Für dein Wahlprogramm in Leichter Sprache musstest du ganz schön kämpfen. Barrierefreiheit hast nämlich anfangs im Parteivorstand nur du wichtig gefunden. Die anderen von der Notwendigkeit eines Programms in Leichter oder Einfacher Sprache zu überzeugen, fiel richtig schwer. Nach wochenlangen Vorstandssitzungen, bei denen ihr das Thema Politische Teilhabe immer vor euch hergeschoben habt, durftest du endlich einen Experten für Leichte Sprache beauftragen.
Zwei Wochen später ist euer Kurzwahlprogramm fertig. Das Programm sieht richtig gut aus. Auf jeder Seite enthält es mindestens zwei Leichte Bilder. Bevor du euer Programm online stellen solltest, wirfst du noch einmal einen letzten Blick auf euer barrierearmes Programm. Und da, oh Schreck! Du siehst, dass du vergessen hast, deinem Spezialisten für Leichte Sprache einen Abschnitt zu schicken.
Die Zeit ist knapp. Der Parteivorstand der Ansicht, diesen einen Abschnitt bekommt ihr selbst in leicht verständlichem Deutsch hin. Also macht ihr euch ans Werk und formuliert die fehlenden Sätze selbst.
Warum dies keine gute Idee ist und du das Wahlprogramm deines Spezialisten für Leichte Sprache nicht verändern solltest, erkläre ich dir in diesem Blogartikel.
11 Gründe, warum du am Wahlprogramm deines Experten für Leichte Sprache nichts verändern solltest
#1 Euer Wahlprogramm soll von der Zielgruppe verstanden werden
Vielleicht erinnerst du dich noch an die Zeit, in der du dafür gekämpft hast, dass die anderen Mitglieder deines Parteivorstands mit dir für die Übersetzung eures Wahlprogramms in Leichte Sprache stimmen? Dein Ziel war es, mit einem Kurzwahlprogramm in Leichter Sprache wirklich allen Wählern und Wählerinnen politische Teilhabe zu ermöglichen. Auch den Menschen, die aufgrund von Lernschwierigkeiten auf Leichte Sprache angewiesen sind. Nicht ohne Grund hast du dafür plädiert, für die Übersetzung eures Kurzwahlprogramms in Leichte Sprache auf einen wirklichen Experten zu setzen.
Vielleicht hast du vor der Beauftragung eines Spezialisten für Leichte Sprache sogar einen Blick auf meinen Blogartikel Wie wählt man als Partei einen Übersetzer für Leichte Sprache aus? geworfen.
Dass man sich Leichte Sprache nicht einfach aus dem Ärmel schütteln kann, war dir nämlich durchaus bewusst. Warum also solltest dies plötzlich bei einem weiteren Abschnitt oder zusätzlichen Satz möglich sein?
Ganz genau, das ist es nicht! Übersetzt du die zusätzliche Passage einfach selbst, ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, dass es sich bei deinem Text nicht um Leichte Sprache handelt und die Zielgruppe nichts versteht.
Heißt: Den Abschnitt gleich weglassen wäre besser …
#2 Ohne seriöse Ausbildung in Leichter Sprache kein barrierefreies Wahlprogramm
Texte in Leichte Sprache zu übersetzen ist nur mit einer seriösen Ausbildung möglich. Ein wirklicher Experte in Leichter Sprache hat dazu z. B. über längere Zeit Kurs beim Netzwerk Leichte Sprache besucht oder aber einen Studiengang in barrierefreier Kommunikation an einer Universität abgeschlossen.
Selbst unter denjenigen, die sich als Spezialisten für Leichte Sprache bezeichnen, solltest du noch die Spreu vom Weizen trennen und schauen, ob der Dienstleister, den du ins Auge gefasst hast, dir wirklich Leichte Sprache bieten kann.
Hast du eine derartige Ausbildung nicht selbst durchlaufen, lässt du besser den Finger vom Text.
#3 Wenn du den Text selbst veränderst, ist er nicht mehr barrierefrei
Veränderst du das Kurzwahlprogramm deiner Partei nämlich selbst, ist es nicht mehr barrierefrei. Da du die Regeln für Leichte Sprache nicht kennst bzw. im besten Fall überflogen hast, kannst du auch keinen wirklich barrierefreien Abschnitt verfassen. Stattdessen baust du in dein barrierefreies Wahlprogramm Elemente ein, die bei der Zielgruppe zu Verständnisschwierigkeiten führen.
