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Nachrichten in Leichter Sprache: ja oder nein?

Altes Fernsehgerät vor gestreifter Tapete

Mal wieder ist die Aufregung auf Social Media groß. Nicht wie die letzten Monate wegen Gendersternchen, sondern wegen Leichter Sprache. In einer Petition fordert Nathalie Dedreux von ARD und ZDF Nachrichten in Leichter Sprache. Ein Unding, so jedenfalls viele User*innen.

Nachrichten in Leichter Sprache: Reaktionen auf Social Media

 

Und so lese ich als Übersetzerin in Leichte Sprache auf Facebook und anderswo folgende und ähnliche Kommentare:

 

„Sprache ist ein wichtiges Gut. Eine anspruchsvolle Art der Verständigung ist wunderbar. Dazu gehören ein großer Wortschatz und Fremdwörter. Wir schaffen ja auch keine Farben ab, nur weil manche Menschen keine Farben sehen können.“

„Nachrichten in Leichter Sprache zu fordern ist eine Katastrophe! Ich will ein anspruchsvolles, hochwertiges Angebot und keine Infantilität. Nachrichten für Menschen mit eingeschränkten intellektuellen Fähigkeiten brauchen wir nicht. Nicht in der ARD, nicht im ZDF, nirgends!”

„Es gibt doch schon Nachrichten und andere Fernsehsendungen für Kinder. Das muss reichen!“

„Das Deutsche ist eine herrliche Sprache. Wie die deutsche Sprache verhunzt wird, tut mir schon seit Jahren weh. Ich bin absolut gegen Leichte Sprache, nicht nur im Fernsehen.“

„Woran wollen wir uns in Deutschland eigentlich orientieren? An denen unten oder an denen oben? Wohin kommen wir, wenn wir uns immer nach unten orientieren?“

„Die Leute werden immer ungebildeter und deswegen soll jetzt auch das Sprachniveau sinken? Ich will meine Tagesschau sehen so wie immer!“

„Dass Menschen mit einer geistigen Behinderung auch Nachrichten verstehen wollen, sehe ich ja ein. Sollte man die Menschen aber nicht eher so fördern, dass sie die normalen Nachrichten im Fernsehen verstehen? Das wäre doch besser als Nachrichten in Leichter Sprache.“

„Das Niveau herunterschrauben, nur weil Einzelne nichts verstehen? Finde ich nicht richtig. Und das soll ich dann von meinen Gebühren mitfinanzieren?“

„Die Nachrichten auf ZDF und ARD sind jetzt wirklich nicht so schwierig, dass man sie nicht verstehen könnte. Es ist ja kein Beamtendeutsch!“

„Sagen wir dann künftig nur noch ‚gluglu‘ oder ‚glagla‘? Oder was soll das hier werden?“

„Nachrichten in Leichter Sprache bringen den meisten nichts. Ich will nicht für eine staatliche Verdummung zahlen.“

„Wollt ihr jetzt von allem zwei Versionen machen? Die sollen sich mal anstrengen, dann verstehen sie auch was. In meinem Betrieb gibt’s auch keine Leichte Sprache und alle kommen zurecht.“

Reaktionen zu Nachrichten in Leichter Sprache: Ursachenforschung

Wie kommt es zu solchen Reaktionen? Viele scheinen nicht zu wissen, was genau Leichte Sprache ist und an wen sich Leichte Sprache richtet. Sie befürchten, dass Leichte Sprache das Standarddeutsche ersetzen und verdrängen soll.

Im Grunde genommen spiegeln sich in den Äußerungen auf Social Media jede Menge Irrtümer und Vorurteile, mit denen ich mich als Übersetzerin in Leichte Sprache in diesem Artikel beschäftigt habe: 11 Irrtümer über Leichte Sprache

Einige User*innen sind auch ganz einfach behindertenfeindlich, ableistisch. Menschen mit einer Behinderung sprechen sie eine gleichberechtigte Teilhabe ab. Sie sollen nicht gleichbehandelt, sondern mit ein paar Krümeln abgespeist werden, die die Gesellschaft ihnen zubilligt. Also zum Beispiel mit Kindersendungen.

Manche gehen fälschlicherweise auch davon aus, dass es reiche, Menschen mehr zu fördern.

Brauchen wir Nachrichten in Leichter Sprache?

Gründe für Nachrichten in Leichter Sprache

 

Teilhabe ist ein Menschenrecht und muss in allen Bereichen des Lebens für jeden gewährleistet sein. Inhalte für Kinder können Leichte Sprache nicht ersetzen. Oder möchtest du als Erwachsener dauerhaft nur Content für Kids zur Verfügung haben? Erwachsene haben häufig ganz andere Interessen.

Leichte Sprache soll Standarddeutsch nicht ersetzen, sondern ein alternatives Angebot für Menschen mit einer geistigen Behinderung darstellen. Nachrichten in Leichter Sprache können auch für andere Bürger*innen mit eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten von Vorteil sein, so zum Beispiel für manche Alzheimer- oder Parkinson-Erkrankte, Menschen nach einem Schlaganfall oder einer Hirn-OP. Außerdem ist Leichte Sprache auch für Migrant*innen hilfreich, die bisher nur wenig Deutsch sprechen.

Kann man Menschen mit einer geistigen Behinderung so fördern, dass sie Standarddeutsch verstehen? Nein! Während dies bei Schlaganfallpatient*innen, Menschen mit einer Hirnverletzung durchaus möglich ist, ist dies bei Menschen mit einer mittelschweren geistigen Behinderung nicht der Fall und wohl auch bei den meisten Menschen mit einer leichten geistigen Behinderung nicht machbar. Übersetzungen in Leichte Sprache werden also immer nötig sein.

Es verunsichert zutiefst und erzeugt teils auch Ängste, Nachrichten nur teilweise zu verstehen. Nachrichten können überlebensnotwendig sein.

Worauf also warten wir noch, um wirklich allen Teilhabe zu ermöglichen?

 

 

Zur Autorin:

Leichte-Sprache-Übersetzerin Andrea Halbritter

Andrea Halbritter

Andrea Halbritter ist Germanistin mit 2. Staatsexamen und vom Netzwerk Leichte Sprache e. V. zertifiziert. Mit Leichter und Einfacher Sprache beschäftigt sie sich bereits seit etwa 30 Jahren. Sie erstellt Übersetzungen vom Standarddeutschen in Leichte und Einfache Sprache und textet auch.

 

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