Übersetzer*innen verraten ihre 7 wichtigsten Learnings des Jahres

Tafel mit der Aufschrift "Teamwork" und in verschiedenen Farben aufgemalten Personen

Am Ende des Jahres ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Für freiberuflich tätige Übersetzer*innen gilt dies ganz besonders. In den letzten Wochen habe ich Sprachmittler*innen in meiner Bubble gefragt: Was ist das Wichtigste, das du 2024 gelernt hast? Was sind deine wichtigsten Learnings als Übersetzer*in?

Und natürlich verrate ich dir auch, welche Lehren ich aus den vergangenen Monaten gezogen habe.

Was sind die wichtigsten Learnings von Übersetzer*innen im Jahr 2024?

Learning #1: Pausen sind für Übersetzer*innen wichtig

Benedicte Deweerdt

Bénédicte Deweerdt arbeitet in Esquelbecq bei Dunkerque als freiberufliche Übersetzerin. Ihre Spezialgebiete sind Industrie, Engineering und Energiewende. Die Sprachmittlerin übersetzt in den Sprachrichtungen Deutsch-Französisch und Englisch-Französisch. Außerdem ist Bénédicte als Verhandlungsdolmetscherin tätig.

Im Dezember ist es für dich immer interessant, eine Pause zum Überlegen einzuplanen und dich zu fragen: Was habe ich im vergangenen Jahr als Übersetzer*in gelernt? Was sind meine wichtigsten Learnings?

Mir macht es großen Spaß, als Übersetzerin und Verhandlungsdolmetscherin zu arbeiten – sei es vor Ort beim Kunden oder online. Wer aber ständig arbeitet, spürt das an der eigenen Leistung. Die Qualität der abgelieferten Arbeit wird schlechter und der Körper leidet. Die Konzentration lässt nach, Augen-, Ellbogen- und Rückenschmerzen treten auf. Was ich 2024 gelernt habe? Als Übersetzerin muss ich mir ab und zu Zeit für mich nehmen. Wichtig sind regelmäßige Pausen, die ich über den ganzen Tag verteile. Nach einer solchen Pause kann ich wieder fit am Schreibtisch sitzen.

Learning: mit Atemübungen neue Kraft fürs Übersetzen schöpfen

Was ich während dieser kurzen Pausen mache?

Ich entspanne mit Atemübungen. Sie helfen mir, mein Herz zu beruhigen und den Herzschlag zu verlangsamen. Und da das Herz den Takt vorgibt, entspannt sich so mein ganzer Körper. Auch der Kopf versteht: Es ist Zeit, ein bisschen Ruhe zu haben, um wieder Energie zu sammeln.

Mit der App Respirelax+ wähle ich die Länge der Übung. Ideal sind mindestens dreimal am Tag 5 Minuten. Besser ist jedoch, du planst noch mehr kurze Pausen ein. Ich mache entweder eine “ausgewogene Pause” oder eine “beruhigende Pause”. Bei der “ausgewogenen Pause” atme ich 5 Minuten lang 5 Sekunden ein und dann 5 Sekunden aus. Diese Übung heißt Herzkohärenz. Bei der “beruhigenden Pause” atme ich 5 Minuten lang 4 Sekunden ein und 8 Sekunden aus. Manchmal mache ich auch eine “dynamisierende Pause”. Dann ist der Rhythmus umgekehrt. Jedes Mal habe ich die Möglichkeit, mein persönliches Tempo einzustellen.

Mikro-Sporteinheiten für Übersetzer*innen

Der Vorteil von diesen Pausen: Da ich mich auf meine Atmung konzentriere, vergesse ich während 5 Minuten meine Arbeit. Mein Gehirn kann sich erholen und meine Muskeln entspannen sich für eine kurze, aber wohltuende Zeitspanne. Für mich sind diese Pausen wie eine Mikro-Sporteinheit. Sie helfen mir als Übersetzerin wirklich, wieder frisch und erholt an die Arbeit zu gehen.

Natürlich kannst du diese Übungen auch mit anderen sportlichen Aktivitäten kombinieren. Auch Laufen im Freien, Yoga und Fahrradfahren helfen, beim Übersetzen fit zu sein.