#4 Du baust schwer verständliche Strukturen ein
Wenn ich ein Wahlprogramm oder einen anderen Text in Leichter oder Einfacher Sprache fertig gestellt habe, warte ich natürlich ungeduldig darauf, dass er von meinem Kunden online gestellt wird.
Manche Parteien benachrichtigen mich, wenn dies passiert ist. Die meisten vergessen es aber, so dass ich hin und wieder einen Blick auf die Websites der Parteien werfe, für die ich zuletzt ein Programm in Leichter oder Einfacher Sprache erstellt habe.
Letztens prangte mir auf einem der von mir in stark vereinfachte Einfache Sprache übersetzten Kurzwahlprogramme folgender Satz entgegen:
“Es muss auch Menschen geben, die von der Stadt dafür bezahlt werden, sich um ihr Stadt-Viertel zu kümmern.”
Darunter mein Name. Schluck.
Selbst in stark vereinfachter Einfacher Sprache (und nicht in Leichter Sprache) enthält dieser Satz gleich mehrere Strukturen, die nicht als barrierefrei zu bewerten sind: eine Passivkonstruktion (bezahlt werden) und einen Infnitivkonstruktion mit zu.
Barrierefrei geht anders. Einen Überblick über Strukturen, die in einem Text in Einfacher oder Leichter Sprache vermieden werden sollten, findest du hier: 5 Strukturen, die in Leichter Sprache nichts verloren haben
#5 Der von dir verwendete Wortschatz ist nicht leicht verständlich
Aufzupassen gilt es aber nicht nur in Bezug auf Satzbau und grammatikalische Strukturen, sondern auch im Hinblick auf das Vokabular.
Wenn du deinem leicht verständlichen Wahlprogramm selbst einen Abschnitt oder auch nur einen Satz hinzufügst, ist die Gefahr groß, dass dessen Wortschatz nicht unbedingt barrierefrei oder barrierearm ist.
Du solltest z. B. keine seltenen oder zu langen Wörter einbauen. Mehr hierzu erfährst du in meinem Blogartikel Leichte Sprache: Wie erkennt man leichte Wörter?
#6 Texte in Leichter Sprache müssen geprüft werden
Zu Texten in Leichter Sprache gehört, dass sie von mindestens einem Prüfer mit einer geistigen Beeinträchtigung überprüft werden. Dabei kann es sich z. B. um einen Prüfer oder eine Prüferin mit Down Syndrom, einer Hirnverletzung oder einer Alzheimer-Erkrankung handeln.
Der Prüfer bzw. die Prüferin geht dein Wahlprogramm natürlich nicht allein auf Verständlichkeit durch, sondern arbeitet mit einer Prüfassistenz, also einer Person ohne geistiges Handicap zusammen. Oft ist dies der Übersetzer deines Wahlprogramms in Leichte Sprache, aber nicht immer. Häufig kann es auch sinnvoll sein, für die Prüfung deines Textes im Hinblick auf Barrierefreiheit eine weitere Person hinzuziehen.
Du hast in deinem Bekanntenkreis Menschen mit Down Syndrom oder Lernschwierigkeiten? Auch Prüfen kann man nicht improvisieren! Dein Spezialist für Leichte Sprache weiß, wie’s geht, du und die anderen Politiker in deiner Partei vermutlich nicht.
#7 Du stiehlst dem Layout seine Barrierefreiheit
Durch deine zusätzlichen Ergänzungen ist dein Wahlprogramm zu lange geworden. Oder aber du bist plötzlich der Ansicht, dass die Druckkosten für ein Format A5 wesentlich niedriger liegen als die für ein Kurzwahlprogramm in A4.
Daher beschließt du gemeinsam mit den anderen Kandidaten deiner Stadtratsliste, ins Layout deines Spezialisten für barrierefreie Kommunikation einzugreifen.
Wer braucht schon einen Zeilenabstand von 1,5 und eine Schriftgröße von 14? Auch an Absätzen kann man eurer Meinung nach sparen. Und wieso soll eigentlich für jeden Satz eine neue Zeile beginnen? Ihr denkt euch: “Kein Wunder, dass unser Programm so lang ist.” Anschließend macht ihr euch daran, den Zeilenabstand auf 1 zu verringern, Format und Schriftgröße zu ändern und eine engere Schriftart zu wählen. Wäre doch gelacht, wenn man das Kurzwahlprogramm nicht um ein Drittel kürzer bekommt mit denselben Inhalten.
