Die Prüfung der Lesbarkeit eines Textes kann nicht nur durch menschliche Prüfer, sondern auch durch automatisierte Prüfverfahren erfolgen.
Hierzu zählt z. B. die Messbarkeit der Verstehbarkeit von Texten in Leichter Sprache mit Hilfe des Flesch-Grads.
Der vorliegende Artikel gibt zunächst einen kurzen Abriss über die Geschichte der Textverständlichkeit.
Anschließend geht er auf die Entstehung des Flesch-Grads sowie seine Anpassung an das Deutsche ein und klärt, inwiefern der Flesch-Grad ein Indikator für Leichte Sprache sein kann oder nicht.
Leichte Sprache: Überprüfung der Textverständlichkeit mit dem Flesch-Grad
Die Verständlichkeit bzw. Verstehbarkeit eines Textes richtet sich zum einen nach dem Charakter seines Zeichensystems. Ob bzw. wie leicht ein Text verstanden wird oder nicht, liegt jedoch nicht nur am Text selbst, sondern auch am Rezipienten.
Um einen Text zu verstehen, muss der Leser eines Textes zunächst einmal der Sprache mächtig sein, in der der ihm vorliegende Text verfasst wurde.
Es gibt also zwei Arten von Verstehbarkeit: eine potenzielle und eine tatsächliche.
Geschichte der Textverständlichkeit
Mit der Verständlichkeit von Texten befasste man sich bereits in der Antike.
Der Beginn der moderneren Geschichte der Textverständlichkeit vollzog sich 1920 mit Thorndikes Frequenzwörterbuch.
Nur drei Jahre später folgten Lively und Pressey mit einem auf Wortfrequenzen basierendem Wörterbuch. Der von den beiden verwendete Index wird häufig als erste Lesbarkeitsformel betrachtet.
Die Kognitionspsychologie beschäftigt sich seit den 1970er-Jahren mit dem Prozess der Textverarbeitung, dem die Vorstellung einer Aufnahme und Verarbeitung von Informationen zugrunde liegt. Sowohl Rezeption als auch Verstehen erscheinen als aktive Tätigkeiten, durch die kognitive Strukturen auf- bzw. ausgebaut werden.
Basis für diese Strukturen ist die Proposition, d. h. der Bedeutungskern eines jeden Satzes, wobei eine Verarbeitung darin besteht, zwischen den sich im Arbeitsgedächtnis befindenden Propositionen Verknüpfungen herzustellen. Erfolgt eine solche Verknüpfung, kommt es zu Kohärenz und einer Speicherung der Proposition im Langzeitgedächtnis.
Gelingt eine direkte Verknüpfung nicht, muss das Vorwissen für das notwendige inhaltliche Verbundensein sorgen, indem Informationen aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen werden. Der Prozess des Verstehens besteht aus diesen beiden Prozessen: der Aufnahme aus dem jeweiligen Text sowie dem Abrufen von Informationen aus dem Langzeitgedächtnis.
Da in einem Text nie alle relevanten Informationen erwähnt werden, ist das Vorwissen eines Lesers für die Verständlichkeit eines Textes ausschlaggebend.
Die Verständlichkeitsforschung befasst sich mit dem Ermitteln eines übergeordneten Prinzips der Verständlichkeit. Verschiedene Eigenschaften eines Textes bestimmen, ob dieser eher leicht oder eher schwer verständlich ist. Hierzu zählen z. B. Satzbau, Satzlänge, Wortlänge, Vokabular und Satzstellung.
Wichtig ist, dass ein Text eine Schwierigkeitsstufe besitzt, die für seinen Adressaten angemessen ist. Ein Text kann also sowohl über- als auch unterfordern.
Generell gilt:
- Rezipienten können Texte verstehen, deren Schwierigkeitsgrad der von ihnen selbst verfassten Texte ähnlich ist.
- Es existieren Methoden zum Berechnen der Lesbarkeit von Texten. Sie nutzen z. B. Angaben zur Seltenheit von Vokabular und beurteilen Satz- und Wortlängen.
Das Standarddeutsche ist für viele Menschen in Deutschland nicht verständlich, weshalb es u. a. zur Entstehung der Leichten Sprache kam und auch Einfache Sprache Verwendung findet.
