Corona, russischer Angriffskrieg auf die Ukraine, Terroranschläge … In den letzten Jahren war und ist unsere Welt immer wieder von schweren Krisen gebeutelt, die auch für Selbstständige zu einer großen Herausforderung werden. Von vier Übersetzerkolleg*innen wollte ich daher wissen: Wirken sich die Krisen in der Welt auf dein Übersetzungsbusiness aus? Falls ja, wie steuerst du gegen? Wie schaffst du es, dass du dennoch genügend Einnahmen hast und als Übersetzer*in über die Runden kommst? Und natürlich verrrate ich dir auch selbst, wie ich als Übersetzerin mit Krisen in der Welt umgehe.
#1 Die Übersetzerin mit der freiwilligen Arbeitslosenversicherung
Als Übersetzerin eine freiwillige Arbeitslosenversicherung abschließen
“Als ich gegründet habe, war ich zuvor befristet angestellt und hatte danach Anspruch auf ALG 1. So konnte ich den Existenzgründungszuschuss beantragen – und wurde darauf aufmerksam gemacht, dass ich mich freiwillig gegen Arbeitslosigkeit versichern kann.
Ich war verwundert, weil ich diese Form der sozialen Absicherung nur für Angestellte kannte. Aber wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, können sich auch Selbstständige gegen Arbeitslosigkeit versichern. Grob gesagt, kann sich so versichern, wer vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit innerhalb der letzten 30 Monate mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat und wer unmittelbar vor Aufnahme der selbständigen Tätigkeit eine Entgeltersatzleistung des Sozialgesetzbuchs III bezogen hat.
Der offizielle Begriff für diese freiwillige Arbeitslosenversicherung ist „Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag“. Konkret bedeutet das, dass man bei Geschäftsaufgabe (aus welchen Gründen auch immer) ALG 1 beziehen kann. Man kann die Geschäftstätigkeit auch unter 15 Stunden / Woche reduziert fortführen (es gibt eine sehr niedrige Einkommensgrenze). Die Bezugsdauer richtet sich danach, wie lange man eingezahlt hat. Die Höhe des ALG 1 wird aufgrund der Qualifikation eingestuft, beruht also auf dem theoretischen Einkommenspotential: Für die meisten Übersetzer*innen ist das wegen eines akademischen Abschlusses vorteilhaft. Der monatliche Beitrag zur Arbeitslosenversicherung für Selbständige liegt aktuell bei 78,96 Euro (West) bzw. 75,60 Euro (Ost). Gründer*innen zahlen eine Zeitlang nur die Hälfte.
Die einzigen Nachteile sind meiner Meinung nach, dass eben nicht alle Selbstständigen die Grundvoraussetzungen erfüllen und dass es, wenn man die Leistung einmal in Anspruch genommen hat, nicht möglich ist, sich mit der gleichen Selbstständigkeit erneut so zu versichern. Allerdings gab es in der Corona-Pandemie eine entsprechende Ausnahmeregelung.
Rücklagen bilden und auf Diversifizierung setzen
Das alles ersetzt nicht, Rücklagen zu bilden oder sein Portfolio zu diversifizieren (mehr Branchen oder Formate). Aber wenn überraschend gar nichts mehr geht, zum Beispiel auch durch Krankheit, hat man nach der Geschäftsaufgabe zumindest einen ordentlichen Puffer, bis man sich neu aufgestellt hat.”
#2 Mit Kundenbetreuung und -gewinnung gegensteuern
Krisen im Übersetzungsbusiness mit Kundenbetreuung bewältigen
“Haben Krisen in der Welt einen Einfluss auf mein Übersetzungsbusiness? Ja, natürlich! Krisen können das Business meiner Kunden beeinflussen und damit auch meines. Wenn Projekte meiner Kunden in ihrer Entwicklung gebremst werden, bedeutet dies auch für mich als Übersetzerin und Dolmetscherin weniger Umsatz. Was ich dagegen unternehme?
Zunächst einmal reagiere ich hierauf mit Kundenbetreuung. Ich rufe (fast) alle meine Kunden an und erkundige mich, wie es ihnen geht. Ab und zu kann ich in Zeitungen lesen, dass sie eine schwere Zeit mitmachen. Zu wissen, wie es um die Unternehmen meiner Kunden bestellt ist, ist für mich als Übersetzerin sehr wichtig. Mein Anruf ist für mich aber auch ein Zeichen des Wohlwollens. Außerdem kann ich durch ein Telefongespräch in Erfahrung bringen, wie Firmen ihre Projekte an Krisen anpassen. Wird ein Projekt abgesagt, verschoben oder aber ergänzt? (Ja, auch letzteres ist möglich!)