Mein wichtigstes Learning des Jahres 2024: Wenn ich mir Zeit für mich nehme, ist das auch für mein Berufsleben als Übersetzerin gut!

Learning #2 und #3: Übersetzer*innen müssen aufklären und neue Abrechnungsmodelle finden

Übersetzerin Regina Seelos

Übersetzerin Regina Seelos lebt in der Nähe von Heilbronn. Die Freiberuflerin ist auf die Gebiete Vertragsrecht, Unternehmenskommunikation und Urkunden spezialisiert. Reginas Arbeitssprache ist Englisch. Sie arbeitet auch als Dolmetscherin und Lektorin.

Der Übersetzungsmarkt ist seit Ende 2023 im Aufruhr und Umbruch. Mit dem Aufkommen von LLM (Large Langue Model) wie ChatGPT herrscht fast Weltuntergangsstimmung. Gefühlt geht in diesem Markt nichts mehr, aber tatsächlich lief dieses Jahr bei mir persönlich besser als alle zuvor. Und ich bin nicht die Einzige. Wie kann das sein?

Learning: Übersetzer*innen müssen über KI aufklären

Mein erstes Learning in diesem Frühjahr/Sommer war, dass Kunden inzwischen selbst relativ gut erkennen konnten, dass maschinelle Übersetzung und KI nicht das Allheilmittel für jeglichen Übersetzungsbedarf sind. Kamen Anfangs des Jahres noch sehr viele Bitten um Korrekturlesen, gerne auch mal ohne Ausgangstext, waren später wieder größtenteils Übersetzungen gefragt. Zumindest bei Endkunden oder Direktkunden.

Aber es ist auch der maschinelle Stil, der vielen nicht schmeckt. Und wenn man so viel editiert, dass es wieder gut klingt, dann ist die erhoffte Zeit- und Kostenersparnis oft weg. Wobei es natürlich immer darauf ankommt, welche Erwartungen man an eine Übersetzung hat und was ein Zieltext bezwecken oder bewirken soll. Gerade was die Zeit- und damit Kostenfaktoren angeht, müssen wir Übersetzer*innen viel mehr aufklären und auch direkt mit Kunden sprechen.

Unsere Prozesse und unsere Tätigkeit sind für viele ein Buch mit sieben Siegeln – professionelle Übersetzungsarbeit ist nicht mit dem zu vergleichen, was Menschen meinen aus der Schule zu kennen. Das gilt prinzipiell für jeden Beruf, trotzdem wird es beim Übersetzen und Dolmetschen oft vergessen.

Learning: Übersetzer*innen brauchen neue Abrechnungsmodelle

Mein zweites Learning ist eine direkte Folge der vermehrten Nutzung oder Nachfrage nach Post-Editing bei Agenturaufträgen. Wir Übersetzer*innen müssen unsere Abrechnungsmodelle überdenken, denn die alte Mischkalkulation aus Wort- und Zeilenpreisen fürs Übersetzen und Stundensätzen fürs Korrekturlesen funktioniert nicht mehr.

Die Stundensätze waren schon immer unrealistisch niedrig für Selbständige, konnten bisher aber über die Wort-/Zeilenpreise ausgeglichen werden, wenn man den richtigen Mix hatte. Das Verhältnis hat sich nun umgekehrt und funktioniert nicht mehr. Die Stundensätze für Korrekturen beziehungsweise nun Postediting müssen selbst auskömmlich sein, um eine nachhaltige unternehmerische Tätigkeit zu ermöglichen. Eine gute Richtschnur dafür ist das Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG).

Wir müssen alle neu rechnen, testen, wieder kalkulieren und verhandeln, bis wir neue angemessene Stunden- oder Wortsätze gefunden haben. Der Zeitaufwand beim Post-Editing von maschineller Übersetzung ist mit dem früheren Korrekturlesen nicht vergleichbar. Einfach nach dem alten Muster weitermachen wird für Übersetzer*innen nicht gehen.