Flesch-Grad und Leichte Sprache
Lesbarkeitsformeln
Zu Lesbarkeitsformeln forschte man bereits in den 1920er-Jahren. Die ersten Readability Formulae wurden dann in den 1940er-Jahren vorgestellt. In den USA werden sie bereits seit mehr als 50 Jahren stark genutzt.
Sie existieren aber natürlich nicht nur für das Englische, sondern z. B. auch für Deutsch, Französisch, Spanisch oder Schwedisch.
Es macht nämlich wenig Sinn, eine für das Englische entwickelte Formel für die Berechnung der Verständlichkeit von Texten in anderen Sprachen anzuwenden.
Geschätzt wird, dass es derzeit auf der ganzen Welt etwa 100 – 200 Lesbarkeitsformeln gibt. Nicht alle davon sind gleich zuverlässig. So wird an einigen Formeln immer wieder Kritik laut und Sprachwissenschaftler betonen, dass manche dringend überarbeitet werden müssten.
Hinzu kommt, dass die existierenden Formeln nicht immer richtig benutzt werden. Heißt: Nicht immer werden für die Ermittlung der Lesbarkeit eines Texts wirklich repräsentative Textproben ausgewählt. Die Frage ist für mich außerdem, ob es richtig ist, einem solchen Test nur Proben zu unterziehen und nicht den Text in seiner Integralität.
Flesch-Grad
Die bekannteste Formel ist der Flesch Reading Ease, auch kurz Flesch-Grad. Sie wurde im Jahr 1948 von Rudolph Flesch für das Englische entwickelt und sieht wie folgt aus:
RE = 206,835 – (1,015 x ASL) – (83,6 x ASW)
RE steht dabei für Reading Ease, also Lesbarkeitsindex; ASL für Average Sentence Length, also die durchschnittliche Satzlänge und ASW für Average number of syllabes per word, die durchschnittliche Silbenzahl pro Wort.
Resultat ist eine Zahl zwischen 0 und 100. Je höher das Ergebnis, desto leichter ist der Text zu verstehen.
Der Flesch Reading Ease wurde z. B. von Toni Amstad und Christian Bachmann für das Deutsche angepasst.
Toni Amstad berechnet die Lesbarkeit des Deutschen wie folgt:
RE = 180 – ASL – ASW x 58,5
Christian Bachmann dagegen schlägt folgende Formel vor:
FI = 206,835 – 84,6 x WL – 1,015 x SL
FI steht dabei für Flesch-Index für Leseleichtigkeit, WL für durchschnittliche Wortlänge in Silben (ohne Schluss-e), SL für durchschnittliche Satzlänge in Wörtern.
Beispiele für die Ermittlung des FI im Deutschen
Als Beispiele für die Ermittlung des FI im Deutschen soll zunächst ein Ausschnitt aus einem Kurzwahlprogramm DER LINKEN dienen.
Beispiel 1
Im Standarddeutschen heißt es dort z. B.:
Gesundheit und gute Pflege!
Wir sagen: Alle Menschen haben Anspruch auf gute medizinische Versorgung, und zwar unabhängig von Geld, Wohnort und Herkunft. Daher fordern wir mehr Personal und bessere Bezahlung in allen städtischen Pflegeeinrichtungen. Es darf keine Sparmaßnahmen auf dem Rücken der Beschäftigten oder Patient*innen und Bewohner*innen geben. Außerdem müssen Präventions- und Beratungsangebote in allen Stadtteilen geschaffen werden.
Eine Flesch-Grad-Berechnung nach Toni Amstad gibt einen Wert von 39. Heißt: Beurteilt man nur die Länge von Wörtern und Sätzen, ist der Abschnitt nach dieser Berechnung als “eher anspruchsvoll” einzustufen.
Der Flesch-Index nach Christian Bachmann liegt bei diesem Abschnitt bei 29. Bachmann stuft den Abschnitt damit als noch schwieriger ein als Toni Anstand.
Im folgenden habe ich selbst mehrere Vereinfachungen des Abschnitts vorgenommen, um zu sehen, wie sich der Flesch-Grad verändert:
Beispiel 2
Gesundheit und Pflege
Wir sagen: Alle Menschen haben ein Recht auf eine gute medizinische Versorgung. Das heißt: Alle Menschen müssen zum Arzt gehen können. Alle Menschen müssen in ein Krankenhaus gehen können. Alle Menschen müssen sich eine Pflege-Einrichtung leisten können. Egal, wo sie wohnen. Egal, ob sie Geld haben. Egal, ob sie Deutsche sind oder nicht.