Dadurch dass ich mich bei meinen Kunden melde, erfahren diese gleichzeitig, dass ich noch arbeite und bei Übersetzungsbedarf zur Verfügung stehe. Ich bringe mich in Erinnerung und zeige, dass es mein Übersetzungsbusiness auch trotz Krise noch gibt.
Für sehr kleine Firmen wie die meinige macht eine enge Kundenbetreuung den Unterschied zu größeren Unternehmen in der Übersetzungsbranche: We take care und we really mean it!
Neue Serviceleistungen kreieren und vorstellen
Krisen sind auch die richtige Zeit, um Kunden weitere und neue Dienstleistungen vorzustellen: zum Beispiel Remote-Verhandlungsdolmetschen, Post-Editing oder die Versorgung mit weiteren Sprachkombinationen durch die Zusammenarbeit mit neuen Kolleg*innen …
In Krisen als Übersetzer*in noch stärker Akquise betreiben und netzwerken
Auf Krisen reagiere ich als Übersetzerin und Dolmetscherin aber nicht nur mit Nachfragen, sondern auch mit Kundengewinnung. Akquise sollte jedoch nicht erst dann auf dem Programm stehen, wenn die Krise in vollem Gange ist, sondern etwas Regelmäßiges sein. In Krisenzeiten ist es Zeit, neue Kunden zu finden. Häufig haben Übersetzer*innen in Krisen mehr Zeit, sich auf ihr Marketing zu konzentrieren, da weniger Übersetzungsprojekte zu bearbeiten sind. Es ist sicher möglich, Kunden zu finden, die weniger unter der Krise leiden, und sich als Übersetzer*in neue Märkte zu erschließen.
Wichtig ist für Sprachmittler*innen, in beruflichen Netzwerken präsent zu sein. Ich persönlich finde dies immer sehr spannend, da ich so nicht nur neue Leute kennenlerne, sondern auch interessante Infos bekomme.”
#3 Als Übersetzer*in ein sicheres Einkommen durch einen Angestelltenjob
Nur im Nebenerwerb Übersetzerin
“Während der Corona-Lockdowns haben nicht wenige den Beruf gewechselt, darunter auch Übersetzer*innen. Ich selbst bin auch auf Nummer sicher gegangen mit einem ‘Day Job’ den ich noch immer habe – Übersetzungen mache ich abends. Zumindest habe ich die Wahl. Ich könnte ja auch über mein Spezialgebiet hinausgehen und mich um Texte bewerben, die ich bisher nur selten oder ungern übersetzt habe.
In Krisen wechseln viele Übersetzer*innen den Beruf
Wer momentan in einer wirklichen Krise steckt, das sind fraglos unsere Kolleg*innen aus der Ukraine. Woher soll das Geld kommen, wenn du auf der Flucht bist oder mit Molotow-Cocktails versuchst, Panzer aufzuhalten? Aber nicht nur die ukrainischen Kolleg*innen sind betroffen. Ich muss auch oft an die Russ*innen denken, die genauso entsetzt wie wir über Putins Invasion sind und jetzt wegen ihrer Nationalität überall angefeindet werden. Russische Restaurants werden boykottiert; in Cardiff wurde das Tschaikowsky-Konzert des Philharmonischen Orchesters gestrichen. Wer will jetzt noch seine*ihre Website ins Russische übersetzen?
Was würde ich tun, wenn ich eine russische Übersetzerin wäre? Wenn ich auf LinkedIn schaue, sind die Beiträge derer, die enthusiastisch ihre und unsere Kulturen verglichen haben, still geworden. Geht es ihnen anders als vielen unserer Großeltern unter den Nazis, die entweder den gleichgestellten Medien auf den Leim gingen und die Propaganda glaubten oder gar gegen das System waren, aber sich nicht trauten, etwas zu tun? Würde ich mich trauen?
Wenn ich mich auf Marketing spezialisiert hätte, sagen wir Sprachrichtung Russisch-Deutsch, was bliebe mir jetzt übrig? Selbst Kündigungsverträge würden mich nur eine Zeitlang über Wasser halten. Würde ich freiwillig westliche Nachrichten und Reportagen aus der Ukraine übersetzen und versuchen, die Hacker zu kontaktieren, die momentan die Nachrichtenblockade in Russland mit Spam-Emails bekämpfen? Leben könnte ich davon als Übersetzerin nicht. Aber ich hätte das Gefühl, wenigstens etwas zu tun, um zu helfen, und darum geht es uns doch, oder?”
