Als Deutsche während der Corona-Krise in Frankreich
Masken für die Eichhörnchen
16.10.2020:
Ab morgen ist bei uns in der Loire-Atlantique Maskenpflicht. Egal wo. Sogar mitten in der Pampa. Damit man die Eichhörnchen und die grasenden Kühe nicht ansteckt.
Wer jetzt meint, ich bin ein Maskenverweigerer, Maske-unter-der-Nase-Träger oder was auch immer, darf sich mal meine Maskenkollektion in Teil 4 meines Corona-Tagebuchs anschauen. Die hängt auch nicht immer an der Leine, sondern wird auch ordnungsgemäß getragen. Außer in der Pampa. Ein Bekannter von mir meinte dazu: “Was soll ich die Maske auf der Weide tragen? Meine Kühe meinen ja, vor ihnen steht der Metzger!”
Bin übrigens Vegetarierin, just saying. Nicht dass sich jetzt bei euch was triggert.
Was die letzten Monate so los war bei uns?
Urlaubsdomizil gefunden
01.06.2020:
Kurz nach dem französischen Lockdown, aber immer noch mit Homeschooling und Schul-Spam beschäftigt, zog Ende Mai vor meinem Mama-ich-hab-Hunger-Auge folgende Werbung an mir vorüber: “Unser Ferienhaus im Finistère ist vom 06.06. bis zum 13.06. kurzfristig wieder freigeworden. Sonderpreis: 200 €!”
Das klang gut! Nach wochenlanger meist vergeblicher Motivationsbemühungen zum Erledigen von Hausaufgaben, an Stelle meiner Tochter geschriebenen Referaten und unsäglichen Diskussionen um die Sauberkeit unserer Notdurft-Verricht-Stätte (ebenfalls siehe Teil 4) hatte ich mir einen Urlaub mehr als verdient.
Also: Website angeschaut, Häuschen für schnuckelig befunden, das Ganze mit dem Tee-Nager besprochen und dabei verheimlicht, dass es sich um eine völlig verlassene Ecke in den Monts d’Arrée handelte. Also quasi da, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen und man nur Eichhörnchen und Kühe mit Corona infizieren kann, aber keine Nachbarn, weil es quasi keine Nachbarn gibt.
Der Tee-Nager war begeistert, seiner Homeschooling-Hölle entkommen zu können, und so riefen wir die Besitzerin des schnuckeligen bretonischen Ferienhauses an und reservierten umgehend.
06.06.-17.07.2020:
Nachdem wir am Vortag unsere Sachen gepackt und auch eine Kiste mit Essen in unseren Luxusschlitten (äh … eher nicht) geladen hatten, ging es am 06.06. gen Westen los. Erster Halt: eines der Menhir-Felder von Carnac. Tee-Nager hatte an dem Tag nämlich seinen 11. Geburtstag und wollte ihn in einem Asterix-Obelix-Ambiente begehen. Als wir gegen 12.30 Uhr am Parkplatz ankamen, hatten wir Glück. Es waren noch einige Picknicktische frei.
King Kong in Carnac
Am Nachbartisch lediglich eine Familie, die ganz offensichtlich auch vor dem Homeschooling die Flucht ergriffen hatte und die unterrichtsfreie Zeit nutzte, um mit ihren zwei Kids in der Südbretagne unterwegs zu sein. Ihr Kleiner schien allerdings von Asterix und Obelix wenig begeistert und eher einen auf Ben Hur oder King Kong zu machen. Jedenfalls schnappte er sich im nahegelegenen Pinienwäldchen gleich den größten Ast, den er schleppen konnte, und schlug damit in einem unbemerkten Moment auf das nagelneue Wohnmobil seiner Eltern ein. Überraschenderweise reagierten die null sauer, sondern mit sehr viel Verständnis für was auch immer … Vielleicht war ihnen aber auch nach dem monatelangen Homeschooling einfach die Energie ausgegangen, wer weiß?
