Meine 17 besten Tipps zum Prüfen von Übersetzungen in Leichte Sprache

Tafel mit der Aufschrift "Teamwork" und in verschiedenen Farben aufgemalten Personen

Übersetzungen in Leichte Sprache (LS) sollten von Personen mit Lernschwierigkeiten auf Verständlichkeit geprüft werden. Doch nicht immer läuft eine solche Revision von Texten in LS optimal ab. Die letzten Monate durfte ich bei einigen Übersetzer*innen in Leichte Sprache sowie bei Agenturen für Barrierefreiheit „Mäuschen spielen“. Heißt: Ich war beim Prüfen dabei – nicht als Prüfassistenz, sondern als Zuschauerin beziehungsweise Zuhörerin. In diesem Artikel verrate ich dir, welche 5 fatalen Fehler mir beim Prüfen von Übersetzungen in Leichte Sprache aufgefallen sind.

Aber das ist noch nicht alles! Am Ende des Beitrags bekommst du von mir 17 Tipps zum Prüfen von Texten in LS.

Prüfen von Übersetzungen in Leichte Sprache durch die Nutzergruppe

Gemäß dem Motto „Nichts für uns ohne uns“ ist das Prüfen von Texten in Leichter Sprache für das Netzwerk Leichte Sprache e. V. und Inclusion Europe ein wichtiger Bestandteil Leichter Sprache. Wie LS selbst ist das Prüfen durch Menschen mit Lernschwierigkeiten in der Praxis entstanden.

Auch in der DIN SPEC Leichte Sprache heißt es ab Seite 53: „Textschaffende und visuelle Gestalterinnen und Gestalter sollten bei der Erstellung von Leichte-Sprache-Texten mit Menschen mit Lernschwierigkeiten zusammenarbeiten, um die Qualität der Texte sicherzustellen. (…) Es ist essenziell, den Text auch in seiner endgültigen visuellen Gestaltung mit dem finalen Bildmaterial von Menschen mit Lernschwierigkeiten prüfen zu lassen.“

Bei der Qualitätssicherung von Texten in Leichter Sprache sei zum Beispiel auf folgende Punkte zu achten: Verstehen die Prüfer*innen die Wörter? Gibt es für schwere Wörter Erklärungen? Werden sämtliche Teile des Leichte-Sprache-Textes verstanden? Benötigen die Prüfer*innen mit Lernschwierigkeiten zusätzliche Infos? Passt die Reihenfolge der Informationen? Ist die Übersetzung in Leichte Sprache gut lesbar?

Vorgaben zum Prüfen von Übersetzungen in Leichte Sprache

Der neue Ratgeber Leichte Sprache von Netzwerk Leichte Sprache e. V. und Bundesministerium für Arbeit und Soziales formuliert: „Machen Sie immer eine Qualitätskontrolle. (…) Sie brauchen dafür: Fachleute für den Inhalt von Texten, Fachleute für Leichte Sprache, Fachleute für Gestaltung, Menschen aus der Ziel-Gruppe.“ „Menschen mit Lernschwierigkeiten können dann sagen: Ich verstehe den Text gut. Ich verstehe den Text nicht. (…) Manche Prüfer und Prüferinnen streichen schwere Wörter und Bilder an. Manche Prüfer sagen in der Prüf-Gruppe: Das ist schwer. Das verstehe ich nicht.“

Fragen im Ratgeber Leichte Sprache zum Prüfen von LS-Texten

Im Ratgeber finden sich fünf Fragen: Können die Prüfer und Prüferinnen alle Infos gut verstehen? Brauchen die Prüfer und Prüferinnen noch Infos? Passt die Reihenfolge von den Infos? Werden schwere Wörter erklärt? Ist der Text gut gestaltet? Ist alles gut zu erkennen?

Wie die Überprüfungen genau vorzunehmen sind, wird nicht erläutert. Inclusion Europe schreibt mindestens 1 Prüfer*in mit Lernschwierigkeiten vor, das Netzwerk Leichte Sprache e. V. mindestens zwei. Das Netzwerk People First Deutschland e. V. empfiehlt, möglichst abwechslungsreich zu prüfen: zum Beispiel mit Klebepunkten, Vorlesen, Papier und Stift, allein, in Kleingruppen …

Empfehlungen der DIN SPEC Leichte Sprache

Die DIN SPEC Leichte Sprache rät auf Seite 57 zu folgender Vorgehensweisen: Die Prüfer*innen aus der Nutzergruppe von LS lesen den Text abwechselnd laut vor. Alternativ lesen die Prüfer*innen den Text für sich und markieren schwere oder unverständliche Stellen. Anschließend stellt die Prüfassistenz offene Fragen. Als Beispiel nennt die DIN SPEC Leichte Sprache folgende Fragen an die Prüfer*innen mit Lernschwierigkeiten: „Was ist mit dem Begriff XY gemeint? Können Sie diesen Absatz in eigenen Worten wiedergeben?“

Die wichtige Rolle der Prüfassistenz

Moderator*innen, auch Prüfassistenz genannt, unterstützen die Prüfer*innen von LS beim Prüfprozess. Dazu stellen die Prüfassistent*innen Fragen, die in Erfahrung bringen sollen, ob die Prüfer*innen mit Lernschwierigkeiten den Text verstanden haben. Den Moderator*innen kommt damit eine wichtige Rolle zu.

