11 inklusive Angebote, die jedes Museum haben sollte

Tafel mit der Aufschrift "Teamwork" und in verschiedenen Farben aufgemalten Personen

Im Januar habe ich – nach längerer Zeit mal wieder – einen Städteurlaub verbracht. An den meisten Tagen habe ich die Stadt auf Spaziergängen erkundet, an anderen wollte ich einen halben Tag in einem Museum einlegen. Im Schlepptau hatte ich mehrere Begleiterinnen: eine jede mit unterschiedlichen Behinderungen, Muttersprachen und Vorstellungen. Ein recht diverses Grüppchen auf der Suche nach einem inklusiven Museum mit barrierefreien Angeboten …

Mit Museumsbesuchen sah es für uns in der von uns ausgewählten Großstadt jedoch mau aus. Horden von Tourist*innen und kaum ein barrierefreies Angebot. Wir haben uns daher zusammengesetzt und eine Liste mit barrierefreien Angeboten erstellt, die wir uns in jedem inklusivem Museum wünschen würden:

11 inklusive Angebote für mehr Barrierefreiheit und Teilhabe im Museum

#1 Hörführungen für verschiedene Zielgruppen

Gefreut hätten wir uns über einen Mediaguide mit einem Angebot an verschiedenen Hörführungen:


• Hörführung für Kinder
• Hörführung für Jugendliche
• Hörführung in Leichter Sprache für Erwachsene
• Hörführung in Einfacher Sprache für Erwachsene
• Hörführung für blinde und sehbehinderte Menschen

Quasi ein fast schon maßgeschneidertes Angebot für jede Person in der Gruppe. Denn mal ehrlich: Jugendliche gähnen bei einem Audioguide für Erwachsene in etwa so, als wenn du einer Hörführung auf Chinesisch folgen müsstest. Personen mit Down Syndrom wiederum brauchen Leichte Sprache und eine kurze, knackige Führung. Mehr dazu auch in meinem Beitrag: 13 Punkte, die du über Audioguides in Leichter Sprache wissen solltest

Ein großes Angebot an verschiedenen Hörführungen bietet zum Beispiel das Edwin-Scharff-Museum im bayerischen Neu-Ulm. In Sachen Inklusion ist es insgesamt sehr gut aufgestellt!

#2 Stille Stunde im inklusiven Museum

Einige Supermärkte haben sie schon eingeführt: die stille Stunde. Zurück geht die Idee auf den neuseeländischen Supermarkt-Angestellten Theo Hogg, der selbst ein Kind aus dem Autismus-Spektrum hat. Die stille Stunde erlaubt es Kunden, in einer reizarmen Atmosphäre mit wenig Kundschaft und ohne Werbung per Durchsage einzukaufen.

Gerade in großen Museen mit viel Publikumsverkehr braucht es einmal in der Woche einen reizarmen Nachmittag, an dem die Besucherzahl begrenzt ist. Davon profitieren Autist*innen, Menschen mit ADHS und andere, die von Reizen schnell überflutet sind, also zum Beispiel auch Migräne-Patient*innen oder Epileptiker*innen. Eine Reizüberflutung macht den Museumsbesuch zur Qual und kann bis zum körperlichen Zusammenbruch führen.

Warum es bisher erst an wenigen Museen eine stille Stunde gibt? Viele Museumsmacher*innen haben unsichtbare Behinderungen bislang kaum auf dem Schirm. Die Quiet Hour ist noch wenig bekannt. Autist*innen verschaffen sich erst seit kurzem mehr Gehör. Die meisten Menschen wissen noch wenig über Autismus. Eine Verantwortliche in einem Museum in Österreich meinte zu mir: „Wenn wir eine stille Stunde einführen, müssen wir die Besucherzahlen erheblich reduzieren. Da gehen uns zu viele Eintrittsgelder verloren.“ Hu, da muss aber noch sensibilisiert werden … Vor allem in staatlichen und städtischen Museen ist diese Argumentation ein No-Go!

Ein Museum, in dem es eine stille Stunde bereits gibt, ist das smac (Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz). Die stille Stunde findet dort an jedem letzten Freitag des Monats von 16 bis 18 Uhr statt. Eigentlich handelt es sich also sogar um zwei stille Stunden. Die Zahl der Besucher*innen wird in der Zeit begrenzt. Die Beleuchtung wird gedimmt, Hintergrundmusik wird abgeschaltet. Gespräche dürfen nur leise stattfinden. Nichts flackert oder blinkt.

