Was deine miese Website mit meinem Kissen zu tun hat

Tafel mit der Aufschrift "Teamwork" und in verschiedenen Farben aufgemalten Personen

Irgendwann um 2003 kaufte ich mir ein fantastisches Kissen. Empfohlen hatte es mir mein Physiotherapeut, nachdem ich bei ihm mehrere Monate wegen Rückenproblemen in Behandlung war. Eigentlich hatte er mir nicht nur ein Kissen ans Herz gelegt, sondern mir verschiedene Kissen zum Ausprobieren nach Hause mitgegeben. Sehr schnell entschied ich mich für ein Kissen: Es war klein, handlich, bequem und stützte meinen Nacken gut ab.

Was dieses Kissen mit deiner miesen Website zu tun hat, erfährst du jetzt. Also, falls du eine Website hast und die … mies ist. Wenn du keine hast oder eine Top-Website, darfst du trotzdem weiterlesen. Außer du gähnst jetzt schon und bist kein bisschen gespannt, was jetzt noch kommt.

Deine miese Website, mein Kopfkissen

Nachdem ich jahrelang unter Nacken-, Schulter- und damit auch Kopfschmerzen gelitten hatte, entführte mich mein Kissen in eine neue, sanftere Welt. Natürlich war es nicht nur dem Kissen geschuldet, dass sich meine Schmerzen fortan gaben. Mein Physiotherapeut – und später auch meine Physiotherapeutin – sowie Krafttraining, wozu mich beide motivierten, hatten auch ihren Anteil daran. Mein kleines, kompaktes Nackenkissen aber eben auch.

Es ließ mich entspannt durchschlafen, fühlte sich unglaublich kuschelig an und stützte ab, was es abstützen sollte. Mit seiner speziellen Form verhinderte es Fehlstellungen, Rückenschmerzen und Verspannungen jeder Art.

Wird das jetzt ein Werbeartikel für Kissen? Nee!

Nee, keine Angst, das wird jetzt nicht ein Werbeartikel für orthopädische Kissen. Jetzt kommst vielmehr du mit deiner miesen Website ins Spiel. Also, falls die mies ist und du überhaupt eine hast … Du weißt schon!

Mein Nackenkissen nahm ich fortan überall mit – also, wenn ich verreiste. Und zwar auch dann, wenn ich nur eine Nacht irgendwo anders verbringen musste. Das Kissen begleitete mich auf Reha, auf jeden Urlaub – nach Frankreich, Österreich, Belgien und in die Schweiz. Monatelang war ich mit meinem Nackenkissen als Digitalnomadin von Mecklenburg-Vorpommern bis ins Allgäu unterwegs. Ich nahm es zu kleineren OPs ins Krankenhaus mit und es war bei der Geburt meiner Tochter anwesend.

Mein Ziel: das Kissen durch ein identisches ersetzen

Im Laufe der Zeit kam es in die Jahre. Sein Bezug war durchgescheuert und ja, es hatte auch den einen oder anderen Fleck. Mich von meinem Kissen zu trennen, kam für mich aber nur unter einer Bedingung in Frage: das Nackenkissen durch exakt das gleiche ersetzen.

Spätestens als der Bezug begann, löchrig zu werden, sah ich mich im Internet nach einem neuen Kissen um. Blöderweise hatte ich die Verpackung des Kissens schon lange dem Recycling zugeführt und ein lesbares Etikett gab es auch nicht mehr. Dennoch schwirrte mir ein Produktname im Kopf herum. Ich suchte und suchte und suchte. Und fand nichts.

Wie hieß das Kissen nochmal?

Statt mir ein neues Nackenkissen zuzulegen, entfernte ich den inzwischen zu dünnen Reißverschluss-Bezug und packte es in eine viel zu große Standard-Kissenhülle. Diese war mal weiß, mal gelb, mal grau oder blau. Je nachdem, wie der Rest der Bettwäsche gerade aussah. So verpackt reiste mein Kissen weiterhin mit mir durch Europa und wanderte irgendwann schießlich mit mir in die Südbretagne aus.

Mehrmals im Jahr machte ich mich mit dem Produktnamen, der mir im Hirn herumgeisterte, im Netz nach einem Ersatz auf die Suche. Von Erfolg gekrönt war diese Recherche nie. Und so schlief ich jahraus, jahrein weiterhin auf meinem immer mehr in die Jahre gekommenen Kissen. Bis … diese Woche!

