Im Sommer ging bei mir eine E-Mail ein. Ihr wisst schon, eine der Art „Wir möchten auch etwas vom Leichte-Sprache-Kuchen.“ Begleitet wurde sie von einem 15-seitigen Rahmenvertrag und einer mehrseitigen Belehrung zur DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung).
Seither läuft mir die Übersetzungsagentur hinterher. Wohlgemerkt mir und NICHT andersherum. Meist schaut’s ja eher so aus, dass sich freiberufliche Übersetzer*innen auf der Suche nach Agenturen die Finger an der Tastatur wundhauen. Also jedenfalls die, die nicht selbst Direktkunden akquirieren und die auch keinen festen, gutzahlenden Stamm an Übersetzungsagenturen haben.
Rahmenverträge für freiberufliche Übersetzer*innen: „Ab jetzt gehören Sie uns“
In den 12 Jahren meiner Selbstständigkeit habe ich mich noch nicht einmal bei einer Handvoll Agenturen gemeldet, sondern von Anfang an auf Direktkunden gesetzt. Das heißt jetzt nicht, dass ich das Übersetzen für Agenturen pauschal ablehne. Wenn’s smooth läuft, die Preise stimmen und der Kontakt wertschätzend ist plus nicht erwartet wird, dass ich 6000 Wörter innerhalb von zwei Tagen liefere, why not?
Fast immer, wenn mich Übersetzungsagenturen kontaktiert haben, war der Preis allerdings im Keller. Und so habe ich im Laufe der Jahre nur für eine Agentur regelmäßig übersetzt und ansonsten ausschließlich für Direktkunden.
Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass mich der 15-seitige Rahmenvertrag im August vom Hocker riss. Andere freiberufliche Übersetzer*innen sind eher an bestimmte Klauseln gewöhnt, lassen sie streichen oder lesen sich Verträge gar nicht erst durch und unterschreiben.
Rahmenverträge für freiberufliche Übersetzer*innen: kleinkariertes Juristen-Gedöns
Als einigermaßen viel beschäftigte Übersetzerin finde ich es ja eigentlich schon Limit, dass es eine Agentur wagt, mir 15 Seiten Kleingedrucktes zuzumuten. Leute, ich übersetze, ich feile an Sätzen und Abschnitten. Ich überprüfe Druckvorlagen, schreibe Rechnungen, mache meine Buchhaltung. Außerdem poste ich auf Social Media, schreibe Artikel für meinen Blog und oft bin ich drei Monate im Voraus ausgebucht. Selten auch schon ein halbes Jahr. Was soll ich da als Freiberuflerin Stunden in Pamphlete von Agenturen investieren, die noch nicht einmal ein konkretes Projekt vorzuweisen haben?
Ein paar Auszüge aus dem Rahmenvertrag der Übersetzungsagentur
Da die Agentur insistierte und offensichtlich unbedingt mit mir zusammenarbeiten wollte, fing ich zumindest an, die 15 Seiten Rahmenvertrag für freiberufliche Übersetzer*innen zu überfliegen. Was mir da ins Auge stach, brachte mich jedoch umso mehr auf, je öfter ich auf die einzelnen Abschnitte schaute. Die schlimmsten Sätze lauteten in etwa folgendermaßen:
„Wir kommen dann mal zum Kaffee!“
„Wir behalten uns vor, die Büroräume unserer freiberuflichen Übersetzer*innen zu inspizieren. Dafür kündigen wir uns 4 Wochen vorher an. Sie erklären sich damit einverstanden, uns einzulassen.“
Okaaaaaaaaaaaaay … Nö, nicht okay! Bei Projekten, die erhöhte Sicherheitsvorkehrungen nötig machen, wie zum Beispiel Übersetzungen für die Rüstungsindustrie, ja … Aber ich bin im Wesentlichen in den Bereichen Tourismus, Erinnerungskultur, Demokratie, sexuelle Aufklärung … unterwegs. Ab und zu kommen ein paar Projekte im Bereich Gesundheit oder Kunst obendrauf. Momentan arbeite ich an einem Bilderbuch und einem Wahlprogramm.
Was bitte will da eine Agentur bei mir inspizieren? Ob’s Wollmäuse hinter dem Schreibtisch hat? Ob ich am PC frühstücke und wie ich beim Übersetzen gekleidet bin? Ob das Büro tatsächlich mit ein paar absperrbaren Schubladen ausgestattet ist? Und ob die Bürokatze genug zu fressen bekommt?
Schadensersatzansprüche: Wir wälzen Verantwortung auf unsere Freiberufler*innen ab!
„Wenn Sie ein Projekt zu spät liefern, kann sein, dass unsere Kunden Schadensersatzansprüche gegen uns stellen. Diese geben wir an Sie als Freiberuflerin weiter.“
Nun habe ich in 12 Jahren kein einziges Projekt zu spät geliefert und betreibe selbst eine Agentur. Eine verspätete Lieferung ist unschön, aber letztlich hat das Übersetzungsbüro hierfür zu haften und Lösungen zu finden: mit einem Back-up, Puffer, realistischen Lieferfristen usw. No risk, no money!
„Wir untersagen unseren freiberuflichen Übersetzer*innen mit diesem Rahmenvertrag …“
„Sollten einzelne unserer Mitarbeitenden unser Unternehmen verlassen, dürfen Sie von diesen 24 Monate keine Übersetzungsaufträge annehmen.“
Was soll der Mist? Ich werde weder erfassen, welche Mitarbeitenden bei welcher Agentur wann aufhören, noch werde ich Aufträge von diesen Leuten ablehnen. Ich bin nämlich … selbstständig, auch wenn manche Übersetzungsagenturen anscheinend gern aus mir eine Leibeigene machen würden. Heißt: Ich entscheide als Freiberuflerin, für wen ich arbeite. Worauf ich mich einlasse, ist lediglich: Ich spanne Auftraggebern und Kolleg*innen keine Kunden aus. Und das mache ich freiwillig – wegen MEINER Werte.
Kein Vertrauen? Kein Business!
Anders gesagt:
Liebe Übersetzungsagenturen, die ihr ähnlich tickt. Mir ist klar, dass man sich auf einen gewissen Rahmen einigen muss. Wenn ihr aber absolute Kontrolle wollt, dann arbeitet mit festangestellten Übersetzer*innen. Und auch in die müsst ihr ein Mindestmaß an Vertrauen setzen.
Und liebe freiberufliche Übersetzer*innen, lest euch Vereinbarungen unbedingt durch, bevor ihr sie unterschreibt.