#3 Videos in Deutscher Gebärdensprache für mehr Inklusion

Museen haben bisher kaum Angebote für gehörlose Menschen. Insbesondere große Häuser sollten auch für Menschen, deren Muttersprache die deutsche Gebärdensprache (DGS) ist, ein Angebot vorhalten: am besten Videos in DGS. Möglich wäre zum Beispiel, Ausstellungstexte mit QR-Codes zu versehen, über die Videos in deutscher Gebärdensprache auf dem eigenen Smartphone aufgerufen werden können. Wenn das Museum Filme für alle anbietet, sollte auch eine Version in DGS verfügbar sein.

Ja, Leichte Sprache eignet sich auch für prälingual Hörgeschädigte. Für die Universität Hildesheim sind Menschen, die von Geburt an gehörlos sind, sogar die Hauptzielgruppe Leichter Sprache. Fachverbände und Selbsthilfegruppen von gehörlosen Menschen betonen jedoch zurecht immer wieder, dass Leichte Sprache DGS nicht ersetzen sollte.

Videos in Deutscher Gebärdensprache finden sich zum Beispiel im Jüdischen Museum Berlin, im Historischen Museum Frankfurt am Main und über eine App im Deutschen Hygiene-Museum Dresden.

#4 Tastmodelle und Tastbroschüre fürs inklusive Museum

Tastmodelle für blinde oder sehbehinderte Besucher*innen gibt es nicht nur in einigen KZ-Gedenkstätten und historischen Museen, sondern auch schon in dem ein oder anderen Kunstmuseum. Sie sind in der Regel nicht komplett selbsterklärend und sollten daher in eine Führung eingebunden sein. Auch in Verbindung mit einer Audiodeskription machen sie den Museumsbesuch noch erlebnisreicher und verständlicher – nicht nur für Menschen mit Sehbehinderung.

Eine andere Möglichkeit sind Tastbroschüren in Brailleschrift. Allerdings sind Tastmodelle teuer und sie nutzen sich auch schnell ab – jedenfalls, wenn sie sich in einem inklusiven Museum im Dauereinsatz befinden. Oft wackeln und reißen Besucher*innen auch an Tastmodellen, so dass es bei manchen Modellen sehr bald zu Abnutzungserscheinungen kommt.

Ideal ist in diesem Fall, wenn die Restaurator*innen des jeweiligen Hauses die Reparaturen übernehmen können. Vor der Erstellung eines Tastmodells für ein Kunstmuseum ist zwischen Gestalterin des Modells und Künstlerin beziehungsweise Kuratorin ein intensiver Austausch nötig: Was ist/war die Intention des Kunstschaffenden? Was soll zu dem Werk vermittelt werden?
Mehr zum Thema Tastmodelle erfährst du auf der Seite des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands e. V.

#5 Ausstellungstexte in Leichter Sprache Plus

Ausstellungstexte in Museen sollten immer in Einfacher Sprache abgefasst sein. Nur so sind sie für die Mehrzahl der deutschsprachigen Muttersprachler*innen verständlich. Noch besser ist, die Ausstellung bietet zusätzlich Ausstellungstexte in Leichter Sprache Plus, also in einer sehr vereinfachten Form des Deutschen.

Ein Beispiel hierfür ist der Lern- und Erinnerungsort Halle 116 in Augsburg. Zusätzlich zu Texten in Einfacher Sprache gibt es dort kurze Zusammenfassungen auf Fahnen und Schildern in Leichter Sprache Plus. (Ganz nebenbei: Die Texte sind von mir …)

#6 Angebot in Leichter Sprache

Jedes Museum sollte auch Menschen mit Lernschwierigkeiten (= Eigenbezeichnung von Menschen mit einer geistigen Behinderung) ein Angebot in Leichter Sprache machen. Dies soll nicht heißen, dass sämtliche Texte auf Website und in der Ausstellung übersetzt werden müssen. Wünschenswert ist, dass ein sinnvolles Angebot in Leichter Sprache vorhanden ist. Es sollte die Zielgruppe sprachlich und inhaltlich abholen und volumenmäßig nicht überfordern. Zum Beispiel: ein Audioguide, der 20 Minuten (maximal 30 Minuten) in Leichter Sprache durch das Museum führt; eine Broschüre à maximal 15 Seiten über die Ausstellung (oder mehrere kurze Broschüren zu verschiedenen Teilaspekten).