Endlich ein Treffer!!!

Meine sich alle paar Monate wiederholende akribische Detektivarbeit führte endlich zu einem Resultat. Warum jetzt und nicht schon vor ein paar Jahren kann ich nicht sagen. Wobei … Eigentlich ist daran deine miese Website schuld. Also, falls du eine hast, die mies ist und du … dieses Kissen verkaufst.

Weshalb ich jetzt erfolgreich war? Vielleicht weil ich noch intensiver suchte. Oder weil ich mich durch noch mehr Fotos von Nackenkissen quälte. Und wahrscheinlich auch, weil ich zum ersten Mal eine Jahreszahl miteingab. Nämlich das Jahr, in dem ich das Kissen wahrscheinlich gekauft hatte. Vielleicht war es ja genau damals auf den Markt gekommen? Oder aber es hatte eine Auszeichnung erhalten, bei einem Test super abgeschnitten, sodass meine Physiopraxis darauf aufmerksam wurde?

Auch Übersetzung ist oft Detektivarbeit

Manchmal suchen wir etwas stundenlang im Netz und verstehen dann nicht mehr, warum wir nicht schneller fündig wurden. Übersetzer*innen wie ich kennen das zur Genüge. Denn Übersetzung ist oft Detektivarbeit. Sprachmittler*innen müssen nicht nur mehrere Sprachen perfekt beherrschen und sich in mindestens einem Spezialgebiet gut auskennen. Sie müssen vor allem ein Hercule-Poirot-Gen haben oder eine kleine Miss Marple sein. Neugierig, penetrant, beharrlich. Vielleicht auch manchmal exzentrisch wie Adrian Monk oder scheinbar verpeilt wie Columbo.

Zu früh gefreut …

In Verbindung mit der Jahreszahl jedenfalls bekam ich interessante Treffer, darunter einen, dessen Produktname dem ähnelte, den ich seit fast zwei Jahrzehnten im Kopf hatte. Aber halt nur ähnelte. Während mein Hirn einen englischen Namen registriert hatte, spuckte Google – oder war es Firefox – einen deutschen Namen aus, der in etwa dasselbe bedeutete. Zwei Klicks weiter stieß ich mit dem deutschen Produktnamen auf ein Foto. Es zeigte … mein heißgeliebtes Kissen, meinen treuen Begleiter!

Eine Website wie aus dem Faxgerät

Doch wieder einmal freute ich mich zu früh. Die Website des Unternehmens, welches das Kissen vertrieb, entwarf und/oder herstellte, sah nicht gerade inspirierend aus. Und damit kommen wir endlich zum Thema „Miese Website“.

Die Website des Unternehmens, welches das Kissen vertrieb, entwarf und/oder herstellte (wer weiß das schon so genau?), besitzt nicht nur ein dermaßen schlechtes Ranking, dass sie noch nicht einmal die berühmte Hackerin Lisbeth Salander finden würde. Vielmehr sieht die Seite aus wie – pardon my German – hingekotzt. Oder wie aus dem Faxgerät. Ja, das trifft es genau. Denn das Faxgerät ist in deutschsprachigen Landen immer noch das Symbol jedes Nicht-Fortschritts sowie jeglicher digitaler Inkompetenz.

Die Barrierefreiheits-Bubble hätte ihre Freude …

Meine Barrierefreiheits-Bubble – ich denke da vor allem an alle Dienstleister, die die Barrierefreiheit von Websites testen – hätte jedenfalls ihre „Freude“ an der hingerotzten Homepage. Auf dieser befanden sich nämlich zum Beispiel kaum lesbare Scans mit medizinischen Beurteilungen des Kissens und begeisterten Dankesbriefen. Fotos von anno dazumal, die so aussahen, als gäbe es das Kissen sogar schon seit den 1970er-Jahren. Die Website selbst bedienerunfreundlich, die Schrift teils grau auf weiß. Aber dass man Inhalte kaum lesen kann, ist man ja von zig Websites gewohnt.

Endlich das Kissen bestellen!

Jedenfalls war ich erstmal froh, endlich das Unternehmen gefunden zu haben, bei dem ich mein heißersehntes Kissen wieder kaufen konnte. Doch, denkste, zu früh gefreut. Im auf der Seite befindlichen Webshop prangte unter jedem Kissen ein kaum lesbares „Nicht verfügbar“.

