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Was Übersetzer*innen von Lavendel lernen können

Lavendelfeld

“Übersetzer*innen sollten wie Lavendel sein!” Ein Gedanke, der mir durch den Kopf rauscht, während ich bei einer Übersetzungspause auf meiner Terrasse sitze. Vor mir zwei Lavendelsträucher. Im Vorjahr habe ich für meinen Übersetzergarten mehrere Lavendelpflanzen gekauft. Klimawandel oblige. Die bis zu 60 cm hohen Halbsträucher recken ihre dünnen Äste mutig der Sonne entgegen. Ihre langen, schmalen Blätter erreichen eine Länge von bis zu 5 cm. Ihre violetten Blüten wachsen an langstieligen Ähren und verströmen einen angenehmen Duft.

Zu Recht wirst du mich jetzt fragen: “Was aber hat diese Pflanze, die ursprünglich im westlichen Mittelmeerraum beheimatet ist, mit Übersetzer*innen zu tun?” Ganz einfach: Der Echte Lavendel zeigt uns, wie wir Übersetzer*innen sein sollten. Jedenfalls meiner Meinung nach …

Übersetzer*innen sollten wie Lavendel sein

#1 Lavendel macht sich bemerkbar

Mit seinem Duft macht sich der Lavendel bemerkbar. In Duftkissen sorgt er im Kleiderschrank für angenehme Aromen. Als Übersetzer*in solltest du dich auch bemerkbar machen: auf Social Media, mit einem Blog und einer Website. Sichtbarkeit im Netz ist für Freiberufler*innen extrem wichtig. Wer nicht sichtbar ist, wird nicht gefunden und hat … keine Kund*innen. Neben der Internetpräsenz solltest du als selbstständige*r Übersetzer*in auch auf Networking setzen: in lokalen oder regionalen Businessclubs, auf Messen, in Verbänden deiner Branche, auf (inter)nationalen Übersetzungsevents. All diese Veranstaltungen sind gute Gelegenheiten, um als Sprachmittler*in bekannter zu werden. Selbst wenn du nach einem Networkingabend nicht mit Übersetzungsaufträgen nach Hause gehst, hast du vielleicht dort jemanden getroffen, der ein paar Monate später eine Übersetzung benötigt. Hinzu kommen die Leute, die jemanden kennen, der jemanden kennt … Damit Networking Früchte trägt, solltest du zu Treffen regelmäßig erscheinen. So erinnern sich andere an dich, so schaffst du Vertrauen und wirst du weiterempfohlen.

#2 Lavendel wächst der Sonne entgegen

Lavendel scheut das Licht nicht. Ganz im Gegenteil! In der Sonne gedeiht er prächtig. Als Übersetzer*in solltest du dich sonnen: in deinen Erfolgen. Du hast einen tollen Roman oder ein klasse Kochbuch übersetzt? Du schreibst für eine bekannte Zeitschrift oder wurdest prämiert? Posaun es raus! (Also falls dem keine Vereinbarung mit Kund*innen entgegensteht.) Du hast ein wunderbares Feedback bekommen? Frag deine*n Kund*in, ob du es auf deine Website setzen darfst. Oder veröffentliche es unter der Weglassung persönlicher Daten auf Social Media. Und zwar genau dort, wo deine Hauptzielgruppe unterwegs ist. Je nach Klientel können dies Facebook, Instagram, Twitter, Pinterest oder LinkedIn sein.

#3 Lavendel zieht Bienen und Hummeln an

Auf meiner Terrasse stehen eine Menge Blumen. Die meisten Bienen und Hummeln zieht der Lavendel an. Seine Blüten liefern von Juni bis September köstlichen Nektar und Pollen. Deine Serviceleistungen sollten auf deine Kund*innen dieselbe Anziehungskraft ausüben wie die Blüten des Lavendels auf Hummeln und Bienen. Dies erreichst du mit mindestens einem Nischenfachgebiet, in dem der Bedarf an Übersetzungen höher ist als die Zahl der Übersetzer*innen, die in dem Bereich arbeiten und qualitativ hochwertige Texte bieten können. Besser sind zwei oder drei Nischenfachgebiete!