Learning #4 und #5: Als Übersetzer*in einen Zusatzjob annehmen? Ja, aber …

Leichte-Sprache-Übersetzerin Andrea Halbritter

Andrea Halbritter betreibt im Großraum Augsburg-München ein Büro für Leichte und Einfache Sprache. Zusätzlich überträgt Andrea in den Bereichen Wein, Tourismus und Erinnerungskultur Texte vom Französischen und Englischen ins Deutsche.

Es kann viele Gründe geben, als Übersetzer*in einen Zusatzjob anzunehmen: Flaute auf dem Übersetzungsmarkt, gesundheitliche Probleme, ein interessantes, lukratives Angebot, Lust auf Kolleg*innen in Präsenz, der Wegfall eines anderen, sicheren Einkommens in der Familie …

Learning: Zusatzjobs dürfen nicht zu viel Zeit verschlingen

Worauf du achten solltest, wenn du als Übersetzer*in zusätzlich eine Festanstellung hast? Auf den zeitlichen Aufwand! Wenn du eigentlich vorwiegend selbstständig sein möchtest oder planst, in ein paar Jahren nur als Übersetzer*in zu arbeiten, darf der Zusatzjob nicht zu viel Zeit konsumieren. Meine Empfehlung ist, dich in einer Festanstellung auf maximal 15 Stunden pro Woche zu beschränken – am besten an nicht mehr als zwei Tagen.

Wenn dein Zweitjob mehr Zeit verschlingt, hat dies für dich als Übersetzer*in zahlreiche Nachteile: Du kannst keine größeren Übersetzungsprojekte annehmen, weil du dafür viel zu lange bräuchtest. Du bist auch bei kleineren Aufträgen nicht reaktiv genug – und zwar weder bei der Erstellung eines Angebots noch bei der Bearbeitung. (Ich empfehle daher auch, dem Zweitjob nicht zwei aufeinanderfolgende Tage zu widmen!) Und nicht zu vergessen: Wenn du mehr als 15 Stunden pro Woche in einem Zusatzjob arbeitest, fehlt dir die Zeit für Akquise und Networking.

Mein Learning: Spätestens hier beißt sich die Katze in den Schwanz, falls du deinen Zusatzjob wegen einer Auftragsflaute angenommen hast … Wenn du nicht die Zeit hast, als Übersetzer*in regelmäßig Akquise zu betreiben, wird sich dein Umsatz weiter nach unten bewegen. Mein Tipp für dich: in einer Festanstellung mit ein paar Stunden deine Grundbedürfnisse absichern und den Rest deiner Zeit in die Akquise von Direktkunden investieren.

Klare Absprachen sind nötig, sonst fehlt die Zeit fürs Übersetzen

Deinen Vorgesetzten gegenüber solltest du so transparent wie möglich sein. Ansonsten wirst du vermutlich zu bestimmten Zeiten mehr eingeplant, als du dies möchtest. Die Kolleg*innen sind in Urlaub? Der Krankenstand im Betrieb ist hoch? Die Hälfte der Belegschaft hätte gern ein Brückenwochenende? Es sollte klar sein, dass du die Stundenzahl in deinem Zweitjob nicht spontan und beliebig erhöhen kannst. Daher auch meine Empfehlung, die Festanstellung auf zwei Tage pro Woche zu beschränken. Stehst du an jedem Tag für zwei bis drei Stunden zur Verfügung, werden daraus schnell vier oder fünf, wenn an deiner zweiten Arbeitsstätte die Hölle los ist.

Learning: Stammkunden helfen gern bei der Akquise von Übersetzungsaufträgen

Weiteres Learning aus 2024: Du hast langjährige Übersetzungskunden, die mit deiner Arbeit sehr zufrieden sind? Frag sie bei einem Telefongespräch oder während eines Zoom-Meetings, ob sie dir helfen können, als Übersetzer*in an noch mehr Aufträge zu kommen. Vielleicht benötigen ja auch Partnerunternehmen, Zulieferer oder Kunden Übersetzungen in deinem Bereich und deiner Sprachkombi! Zufriedene Kunden machen gern Werbung für dich als Übersetzer*in, wenn sie wissen, dass du mehr Aufträge suchst.