Wie kam das denn? Meine Neugierde war geweckt. War es möglich, das Kissen noch irgendwo aufzutreiben? Schließlich stieß ich auf enttäuschende Nachrichten: eine Gläubigeraufforderung. Liquidation! Natürlich habe ich keine Ahnung, was in der Firma im Detail schiefgelaufen ist. Was ich aber ganz genau sagen kann: Die miese Website mit ihrem unterirdischen Ranking hat dazu sicher ihren Teil beigetragen.

Ein letzter Versuch …

Zufriedengeben wollte ich mich damit aber noch nicht. Sollte irgendwo noch ein solches Nackenkissen neu zum Verkauf stehen, wollte ich es unbedingt erwerben. Am besten sogar zwei oder drei davon, dann war ich bis zu meinem Lebensende kissentechnisch versorgt.

Amazon? Fehlanzeige. Nicht lieferbar. Ebay, ja. Eine Privatperson, selbe Adresse wie das sich in Liquidation befindende Unternehmen. Hmmm … Haben die noch was, verhökern die das unter der Hand? Dürfen die das? Bekomme ich tatsächlich ein Kissen, wenn ich da jetzt bestelle? Nochmal hmmm. Ich bin nicht mit Rechtsübersetzungen unterwegs, aber mir ist das zu heiß.

Ein Treffer in Frankreich

Ein französisches Unternehmen hat angeblich noch ein paar auf Lager. Das wäre natürlich top. Kann aber auch sein, dass die gar nichts mehr haben und mein Geld dann weg ist … Die Website auf Französisch macht einen passablen Eindruck. Die deutsche Übersetzung: oh je! Das obligatorische Impressum fehlt: Seite 404.

Das Unternehmen scheint es zu geben. Gehört die Website tatsächlich zu diesem Unternehmen? Oder ist das eine Billigkopie? Will ich da bestellen? Greifen die meine Kontodaten ab? Kommt bei mir das heißersehnte Kissen auch an, wenn ich es bestelle? Immerhin kostet es einiges über 100 €. Meine Kreditkarte zücke ich nicht. Dabei bin ich echt motiviert …

Frau mit schulterlangen blonden Haaren, blauem Anorak und rotem Pullover am Strand

Was du daraus lernen kannst

Die Moral von der Geschicht‘: Wenn du ein Top-Nackenkissen findest, kauf dir sofort mehrere davon. Damit du dich darauf bis an dein Lebensende betten kannst. Du hast eine miese Website? Nicht lesbar, schlecht übersetzt, nada barrierefrei – also in etwa so, wie sich meine Oma Erna eine Website zusammenstöpseln würde? Dann wundere dich nicht, wenn dein Umsatz im Keller ist. Niemand vertraut irgendwie zusammengezimmerten Homepages. Also wenn dieser irgendjemand die Homepage überhaupt findet …

Du bist Übersetzer*in, suchst einen bestimmten Begriff, wirst aber nicht fündig? Dann variiere deine Suchanfragen ganz stark. Was könntest du noch eingeben, um zum gewünschten Resultat zu kommen, den Fachbegriff zu finden, den du brauchst?

Doch noch ein Happy End …

Während ich noch überlege, ob ich den Liquidator anrufe, finde ich über ebay noch ein Sanitätshaus in Bayern, das noch 20 Kissen auf Lager hat. Wenn ich will, kann ich meine Nackenkissen auch persönlich abholen. Na, das klingt doch gut! Wer hätte gedacht, dass mein Wunschprodukt in nur wenigen Kilometern Entfernung auf mich wartet? Quasi als Ladenhüter. Ende gut, alles gut. Jedenfalls für mich und meinen Nacken. Für das Unternehmen jetzt weniger.

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Foto: Counselling

Frau mit schulterlangen blonden Haaren und grauen Strähnen, blauen Augen, Brille und grauem Mantel

Andrea Halbritter

Andrea Halbritter ist Germanistin mit 2. Staatsexamen und vom Netzwerk Leichte Sprache e. V. zertifiziert. Sie erstellt Texte in Leichter und Einfacher Sprache für NS-Gedenkstätten, Museen, politische Parteien und Gesundheitsbehörden. In den Sprachrichtungen Französisch-Deutsch und Englisch-Deutsch übersetzt Andrea vor allem im Bereich Wein.

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