#4 Auf der Suche nach einem Drittjob
Trotz Beeidigung in Krisen manchmal wenig zu tun als Übersetzer*in
“Seit einem Monat scheint die Welt völlig aus dem Ruder gelaufen. Wo ich seit meiner erneuten Beeidigung im März 2021 vorher als Übersetzerin alle Hände voll zu tun hatte, gibt es jetzt viel weniger zu tun. Und das buchstäblich seit Beginn der Invasion Russlands in die Ukraine. Manchen Kolleg*innen scheint es ebenso wie mir zu ergehen, während andere viel mehr Arbeit haben.
Ich vermute, dass Unternehmen ihr Geld in der Tasche behalten und nicht in Übersetzungen investieren. Es erging mir 2020 auch so, als die Covid-Pandemie gerade begonnen hatte. Verständlich, aber für mich katastrophal, da nur ich für das Einkommen, den Haushalt und die Pflege meines hilfsbedürftigen Mannes verantwortlich bin.
Übersetzungsbusiness, Carearbeit und Zweitjob
Sollte sich diese Lage für mich als Übersetzerin so fortsetzen, werde ich mich wohl oder übel nach einem Zweitjob (oder in meinem Fall Drittjob, denn Pflege eines Angehörigen gilt für mich auch als Arbeit) umschauen müssen, so dass zumindest die Festkosten sichergestellt sind und ich nicht mit meinem chronisch kranken Mann auf der Straße lande. Ich kann nur hoffen, dass wenigstens er dann einen Platz in einem Pflegeheim bekommt, denn ohne Medikamente und Nierendialyse wäre es für ihn in kürzester Zeit aus. Und der neue Job? Gewusst wie. Mich stellt man altersbedingt nicht so schnell ein, vermute ich mal. Aufgeben ist jedoch nicht meine Sache. Irgendwie geht es immer weiter.”
#5 Mit neuen Dienstleistungen auf Bedürfnisse antworten
Als Mitglied einer Genossenschaft arbeitslosenversichert
“Als ich 2013 den Schritt in die Selbstständigkeit gegangen bin, habe ich mich dazu entschieden, mich einer französischen Genossenschaft anzuschließen. Für mich als Übersetzerin hat dies den Vorteil, dass ich von einem Sonderstatus profitieren kann, der so vor allem in Frankreich verbreitet ist: Ich bin selbstständige Übersetzerin und als solche Angestellte einer Genossenschaft. Ein Status, der mir sämtliche Vorteile beschert, den das Angestelltendasein so mitbringt, ohne gleichzeitig die Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. In Krisenzeiten bin ich durch meine Mitgliedschaft bei einer Genossenschaft zum Beispiel arbeitslosenversichert.
Da sich kein Ende der Pandemie abzeichnet und meine Kunden seit Covid immer wieder unter starken Umsatzeinbußen gelitten haben, habe ich für den Fall, dass dem demnächst wieder so sein sollte, vorgebaut: Seit Herbst 2021 habe ich nach zehnjähriger Pause wieder eine 30-Prozent-Stelle als Lehrkraft für Französisch inne, eine Tätigkeit, die ich vor meinem Übersetzungsbusiness fast 20 Jahre ausgeübt habe und mit der ich mich notfalls auch ohne Übersetzungsleistungen über Wasser halten kann.
Erweiterung des Leistungsspektrums auf Leichte und Einfache Sprache
Neben Übersetzungen vom Französischen ins Deutsche biete ich seit 2019 auch Texte in Leichter und Einfacher Sprache an, wobei ich mich in diesem Bereich im Gegensatz zu den meisten anderen Übersetzer*innen stark spezialisiere, um mich von der Masse an Anbieter*innen abzuheben. Was den Weinbereich betrifft, habe ich mein Angebot um eine Sprachkombi erweitert und biete seit 2020 auch Übersetzungen aus dem Englischen an. In Krisenzeiten ist es gut, breit aufgestellt, gleichzeitig aber Spezialist*in zu sein und aus der Masse an Anbieter*innen herauszustechen: durch besondere Kompetenzen, Leistungen, die anderswo so nicht zu finden sind. Bricht während einer Krise der Übersetzungsmarkt in einem Bereich ein, stehen so noch andere Bereiche zur Verfügung.
Freiberufler*innen müssen Krisen antizipieren
Generell ist es für Unternehmer*innen wichtig, Krisen zu antizipieren, den Markt zu analysieren und zu sehen, welche neuen Bedürfnisse durch Krisen entstehen, sowie hierfür die passenden Produkte bzw. Dienstleistungen zu entwickeln. Stell dir als Übersetzer*in folgende Fragen: Welche neuen Bedürfnisse sind durch die Krise entstanden? Was benötigen Menschen jetzt, was sie vielleicht vorher nicht in dem Maße benötigt haben? Kannst du diese Bedürfnisse erfüllen und eine neue Dienstleistung kreieren?”
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