5 fatale Fehler beim Prüfen von Übersetzungen in Leichte Sprache

Was aber ist mir während meiner Hospitationen in unterschiedlichen Prüfgruppen aufgefallen? Insgesamt war ich in 5 Prüfgruppen mit Menschen mit Lernschwierigkeiten unterwegs.

Geprüft wurde teils online, teils in Präsenz oder hybrid. Manchmal war 1 Prüfassistenz vorhanden, selten waren es zwei Moderator*innen. Die meisten waren keine Leichte-Sprache-Übersetzer*innen, sondern boten das Prüfen von Texten in LS als Leistung für Leichte-Sprache-Büros an. Die Qualitätsprüfung fand in manchen Gruppen als Zwei-Personen-Gespräch und in anderen als Mehr-Personen-Gespräch statt, bei dem bis zu 3 Prüfer*innen mit Lernschwierigkeiten beteiligt waren.

Während sich eine Gruppe „wacker“ schlug, kam es in den anderen vier Prüfgruppen zu fatalen Fehlern im Prüfprozess:

#1 Beim Prüfen von LS aufs Vorlesen verzichten

In einer Prüfgruppe verzichtete die Sprachassistenz darauf, die Prüfer*innen den Text vorlesen zu lassen. Für mich ist das Vorlesen ein wichtiger Bestandteil des Prüfprozesses. Während des Lesevorgangs zeigt sich sofort, welche Wörter schwer lesbar sind: zum Beispiel, weil sie zu lang sind und ein Mediopunkt oder Bindestrich fehlt. Oder aber weil die Prüfer*innen das Wort nicht kennen, es im jeweiligen Satz nicht vermuten … Prüfer*innen stolpern über schwere Wörter, hören zu lesen auf oder „halluzinieren“.

Auch zu lange Sätze fallen beim Vorlesen sofort auf, ebenso eine schwer lesbare oder zu kleine Schrift, ungünstig gewählte Farben und so weiter.

#2 Der Prüfgruppe vor allem Entscheidungsfragen stellen

4 Prüfgruppen nahmen die Empfehlungen des Ratgebers Leichte Sprache allzu wörtlich. Die Sprachassistenz stellte lediglich Entscheidungsfragen, auf die mit „Ja“ oder „Nein“ geantwortet werden konnte: „Hast du im Text alles verstanden?“ „Gibt es im Text schwierige Wörter?“ „Sind die Bilder gut?“

Verständnisfragen kamen nicht vor. Auch wurden die Prüfer*innen nicht dazu aufgefordert, den Text oder einzelne Abschnitte davon in eigenen Worten zusammenzufassen.

Wenn Prüfer*innen auf die Frage „Habt ihr im Text alles verstanden?“ mit „Ja“ antworten, heißt das erst einmal gar nichts. Moderator*innen können daraus nicht schließen, was die Prüfer*innen mit Lernschwierigkeiten verstanden haben.

#3 Den Prüfer*innen von LS Suggestivfragen stellen

Eine Prüfassistentin stellte ihren Prüfer*innen immer wieder Suggestivfragen – vermutlich, weil der Prüfprozess sehr zäh ablief, also die Prüfer*innen mit Lernschwierigkeiten sehr wortkarg waren. Um die von ihr gewünschte Antwort zu erhalten, formulierte sie Fragen, die so gestellt waren, dass die Antwort nahelag. „Meinst du nicht auch, …?“ „Siehst du, dass …?“ „Es ist doch bestimmt so, dass …?“ „Sind es zwei oder mehr …?“ „Ist das etwa …?“

Mit zunehmendem Fortschreiten der Prüfung von Leichter Sprache wurden die Menschen mit Lernschwierigkeiten dazu gedrängt, bestimmte Antworten zu geben. Vielleicht weil es mit dem Prüfen der Texte nicht wirklich voranging? Weil zu wenig Zeit einkalkuliert und der Prüfvorgang für die jeweilige Agentur unrentabel wurde?

#4 Die Übersetzung in Leichte Sprache in einer Kleingruppe testen

Völlig aus dem Ruder lief ein Prüfvorgang: Einige der leichten Bilder erinnerten den Prüfer an eigene Erlebnisse, die mit dem Text nichts zu tun hatten. Prüferin Nr. 2, die den ersten Abschnitt der Übersetzung in Leichte Sprache völlig richtig verstanden hatte, sprang „auf den Zug auf“. Prüferin 3 kam gar nicht mehr zu Wort …

Anders gesagt: Ich bin ein absoluter Fan von Einzelprüfungen. Die Prüfer*innen werden in Einzelprüfungen nicht von anderen Menschen mit Lernschwierigkeiten beeinflusst. Mit geschickten Fragen kann die Prüfassistenz erfassen, was ihr Gegenüber verstanden hat und was nicht. Das Prüftempo kann an die jeweilige Person angepasst werden und manche Prüfer*innen haben auch weniger Hemmungen sich zu melden, wenn ihnen Stellen „spanisch“ vorkommen.