Kürzer bekommt man es durch diese Eingriffe in den Text eures Spezialisten für Leichte oder stark vereinfachte Einfache Sprache sicher. Nur ist euer Wahlprogramm dann halt nicht mehr barrierefrei. Dabei waren Barrierefreiheit und politische Teilhabe für alle ja ursprünglich der Grund, aus dem ihr es überhaupt habt anfertigen lassen.
#8 Du schadest deinem Übersetzer in Leichte Sprache
Durch deinen Eingriff in euer Wahlprogramm oder in einen anderen Text in Leichter oder Einfacher Sprache schadest du nicht nur dir und deiner Partei, sondern auch deinem Übersetzer. Insbesondere auf Wahlprogrammen wird in der Regel angegeben, wer für ihre Übersetzung verantwortlich zeichnet.
Die Fehler, die ihr in euren Text einbaut, werden von Außenstehenden eurem Spezialisten in Leichte Sprache bzw. eurem Experten für Einfache Sprache zugeschrieben. Schließlich steht auf eurem Kurzwahlprogramm ja nicht: “Die Übersetzung in Leichte Sprache wurde vom Parteivorstand selbst überarbeitet”.
Für Leute, die nicht wissen, dass ihr euer Wahlprogramm “verhunzt” habt, sieht es so aus, als ob es sich bei eurem Experten um gar keinen wirklichen Experten, sondern nur einer von vielen, der behauptet, sich in barrierefreier Kommunikation auszukennen.
Weitere Aufträge holt er sich so nicht an Land. Im schlimmsten Fall schadet ihr seinem Business sogar so, dass er irgendwann das Handtuch werfen muss.
#9 Texte verändern ist ohne Rücksprache nicht erlaubt
Die Texte eures Übersetzers oder einer anderen Person, die für euch arbeitet, zu verändern, ist im Übrigen gar nicht erlaubt. Der Autor des übersetzten Texts ist dein Experte für Leichte Sprache oder dein Spezialist für stark vereinfachte Einfache Sprache. Die von ihm angefertigte Übersetzung in Leichte Sprache oder in Einfache Sprache unterliegt dem Urheberrecht.
Entstanden ist euer Wahlprogramm in einer Art Gemeinschaftswerk, indem ein von dir und anderen Mitgliedern deiner Partei von einem Spezialisten für barrierefreie Kommunikation umgeschrieben und in eine neue Form gebracht wurde. Einen solchen Text dürft ihr nutzen, aber nicht ohne Genehmigung durch seinen Autor bzw. seine Autorin verändern.
#10 Kleine Änderungen sind häufig kostenlos
Kleine Änderungen nimmt dein Übersetzer in Leichte Sprache oder dein Spezialist für stark vereinfachte Einfache Sprache oft kostenlos vor.
Ein Satz ist meist relativ schnell geschrieben, außer er enthält ein oder mehrere Fremdwörter, die mir einigem Aufwand erklärt werden müssen.
Die meisten Fachfrauen und Fachmänner für barrierearme Kommunikation bauen in ihr Angebot ferner Korrekturschleifen ein, die bis zu einem gewissen Aufwand im Preis enthalten sind. Solltest du den von deinem Dienstleister erstellten Text in Leichter Sprache oder in Einfacher Sprache schon abgenommen haben oder die dafür abgemachte Zeit vorbei sein, werden die meisten Dienstleister dennoch kleine Arbeiten, die schnell zu erledigen sind, kostenlos durchführen.
Gibt es mehr zu tun, machen sie einem regelmäßigen Kunden für die zusätzliche Übersetzung eines Abschnitts in Leichte Sprache oder in Einfache Sprache sicher kein allzu teures Angebot. Also: Besser noch einmal 50 € mehr bezahlt, als die bereits hinter sich gebrachten Mühen im Handumdrehen zunichte gemacht.
#11 Mit deinen Änderungen schadest du deiner Partei
Was Änderungen von leicht verständlichen Wahlprogrammen betrifft, gilt: Reden ist Gold, Schweigen und auf Do-it-yourself einen Text verhunzen ist ein No-Go, das für jeden Beteiligten nur Nachteile haben kann. Für dich und deine Partei, für eure Zielgruppe und für euren Spezialisten für Leichte Sprache bzw. euren Experten für Einfache Sprache.
Daher also: Finger weg vom Text und stattdessen eine kurze E-Mail an euren Anbieter geschrieben.
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