Mehr über Leichte Sprache an Museen und Erinnerungsorten verrate ich dir auch in diesen Beiträgen:

10 Möglichkeiten, Leichte Sprache in ein Museum zu integrieren
Wie viel Leichte Sprache brauchen Museen und Gedenkstätten?

#7 Formate in Einfacher Sprache

Formate in Einfacher Sprache sind für ein breites Publikum interessant. Spezielle Angebote in Einfacher Sprache können sich zum Beispiel an Migrant*innen mit Zweitsprache Deutsch richten. 60-minütige Führungen in Einfacher Sprache gibt es zum Beispiel an verschiedenen inklusiven Museen in Köln. Das Edwin-Scharff-Museum in Ulm bietet mit seinem „Museum International“ ein Format, bei dem sich alle 3 Monate Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zu Kunstwerken austauschen.

#8 Angebote für Menschen mit Demenz

Barrierefreie und inklusive Angebote sollten Menschen mit Demenz nicht vergessen. Formate, die sich an Menschen mit Alzheimer-Erkrankung richten, sind vor allem an Kunst- und Design-Museen möglich. Kunst erleben können Menschen mit Demenz zum Beispiel in der Kunsthalle Tübingen, in der Galerie Stihl in Waiblingen, der Staatsgalerie Stuttgart, im Lenbachhaus München, im Museum Bamberini in Potsdam oder im Kunstmuseum Bonn.
Zumindest in Deutschland ist das Angebot für Demenzkranke wesentlich größer als zum Beispiel für Personen aus dem Autismusspektrum.

#9 Familienführungen und inklusives Museum mit Baby

Wer kennt es nicht? Museumsbesuch und die Kinder/Teenager langweilen sich zu Tode! Die Abhilfe schaffen gut gemachte Familienführungen – am besten noch einmal untergliedert in verschiedene Altersgruppen der Kinder. Während meiner Ausbildung zur Museumspädagogin war ich bei einigen Führungen dabei, die sich an Kids von 8 bis 11 Jahren richteten – wer jünger war, fiel ganz klar unten durch. Bei Familienführungen ist außerdem klar: Der Nachwuchs ist mal vorlaut, braucht auch Bewegung und will beschäftigt sein.

So manches Museum bietet übrigens auch schon das Format „Museum und Baby“. Da weiß jeder: Die Tour kann auch mal durch Babygeschrei gestört werden, Mama muss mal stillen usw. Niemand muss sich genieren oder regt sich auf. Bei dieser inklusiven Führung haben alle für junge Eltern Verständnis.

#10 Freier Eintritt für mehr Teilhabe

Kultur und Bildung dürfen keine Frage des Geldes sein. Ich persönlich bin daher der Meinung, dass staatliche und städtische Museen immer kostenlos sein sollten. Schließlich werden sie auch von den Steuern der Bürger*innen finanziert. Das Minimum sind für mich jedoch bestimmte Tage, an denen der Eintritt gratis ist. Für Jugendliche unter 18 Jahren sollte er es immer sein.

#11 Covid-safe-Day

Seit der Corona-Pandemie leben viele Familien als sogenannte „Schattenfamilien“. Teilhabe ist für sie kaum noch möglich, denn: Sie besitzen ein Familienmitglied, das sich auf keinen Fall mit Covid infizieren darf. Zum Beispiel weil es immunsupprimiert ist, eine Krebserkrankung hat oder von ME/CFS betroffen ist. Viele Familien wünschen sich Covid-safe-Tage, an denen Museumsbesuche nur mit FFP2 oder negativem PCR-Test erlaubt sind. Zwei Tage pro Museum und Jahr wären schon ein erheblicher Fortschritt! Deal?

Frau mit schulterlangen blonden Haaren und grauen Strähnen, blauen Augen, Brille und grauem Mantel

Andrea Halbritter

Andrea Halbritter ist Germanistin mit 2. Staatsexamen und vom Netzwerk Leichte Sprache e. V. zertifiziert. Sie erstellt Texte in Leichter und Einfacher Sprache für NS-Gedenkstätten, Museen, politische Parteien und Gesundheitsbehörden. In den Sprachrichtungen Französisch-Deutsch und Englisch-Deutsch übersetzt Andrea vor allem im Bereich Wein.

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