#5 Texte in Leichter Sprache prüfen trotz schlechter Tagesform

In zwei Gruppen fiel auf, dass die Prüfer*innen von Anfang an oder im Laufe des Prüfvorgangs sehr müde waren. Ein Prüfer mit Lernschwierigkeiten schlief sogar immer wieder ein. Statt den Termin zu verschieben, versuchte die Moderatorin, die Prüfung der Übersetzung in Leichte Sprache durchzuboxen.

Andrea Halbritter in Anorak bei einem Strandspaziergang

Meine besten Tipps für das Prüfen von Übersetzungen in Leichte Sprache

  1. Lass dir deinen Text in LS abschnittweise vorlesen.
  2. Du hast Prüfer*innen, die schlecht sehen? Plane mindestens eine Person mit Lernschwierigkeiten ein, die den Text vorliest.
  3. Stelle deinen Prüfer*innen vor allem Ergänzungsfragen. Ergänzungsfragen sind Fragen, auf die Personen nicht mit „Ja“, „Nein“ oder „Vielleicht“ antworten können.
  4. Verwende Entscheidungsfragen nur dann, wenn in einer Prüfung von Leichter Sprache verschiedene Formulierungen/Farben oder Ähnliches zur Wahl stehen.
  5. Bitte deine Prüfer*innen: „Stell den Text einem Freund vor, der ihn nicht gelesen hat.“ „Dein Freund [Name eines Freundes des Prüfers] kennt dieses Wort nicht. Wie erklärst du es ihm?““
  6. Verzichte auf Suggestivfragen.
  7. Beim Formulieren von Fragen kannst du auch auf eine Technik aus dem Fremdsprachenunterricht zurückgreifen: Stell bewusst Fragen, die Protest beziehungsweise Widerspruch auslösen, weil sie falsche Behauptungen beinhalten. (Achtung: Funktioniert nur bei selbstbewussten Prüfer*innen!)
  8. Du hast noch wenig Erfahrung beim Prüfen von Übersetzungen in LS? Dann überlege dir deine Fragen im Vorfeld und notiere sie dir.
  9. Finde heraus, wann deine Prüfer*innen sich am besten konzentrieren. Manche Menschen mit Lernschwierigkeiten prüfen am liebsten morgens, andere am Nachmittag oder abends.
  10. Viele Prüfer*innen haben nur eine kurze Aufmerksamkeitsspanne (20–30 Minuten). Andere können länger prüfen (60–120 Minuten). Überfordere deine Prüfer*innen nicht. Plan Pausen ein oder noch besser: Mach am nächsten Tag weiter.
  11. Sei geduldig! Es bringt nichts, deine Prüfer*innen durch den Text „zu jagen“.
  12. Vermittle deinen Prüfer*innen, dass sie die wahren Expert*innen für Leichte Sprache sind. Achte aber gleichzeitig auf die Einhaltung von Leichte-Sprache-Regeln. Einer meiner Prüfer ist zum Beispiel Fan der K-Negation, der jedoch immer die N-Negation vorzuziehen ist.
  13. Prüf in Zweier-Gesprächen!
  14. Wenn du trotzdem mit mehreren Personen mit Lernschwierigkeiten prüfen willst, solltest du darauf achten, dass jede*r zu Wort kommt.
  15. Prüfer*innen mit wenig Selbstbewusstsein sind verunsichert, wenn sie mit der Person prüfen, die den Leichte-Sprache-Text geschrieben hat. Sie loben vielleicht den Text, weil sie die Übersetzerin nicht verletzen wollen. Oder aber sie weisen bewusst nicht auf zu lange oder schwierige Wörter hin, da sie die Leichte-Sprache-Übersetzerin nicht kritisieren wollen.
  16. Deine Prüfer*innen haben ein Wort oder einen Satz nicht verstanden? Dann erarbeitet sofort eine Alternative oder eine Erklärung. Dies erspart dir eine zweite Prüfung des Textes.
  17. Hospitiere in anderen Prüfgruppen.

Abschließend möchte ich den Prüfgruppen danken, bei denen ich dabei sein durfte. Es gehört viel Mut und Offenheit dazu, andere hinter die Kulissen blicken zu lassen. Wie im Vorfeld vereinbart, verrate ich nicht, um welche Gruppen es sich handelt. So viel kann ich jedoch sagen: Die Moderator*innen, die sich am besten „schlugen“, waren die mit der längsten Erfahrung. Wenig verwunderlich: Übung macht den Meister!

Frau mit schulterlangen blonden Haaren und grauen Strähnen, blauen Augen, Brille und grauem Mantel

Andrea Halbritter

Andrea Halbritter ist Germanistin mit 2. Staatsexamen und vom Netzwerk Leichte Sprache e. V. zertifiziert. Sie erstellt Texte in Leichter und Einfacher Sprache für NS-Gedenkstätten, Museen, politische Parteien und Gesundheitsbehörden. In den Sprachrichtungen Französisch-Deutsch und Englisch-Deutsch übersetzt Andrea vor allem im Bereich Wein.

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