Geburtstagsfeier mit Asterix und Obelix
Jedenfalls ließen wir uns von dem kleinen King Kong nicht die Geburtstagsstimmung verderben und picknickten erst einmal. Die Wunschgänge hatte mein Tee-Nager bereits ein paar Tage vorher bestimmt: Chips – Sandwich mit Schinken, Tomaten, Oliven und Gurke – Babybel und Camembert – Geburtstagskuchen. Leider hatte ich für das Sandwich das falsche Brot besorgt, nämlich ein Vollkornbrot statt ein total ungesundes Weißmehl-Baguette. Da jedoch genügend Oliven dabei waren und der Ast schon anderweitig in Benutzung war, hielt sich der Zorn meines Tee-Nagers in Grenzen. Schließlich gab es zur Nachspeise ja auch noch einen Schokokuchen.
So gestärkt liefen wir einmal um das Hinkelstein-Feld und stellten begeistert fest, dass wir es noch nie in einer solchen Schönheit gesehen hatten. Aufgrund des ewig langen Lockdowns waren dort seit Wochen keine Trampeltiere mehr vorbeigekommen, so dass der Ort viel an Vegetation und Magie zurückbekommen hatte.
Auf unser Auto durften in der Zeit zwei Touristinnen aufpassen. Vor Jahren hatte man mir nämlich an der Stelle mein gesamtes Hab und Gut geklaut. Die Menhir-Felder in Carnac sind quasi ein Ort für moderne Raubritter und die scheuen auch von einem Halbritter wie mir, dessen Verwandte im 12. Jahrhundert noch eine Burg an der Donau besaßen, nicht zurück.
Ins Funkloch gefallen
Nach dieser Pause setzten wir unseren Weg Richtung Westen fort und mussten irgendwo 40 km vor unserem Ziel im Nirgendwo feststellen, dass Navis oder Mobiltelefone keine Chance hatten. Womit mal wieder bewiesen wäre, dass sich Funklöcher nicht nur in Deutschland, sondern auch im schönen Frankreich breitmachen. Da ich auf mein Navi gehofft hatte, hatte ich auch keine Karte der Gegend dabei (ja, ein Fehler, ich weiß). Und wenn jemand mal die Idee gehabt hatte, ein Straßenschild aufzustellen, half mir das auch nicht viel weiter. Am ehesten hätte es wohl noch ein Kompass getan.
Nun ja, Frau ist ja kein Mann (die Älteren kennen ja vielleicht noch den Sketch mit der Grotte). Also im nächsten Dorf angehalten und ein paar Einheimische befragt. Die hatten zwar den Namen unseres Ortes noch nicht gehört, konnten uns aber zumindest sagen, wo es Richtung Morlaix ging, womit die grobe Richtung schon mal gebongt war.
Bei Hase und Igel
Auf Tee-Nagers Stirn machten sich seit dem Halt in besagtem Dorf jedoch bedenkliche Runzeln breit. Da keiner unseren Ort auch nur vom Hörensagen kannte, schwante meiner Tochter so langsam, dass wir nicht in eine Touristenhochburg mit Eisdiele, Bonbonshop und Zeitschriftenladen fuhren, sondern in irgendetwas, was sich nach Fuchs und Hase, Hase und Igel oder Grashüpfern und Eichhörnchen anhörte: “Sag mal, Mama, wie kommt’s, dass das keiner kennt? Jetzt sag bloß, wir fahren voll in die Pampa?” “Pampa? Nööööööööööööö … Wir fahren in die Monts d’Arrée.” “Und was gibt’s da so zu sehen?” “Wald, Bäche, große Felsen, Kühe …” “Ich meine: Was für eine große Stadt gibt’s da so?”
Nachdem wir uns noch ein paarmal verfranzt hatten (ja, ich gebe zu, wir waren beide nicht bei den Pfadfindern …), hielten wir schließlich etwa 3 km vor unserem Ziel, um unserer Vermieterin per Handy (wir hatten gerade mal für 5 min Empfang) Bescheid zu geben, dass wir in Kürze am Haus waren.
Die ersten Touristen …
Beim Losfahren erwartete uns eine große Überraschung. Aus den umliegenden Häusern des Miniweilers mitten in der bretonischen Pampa, in dem wir gerade gehalten hatten, sprangen die Leute und winkten uns zu. Eine rief: “Schau mal, die ersten Touristen sind da!” Wow! So einen Jubel hatten wir zu unserer Begrüßung gar nicht erwartet. (Man muss dazu sagen, dass ich mit einem deutschen Kennzeichen unterwegs war und die Grenze für Urlauber immer noch geschlossen war.)