Learning #6 und #7: Übersetzer*innen sollten “ned deppert” sein!

Übersetzer David Krásenský, daneben eine Eisenbahn


Übersetzer David Krásenský lebt in Wien. Seine Spezialgebiete sind Eisenbahnverkehr, Logistik und öffentlicher Verkehr. Der Freiberuflicher übersetzt Texte vom Deutschen, Polnischen und Englischen ins Tschechische und Slowakische. David arbeitet auch als Dolmetscher.

Was mein Learning aus 2024 ist? Sei ned deppert! Schon eine ganze Weile, bevor es cool wurde, bin ich Freelancer geworden. Ich bin schon mehr als 20 Jahre selbstständig oder wie man so schön sagt: selbst und ständig. Immer hatte ich genug zu tun. Dabei bin ich breit aufgestellt: Ich übersetze und dolmetsche und bin auch an technischen Projekten meiner geliebten Bahn beteiligt.

Learning: Übersetzer*innen verschulden ihre Auftragsflauten selbst

Es ist aber nicht immer alles eitel Sonnenschein. In diesem Jahr ist mein Business über mehrere Monate nicht so gut gelaufen. Im Frühling kam es zu einer beziehungsweise mehreren Krisen: Kundenkrise, Auftragskrise und Einkommenskrise. Mehrere meiner Kunden haben langfristige Projekte gecancelled oder aufs Abstellgleis verwiesen. Ersatz kam nicht. Mein innerer Skeptiker sagte mir: “Vielleicht will dir das Universum ein Zeichen geben und dir zeigen, dass du etwas falsch gemacht hast, dass du dich in eine Sackgasse manövrierst.”

Sein optimistischer Zwilling flüsterte mir zu: “Vielleicht hast du aber auch zu wenig gemacht, um weiter an Bord zu bleiben.” Stimmt! Als Übersetzer war ich 2024 in Sachen Business Development zu passiv. Ich hatte mich zu sehr auf Bestandskunden und ihre regelmäßigen Aufträge verlassen.

Learning: Übersetzer*innen müssen regelmäßig Akquise betreiben

Aber wie ist es dann mit den Lorbeeren? Dürfen sich Übersetzer*innen nicht ab und zu auf ihren Lorbeeren ausruhen? Was ich gelernt habe: Sei ned deppert! Sprachmittler*innen müssen den Hintern hochbekommen. Mein Learning: alte und potenzielle Kunden aktiv ansprechen, auf Menschen zugehen, an B2B-Veranstaltungen teilnehmen. (Hier in Wien und ganz Österreich ist die WKÖ, die Wirtschaftskammer Österreich, sehr hilfreich). Visitenkarten verteilen, Kontakte knüpfen und pflegen. Website und CV aktualisieren, gründlich überarbeiten. Die eigenen Stärken und Sprachkenntnisse herausheben.

Ja, ich bin die letzte Zeit zu passiv gewesen. Und so habe ich auf den “hard way” das Triviale und Offensichtliche gelernt: Übersetzer, sei ned deppert. Sei nicht passiv, warte auf kein Wunder! In den ersten Jahren der Pandemie sagte man: “Bleiben Sie gesund!” Übersetzer*innen sollten sich immer wieder sagen: “Bleib aktiv! Regelmäßige Akquise ist das A und O.”

Du bist Übersetzer*in und dein wichtigstes Learning ist nicht dabei? Ich füge es gern hinzu!

Frau mit schulterlangen blonden Haaren und grauen Strähnen, blauen Augen, Brille und grauem Mantel

Andrea Halbritter

Andrea Halbritter ist Germanistin mit 2. Staatsexamen und vom Netzwerk Leichte Sprache e. V. zertifiziert. Sie erstellt Texte in Leichter und Einfacher Sprache für NS-Gedenkstätten, Museen, politische Parteien und Gesundheitsbehörden. In den Sprachrichtungen Französisch-Deutsch und Englisch-Deutsch übersetzt Andrea vor allem im Bereich Wein.

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