Für diese Umformulierung ergibt sich nach Toni Amstad ein Flesch-Index von 68. Der Text gilt damit als “problemlos”.
Berechnet man den Flesch-Grad nach Bachmann, ergibt sich ein Wert von 65. Der Text gilt damit als “leicht”.
Beispiel 3
Bei Vereinfachung Nr. 2 ändert sich der Flesch-Index nach Amstad, nicht aber nach Bachmann:
Gesundheit und Pflege
Wir sagen: Alle Menschen müssen zum Arzt gehen können. Alle Menschen müssen in ein Kranken-Haus gehen können. Jeder muss sich ein Pflege-Heim leisten können. Egal, ob jemand reich ist oder arm. Egal, ob jemand Deutscher ist oder nicht. Egal, wo jemand wohnt.
Während der Flesch-Grad nach Toni Amstad bei 74 liegt, also höher ist, bleibt er bei Bachmann gleich, nämlich bei 65. Der Text gilt nach Bachmann als “leicht”, nach Anstad als “recht einfach”.
Beispiel 4
Betrachten wir nun Version Nr. 3 des Abschnitts:
Gesundheit und Pflege
Wir sagen: Ärzte müssen für alle da sein. Kranken-Häuser müssen für alle da sein. Pflege-Heime müssen für alle da sein. Für Reiche und für Arme. Für Deutsche und für Ausländer.
Nach Toni Amstad beläuft sich der Flesch-Grad für diesen Text auf 74. Er stuft ihn damit als “sehr leicht” ein.
Nach Christian Bachmann liegt ein Flesch-Grad von 82 vor, der Text wird damit als “extrem leicht” bezeichnet.
Als Anhaltspunkt setzt Bachmann hinter seinen Index Jahrgangsstufen, was für mich nicht unbedingt besonders aussagekräftig ist, da die sprachliche Kompetenz von Menschen von vielen anderen Faktoren abhängt.
Zwar variiert die Höhe des Flesch-Grads bei Anstad und Bachmann häufig um mehrere Punkte, jedoch werden die einzelnen Texte in ihrem “Wortgutachten” insgesamt sehr ähnlich bzw. genauso beurteilt.
Kann ein Flesch-Grad darüber Auskunft geben, ob ein Text in Leichter Sprache verfasst wurde?
Nicht vergessen sollte man bei einer derartigen Überprüfung jedoch, dass die Verstehbarkeit eines Textes nicht nur von ihrer Wort- bzw. Satzlänge abhängt. Die Länge von Sätzen und verwendetem Vokabular ist nur ein Faktor von vielen. Außerdem gibt es durchaus kurze Sätze und kurze Wörter, die schwer verständlich sein können.
Für die Verstehbarkeit von Wörtern spielt nämlich nicht nur ihre Länge, sondern z. B. auch ihre Frequenz eine Rolle. Betrachten wir z. B. die Wörter Arzt und Mediziner, weist Arzt nach Duden eine Häufigkeit von 4 von 5, Mediziner dagegen nur eine Häufigkeit von 3 von 5 auf.
Berechnet man für den Satz Ärzte müssen für alle da sein den Flesch-Grad, ergibt sich nach Anstad ein Wert von 86. Der Satz wird damit als “sehr einfach” eingestuft. Der Wert nach Bachmann beträgt 102, der Satz gilt damit als “extrem leicht”.
Berechnet man den Wert für Mediziner müssen für alle da sein, beläuft sich der Flesch-Grad nach Anstad auf 67, nach Bachmann auf 60. Der Satz gilt daher als “problemlos” bzw. “durchschnittlich”.
Rasch und schnell sind beide einsilbig. Die Häufigkeit von schnell gibt Duden mit 4, die von rasch nur mit 3 an. Für den Satz Er ging rasch zum Arzt stellen Bachmann und Anstad einen Wert von 117 fest. Für den Satz Er ging schnell zum Arzt ergibt sich ebenfalls ein Index von 117, obwohl rasch schwerer verständlich ist als schnell.
Der Flesch-Grad kann also lediglich im Hinblick auf Satz- und Wortlängen Hinweise liefern, nicht aber beurteilen, ob es sich bei einem Text um Leichte Sprache bzw. Einfache Sprache handelt oder nicht, zumal für Leichte Sprache auch Layout und Schrift wichtig sind.
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Fotos: © Andrea Halbritter