Wie lang sollten Texte in Leichter Sprache sein? Die Antwort lautet: so kurz wie möglich und so lang wie nötig. Klingt unbefriedigend? Ja, ist es auch! Auf die Frage, wie lang Leichte-Sprache-Texte sein dürfen, kann es jedoch keine andere Antwort geben.
Wie lang dürfen Texte in Leichter Sprache sein?
Eine Antwort in Form einer Zeichen- oder Seitenzahl wäre aber nice? Ja, bestimmt. Sie wäre jedoch auch falsch. Schließlich ist jeder Text anders und prinzipiell lässt sich jede Textsorte in Leichte Sprache übersetzen: Studien, Interviews, Zeitungsartikel, Kinderbücher, Jugendromane, Aufklärungsbroschüren, Wahlprogramme, Ausstellungstexte …
Wenn ich dir auf die Frage, wie lang Texte in Leichter Sprache sein dürfen, zum Beispiel antworte „drei oder vier Seiten“, würdest du zurecht fragen: Wie soll denn ein Buch in vier Seiten übersetzt werden? Oder: Wie ist es möglich, ein 120-seitiges Wahlprogramm in Leichter Sprache in drei Seiten zusammenzufassen? Wie eine Studie in nur fünf Seiten?
Leichte-Sprache-Texte: Manchmal ist kurz weder möglich noch nötig
Gar nicht. Manche Ausgangstexte lassen sich gut in drei oder vier Seiten übersetzen. Zum Beispiel weil sie selbst kurz sind oder weil viele der Inhalte des Ausgangstextes für die Hauptzielgruppe Leichter Sprache uninteressant oder irrelevant sind. Was aber, wenn die meisten Inhalte auch für Menschen mit einer geistigen Behinderung wichtig sind?
Bei Texten in Leichter Sprache auf kleine Portionen setzen
Wichtig ist, Inhalte in Leichter Sprache in „kleinen Portionen“ zu servieren. Kleine Portionen heißt zum Beispiel: kurze Sätze, kleine Abschnitte, verschiedene kurze Kapitel … Konzentrieren sollten wir uns in Leichter Sprache tatsächlich auf das Wesentliche. Was das ist, sollten Übersetzer*innen gemeinsam mit Prüfer*innen und Auftraggebern entscheiden.
Beispiel Wahlprogramm in Leichter Sprache
Das Dilemma „Was ist für den Text in Leichter Sprache wichtig und was nicht?“ habe ich immer wieder – vor allem auch bei Wahlprogrammen. Wäre es richtig, nur die Inhalte in Leichte Sprache zu übersetzen, die sich um Barrierefreiheit und Behinderung drehen? Sicher nicht! Menschen mit einer geistigen Behinderung sind zum Beispiel auch von Klimawandel, Wohnungsnot, Bildungsmisere, kaputt gesparten Bahnverbindungen und medizinischer Versorgung direkt betroffen. Weshalb sollten sie diese Inhalte weniger interessieren?
Es reicht nicht, Wahlprogramme in Einfacher Sprache anzubieten
Die letzten Jahre bekam ich immer wieder E-Mails und Privatnachrichten von einem Kollegen, der ausschließlich in Einfacher Sprache unterwegs ist: „Deine Wahlprogramme in Leichter Sprache kannst du dir sparen. Die sind eh viel zu lang. Und wer sich für Politik interessiert, dem reicht auch Einfache Sprache aus.“
Ist das so? Zum einen ist Einfache Sprache nicht für alle gut, auch wenn manche Menschen mit einer leichten geistigen Behinderung durchaus mit Leichter Sprache Plus zurechtkommen. Andere sind aber mit Leichter Sprache Plus überfordert. Sie benötigen Leichte Sprache.
Wahlprogramme in Leichter Sprache müssen nicht am Stück gelesen werden
Ja, es stimmt. Vom mir existieren Leichte-Sprache-Wahlprogramme mit 25 bis 34 Seiten. Ideal ist das nicht. Ich hätte den Nutzenden Leichter Sprache auch gern ein 10-Seiten-Häppchen in Leichter Sprache serviert. Wenn ich aber die Positionen einer Partei in vielen verschiedenen Bereichen abbilden will, reichen 10 Seiten nicht aus. Oder aber ich schreibe in meinem Text in Leichter Sprache lediglich: „Wir setzen uns für das Klima ein. Wir bauen Wohnungen. Wir sorgen für neue Bus-Linien. Wir kümmern uns um Menschen mit Behinderungen.“ Oder irgendetwas in der Art.