#4 Lavendel hat sich neue Gebiete erschlossen

Lavendel stammt ursprünglich aus dem westlichen Mittelmeerbereich. Inzwischen ist er auch in anderen Teilen Süd- und Mitteleuropas verbreitet. Als Übersetzer*in solltest du deinen Kundenstamm ebenfalls ausdehnen, als Newbie mit deiner Gegend beginnen und deinen “Einzugsbereich” dann ausdehnen. Auch als erfahrene Sprachmittler*in solltest du dich nie mit deinem festen Kundenstamm begnügen, sondern dir immer Zeit für Akquise nehmen, um Neukund*innen dazuzugewinnen. Viele Freiberufler*innen reservieren sich für Akquidse mindestens einen Tag pro Monat. Andere planen täglich eine Stunde für Akquise einen oder halten sich dafür einen halben Tag pro Woche frei. Kund*innen orientieren sich um, Projektmanger*innen wechseln die Firma, Unternehmen schließen oder steigen auf maschinelle Übersetzung um. Wenn du als Übersetzer*in Kund*innen verlierst, ist es gut, wenn schon zwei Neukund*innen warten. Ein großer Kundenstamm, bei dem viele Kund*innen regelmäßig wenig abnehmen, ist besser als ein sehr kleiner Kundenstamm mit Großaufträgen von zwei oder drei Unternehmen.

Neue Gebiete erschließen heißt auch: Wenn du erst ein oder noch gar kein Nischengebiet hast, solltest du daran arbeiten, dies zu ändern. Sinkt der Bedarf an Übersetzungsleistungen in einem Bereich dauerhaft oder vorübergehend, stehen dir noch andere Gebiete zur Verfügung. Falls du dich fragst, wie du zu einem lukrativen Spezialgebiet kommst, interessiert dich vielleicht dieses Round-up: Wie hast du als Übersetzer*in dein Spezialgebiet gefunden?

 

Lavendel mit Bienen

#5 Lavendel gönnt sich auch Ruhepausen

Lavendel blüht im Juli und August. Bis September kann er gesammelt werden. Auch du solltest dir Ruhezeiten gönnen. Dies heißt nicht, dass du nur zwei oder drei Monate intensiv arbeiten solltest. Hiervon können sogar die Topverdiener*innen in der Übersetzungsbranche nicht leben. Auf deine Work-Life-Balance solltest du  als Unternehmer*in aber ganz besonders achten. Ein guter Ausgleich zur Arbeit erhält die Gesundheit. Und die ist für Freiberufler*innen das Kapital.

#6 Lavendel überlebt im Winter

Lavendel überlebt auch den zugegebenermaßen nicht mehr ganz so kalten deutschen Winter. Er kommt auch durch harte Zeiten. Die gibt es auch für Übersetzer*innen immer mal wieder. Wie Lavendel den Winter solltest du sie gut überstehen. Was sind harte Zeiten für Übersetzer*innen? Die meisten Sprachmittler*innen verstehen darunter wohl längere Auftragsflauten. Wie du Flauten sinnvoll nutzt, erfährst du auf meinem Blog im Round-up Flaute: Was tun als Übersetzer*in? Außerdem bekommst du im Artikel Tipps, mit denen du vermeiden kannst, dass Flauten so lange andauern, dass sie deine Existenz bedrohen.

#7 Lavendel will hoch hinaus

Lavendel wächst auf bis zu 1400 m Höhe. Auch für Übersetzer*innen schickt es sich an, hoch hinaus zu wollen. In (fast) jedem Bereich gibt es einen Premiummarkt. Dort lassen sich für Sprachmittler*innen problemlos Stundenpreise von 125 € bis 250 € erreichen. Diesen Markt solltest du anpeilen, anstatt für 40 € in der Stunde an 7 Tagen in der Woche in die Tasten zu hauen. Voraussetzung ist natürlich: Du lieferst Spitzenqualität, die diesen Preis wert ist! Auch Übersetzungsagenturen bedienen mehrere Märkte. Übersetzer*innen werden beim Erstkontakt in eine Schublade gesteckt. Bist du einmal in den Low-Cost-Bereich oder im Mittelpreissegment einsortiert, kommst du da nicht mehr raus!

#8 Lavendel ist gesellig

Lavendel wird gern mit anderen Heilkräutern vermischt: mit Baldrian, Thymian und Hopfen. Gemeinsam mit ihnen entfaltet er seine Wirkung. Auch du solltest nicht allein vor dich hinwerkeln. Tausch dich mit anderen Übersetzer*innen über gute Businesspraktiken aus. Möglich ist dies zum Beispiel in Facebook-Gruppen für Übersetzer*innen. Von anderen kannst du viel lernen und Projekte, die dir nicht so liegen, weiterreichen, mit anderen gemeinsam größere oder mehrsprachige Projekte stemmen. Motto: Gemeinsam kommt man weiter. Bist du gut vernetzt, kannst du dir auch eine zuverlässige Krankheits- oder Urlaubsvertretung organisieren.

