Nachgewiesen ist lediglich, dass am 9. März 1945 ein Transport mit 307 KZ-Häftlingen aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen in Horgau eintraf. Aufgrund von Aussagen von Häftlingen kann jedoch daraus geschlossen werden, dass sich noch weitere KZ-Häftlinge im Lager befanden.
Lebensumstände im Außenlager
Was die Lebensumstände im Waldlager Horgau betrifft, kann man aufgrund der Art der Baracken und ihrer Außenwände aus Stoff davon ausgehen, dass die Bedingungen dort v. a. aufgrund der winterlichen Temperaturen sehr hart waren. Hinzu kamen ständige Mangelernährung, schlechte hygienische Bedingungen, lange Arbeitszeiten, Müdigkeit, Schikanen, Bestrafungen, Schläge, unzureichende Bekleidung und eine fehlende medizinische Versorgung.
Belegt ist ferner, dass Häftlinge des KZ-Außenlagers Horgau auch außerhalb der Waldfabrik arbeiten mussten, vermutlich insbesondere um die in der Umgebung nötige Infrastruktur aufzubauen. Vereinzelt sollten KZ-Häftlinge aus Horgau jedoch auch nach Bombenangriffen zu Aufräumarbeiten in Augsburg herangezogen worden sein. Bestimmten Gruppen von Gefangenen war es erlaubt, Briefe mit wenigen Zeilen an ihre Angehörigen zu schreiben. Sowohl ein- als auch ausgehende Briefe wurden strengstens zensiert. Jüdischen und sowjetischen Häftlingen war jeglicher Kontakt verboten.
Auflösung des Waldwerks Horgau
In der Arbeitseinsatzkartei des Konzentrationslagers Dachau findet man für den 4. April 1945 den Vermerk, dass das Horgauer Außenkommando aufgelöst und die Häftlinge nach Pfersee überstellt worden seien. Ob nach diesem Datum im Waldwerk weitergearbeitet wurde, ist nicht bekannt. Die zivilen Zwangsarbeiter der Blechschmiede blieben bis zur Befreiung durch die US-Armee Ende April 1945 in Horgau.
Den offiziellen Unterlagen zufolge starben im Außenlager Horgau mindestens sieben Häftlinge. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Zahl der in Horgau getöteten Häftlinge größer war. Mehrere Quellen bestätigen ferner, dass KZ-Häftlinge auch bereits tot in Horgau ankamen.
Das ehemalige Waldwerk heute
Im Waldstück “Bretterstelle” etwa 1 km nordöstlich des ehemaligen Bahnhofs von Horgau erkennt man noch heute im dichten Hochwald massive Betonfundamente sowie Konstruktionsteile aus Stahl.
Während bis 2010 nur ein verwittertes Schild an das ehemalige Waldwerk erinnerte, wurden im Rahmen des Projekts “Zeigefinger weg – Arbeitshandschuhe raus” Fundamente freigelegt, vermessen und dokumentiert.
Bei meinem Besuch im Sommer 2018 waren Fundamente von Produktionshallen, Baracken, Revisionsschächte, Schienen … bereits wieder von Gestrüpp bewachsen, trotzdem jedoch aus nächster Nähe noch gut erkennbar.
Eine Informationstafel in unmittelbarer Nähe informierte ferner über Geschichte und Anlage der Blechschmiede, die Lage einzelner Hallen wurde außerdem durch rote Holzpfähle veranschaulicht.
Während einzelne Teile des Waldstücks über einen gut begehbaren, schmalen Pfad erreicht werden konnten, war der Weg durch das Gelände des Waldwerks an anderen Stellen mit recht vielen Dornen überzogen. Bei einer Erkundung empfehlen sich daher unbedingt Wanderschuhe sowie eine lange Hose mit festem Stoff und eventuell eine Gartenschere.
Wünschenswert wären eine weitere Beschilderung der Fundamente mit zusätzlichen Informationen sowie ein regelmäßiges Freilegen der vorhandenen Reste der Anlage.
Zu erreichen ist das Gelände mit dem Auto über die Straße, die den ehemaligen Bahnhof Horgau mit der Staatstraße 2032 verbindet. Vom Bahnhof kommend weist links ein Schild auf das Waldwerk hin. Der Weg davor bietet Platz für etwa drei Pkw.
Wer die Besichtigung des Außenlagers mit einer längeren Wanderung verbinden will, kann am Parkplatz schräg gegenüber des Casino-Clubs Horgau an einer weiteren Informationstafel zum Waldwerk zu einer drei- bis vierstündigen Tour auf dem Geschichtsweg starten, der auch an der Blechschmiede vorbeiführt.
Quelle: Gisela Mahnkopf und Claudia Ried (Hg.): “Blechschmiede” Horgau – KZ-Außenlager und Waldfabrik für die NS-Rüstungsproduktion. Sonderband zum 32. Jahresbericht des Heimatvereins für den Landkreis Augsburg e.V. Augsburg 2010
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Fotos: © Andrea Halbritter, Côté Langues