Wie ein Buch muss ein Wahlprogramm in Leichter Sprache außerdem nicht an einem Stück gelesen werden. Wähler*innen, die Leichte Sprache brauchen, können nur ein paar Seiten lesen und es dann weglegen. Wer will, kann sich zu einem späteren Zeitpunkt mit weiteren Themen beschäftigen oder sich von Vornherein nur für bestimmte Punkte – einzelne Portionen beziehungsweise Kapitel – entscheiden.
Trotzdem sollte ein Leichte-Sprache-Text übersichtlich bleiben. Meinen Kunden rate ich immer dazu, Wahlprogramme für Landtags- und Bundestagswahlen – wenn irgend möglich – auf 24 Seiten zu beschränken. Ideal sind noch weniger, oft sind kurze Wahlprogramme aber nur bei Kommunalwahlen möglich.
Wie sieht das mit anderen Textsorten und Gebieten aus?
In Museen und Erinnerungsorten wären kurze Zusammenfassungen von Ausstellungstexten ideal, die sich direkt neben den Texten in „schwerem Deutsch“ befinden. Meist ist dies jedoch aus Platzgründen nicht möglich. Einrichtungen mit einer internationalen Besucherschaft müssen auch für Übersetzungen ins Englische sorgen, sodass kein Platz für Leichte Sprache oder Leichte Sprache Plus bleibt.
Kleine Portionen in Leichter Sprache in Museen und Gedenkstätten
Wichtig ist, dass Besucher*innen mit Lernschwierigkeiten in jedem Museum und an jedem Erinnerungsort mindestens ein Angebot in Leichter Sprache zur Verfügung steht: zum Beispiel eine Broschüre oder ein einfach zu bedienender Audioguide. Womit wir auch schon wieder bei der Frage wären: Wie lang sollten Texte in Leichter Sprache sein?
Museen, Gedenkstätten und Erinnerungsorte, die Leichte-Sprache-Broschüren anbieten möchten, sollten auf maximal 14 Seiten setzen – in der von diversen Regelwerken vorgeschriebenen Mindestschriftgröße von 14, einem Zeilenabstand von 1,5, wobei eine Bebilderung des Textes nicht zu vergessen ist. Im Sinne von „kleinen Portionen“ ist es besser, statt einer großen Broschüre mehrere kurze zu unterschiedlichen Themen anzubieten. Dies hat auch den Vorteil, dass du testen kannst, wie gut dein Angebot in Leichter Sprache ankommt. Außerdem kannst du es ausweiten, sobald die nötigen Finanzen vorhanden sind.
Mit Audiotouren in Leichter Sprache nicht überfordern
Eine Audiotour in Leichter Sprache sollte außerdem maximal 30 Minuten dauern, ideal sind für viele Besucher*innen mit einer geistigen Behinderung sogar nur 20 Minuten. Du möchtest mehr Inhalte vermitteln? Dann arbeite auch bei Audioguides in Leichter Sprache nach dem Motto „Kleine Portionen“ und biete verschiedene Touren an.
Mehr zum Thema erfährst du auch in meinen Blogbeiträgen Wie viel Leichte Sprache brauchen Museen und Gedenkstätten sowie 10 Möglichkeiten, Leichte Sprache in ein Museum zu integrieren.
Aus einem langen Text in Leichter Sprache mehrere machen
Wie lang sollte ein Text in Leichter Sprache sein? Meine Antwort zur Länge von Leichte-Sprache-Texten lautet immer noch: so kurz wie möglich, so lang wie nötig. Ergänzen würde ich: Dein Leichte-Sprache-Text ist recht lang geworden? Er lässt sich auch nicht kürzen? Dann unterteile ihn in „kleine Portionen“. Vielleicht kannst du sogar aus deinem langen Text in Leichter Sprache mehrere kurze machen – zum Beispiel Broschüren zu unterschiedlichen Themen, verschiedene Audiotouren, Homepages, PDF-Dateien …
Prüfer*innen für Leichte Sprache miteinbeziehen
Und stell dir immer wieder die Frage: Welche Inhalte sind für die Zielgruppe relevant beziehungsweise interessant? Wie kannst du diese Infos am kürzesten und gleichzeitig am verständlichsten ausdrücken? Am besten findest du die Antwort auf diese Frage mit deinen Prüfer*innen.