#9 Lavendel ist genügsam

Lavendel ist genügsam. Im Gegensatz zu Phlox oder Hortensien benötigt er nur wenig Wasser. Auch du als Übersetzer*in solltest genügsam sein. Vor allem in den ersten Jahren, bis dein Übersetzungsbusiness so richtig gut läuft. Irgendwo ein Büro mieten? Wenn die Einkünfte noch nicht so üppig sind, tut es auch das Wohnzimmer, der ausgebaute Dachboden oder ein kühler Raum im Souterrain. Wichtig ist auch, dass du Geld für härtere Zeiten zurücklegst. Empfehlen würde ich dir, immer so viel Geld auf der hohen Kante zu haben, dass du zur Not sechs Monate überbrücken kannst.

Im Vordergrund Lavendelfelder, im Hintergrund grüne Wiesen, aufgehende Sonne

#10 Lavendel sorgt für starke Nerven

Von Lavendel sagt man, dass er die Nerven stärkt. Starke Nerven kannst du als Übersetzer*in gut gebrauchen: Eine Deadline jagt die andere. Zwischendurch läuft es vielleicht mal anders als geplant und das auch noch im falschen Moment. Dein Kind ist krank, der Strom fällt aus, das Internet ist weg. Ein*e Kund*in hatte einen schlechten Tag und ist anstrengend, Windows nimmt ein 30-minütiges Up-date vor, deine beiden Computer müssen zum Kundendienst …  In herausfordernden Situationen gilt es ruhig zu bleiben und strukturiert vorzugehen. Knatsch mit der Kundschaft oder mit Kolleg*innen? Meist ist es besser, sich ruhig zurückzulehnen und zum Beispiel eine E-Mail nicht sofort zu beantworten.

#11 Lavendel zeigt Farbe

Wie Lavendel solltest du Farbe zeigen. Gleich und gleich gesellt sich gern. Immer mehr Unternehmen legen nicht nur Wert auf gute Arbeit, sondern auch auf Mitarbeiter*innen und Dienstleister*innen, die ähnliche Werte haben. Kürzlich musste ich sogar einen Fragebogen zu Umweltschutz und Zwangsarbeit ausfüllen. Man wolle sicher sein, dass man da auf einer ähnlichen Linie liege. Ein Kunde hat sich kürzlich für mich als Anbieterin entschieden, weil meine Genossenschaft einen Teil ihres Gewinns in soziale Projekte fließen lässt. Politiker*innen des linken Flügels beauftragen mich, weil wir ähnlich “ticken”. Du bist in deiner Freizeit ehrenamtlich tätig? Erwähne es auf deiner Website!

#12 Lavendel ist bunt

Wusstest du, dass die Blüten des Lavendels nicht nur violett sind, sondern auch blaue Anteile haben? Hast du schon einmal darüber nachgedacht, dich mit übersetzungsnahen Dienstleistungen zu diversifizieren? Bietest du zum Beispiel schon Transkreation oder Korrektorate an? Gibt es bei dir auch SEO-Übersetzungen? Schulst du andere Übersetzer*innen in Fachgebieten, in denen du dich gut auskennst? Bekommen deine Kund*innen bei dir nicht nur Übersetzungen im Bereich Architektur, sondern auch in Baurecht? Kannst du andere Dienstleistungen anbieten, die du bisher nicht auf dem Schirm hattest, die deine Stammkund*innen aber benötigen?

Und nun?

Wenn du magst, häng dir das Foto eines Lavendelfelds über deinen Bildschirm. Und dann: Sei einfach ein bisschen mehr Lavendel. Lehne die nächsten Dumpingpreise ab, auch wenn du schon eine längere Durststrecke hinter dir hast. Starte eine Akquiseaktion. Mach dich auf die Suche nach deinem Nischenfachgebiet. Erhöhe deinen Wort- oder Zeilenpreis für die nächsten Neukund*innen.

 

Zur Autorin:

Weinübersetzerin Andrea Halbritter vor einem Weinberg

Andrea Halbritter arbeitet als Premiumübersetzerin in den Bereichen Wein (Sprachrichtungen: Französisch-Deutsch, Englisch-Deutsch) und Nationalsozialismus (Sprachrichtungen: Französisch-Deutsch, Standarddeutsch-Leichte Sprache, Standarddeutsch-Einfache Sprache).

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