Unsere Vermieterin hatte uns vor die Post bestellt und geleitete uns von da aus zu ihrem schnuckeligen kleinen Häuschen. Vor Ort erfuhren wir, dass bis gestern Ungarn im Haus gewesen waren, die ebenfalls ganzjährig in Frankreich wohnten.
Zur Begrüßung gab’s erst einmal ein paar bretonische Kekse und ich riss sämtliche Fenster auf. Falls sich irgendwo ein Virus festgesetzt hatte, wurde es so erst einmal nach draußen befördert. Tee-Nagers Befürchtungen, dass wir fern von allem gelandet waren, bestätigten sich am nächsten Morgen, als wir feststellen mussten, dass im Umkreis von 20 km nicht mit einer offenen Bäckerei zu rechnen war. Gut, dass wir eine Proviantkiste dabei hatten.
Das Wetter war ziemlich schnell ziemlich bescheiden. Dennoch gelang es uns, eine Menge anzusehen: das Tal der Heiligen, Morlaix, den Wald von Huelgoat, einige Kalvarienberge, Douarnenez, einen Kirchenschatz, für den ich vor Jahren die Ausstellungstexte vom Französischen ins Deutsche übersetzt hatte … Sogar bei der Restauranteinweihung eines Kumpels von mir konnten wir im kleinen Kreis dabei sein. (Nicht dass jetzt einer meint, wir waren Teil eines Superspreading-Events …)
Tee-Nager erfreute v. a. der Fernseher (zu Hause haben wir keinen) und der Holzofen. Wie man darin Feuer machte, hatte sie ziemlich schnell heraus. Und an Holz vor der Hütte bzw. in der Garage fehlte es uns keineswegs!
Fast vergessen hätte ich jetzt noch, dass wir an der Küste auf französische Politprominenz trafen … Wem wir begegnet sind, wird aber nicht verraten. Wir wissen ja schließlich, was Diskretion ist, haha …
Schule? Ohne uns!
Alles in allem eine schöne Woche. Auf dem Rückweg machten wir noch einen Abstecher nach Concarneau, Pont Aven und Lorient und hatten bereits alle Gedanken an Schule verdrängt, als es hieß, dass wir jetzt doch noch zu acht Tagen Präsenzunterricht antreten sollten.
Große Diskussionen. Wie ein paar andere Eltern auch entschieden wir uns, dieses Risiko nicht einzugehen und das Martyrium Homeschooling um weitere zwei Wochen zu verlängern. Die Schule drohte währenddessen, mehrmals damit, im Rectorat Meldung zu erstatten. Meinetwegen … Wer es in Normalzeiten nicht schafft, dass bestimmte Schulverweigerer ab und zu mal aufkreuzen, fährt in Zeiten einer Pandemie sicher auch keine großen Geschütze auf, um renitente Eltern dazu zu zwingen, ihre Kids beschulen zu lassen.
Opa powert den Tee-Nager aus
Gegen 20.06. bekamen wir zu unserer großen Freude Besuch. Opa hatte sich mit seinem Wohnwagen angekündigt und übernahm ab sofort für drei Wochen die Tee-Nager-Auspowerung mittels Mountainbike & Co. Das traf sich gut, allmählich kamen bei mir nämlich die ersten Wahlprogramme rein, die für den Kommunalwahlkampf in NRW in Einfache oder Leichte Sprache zu übersetzen waren. Unter der Woche konnte ich so gut klotzen, am Wochenende unternahmen wir gemeinsam Wanderungen.
Entgegen vorhergehender Jahre hatte ich für den Sommer aus Covid-Gründen noch gar nichts geplant, bekam dann aber Anfang Juli von einer Kollegin in München für drei Wochen eine Wohnung angeboten und sagte spontan zu.
Sommer in Bayern
18.07.-29.08.2020:
Am 18.07. machten wir uns daher alle gen Osten auf: Opa mit seinem Gespann und wir mit unserem Peugeot. In München angekommen war ich mittlerweile auf fast sechs Wochen mit Übersetzungsprojekten eingedeckt und Tee-Nager war es verständlicherweise mal wieder tooootal langweilig.
Normalerweise buche ich für meinen Tee-Nager im Sommer mindestens zwei Wochen Zeltlager und zusätzlich sind ein bis zwei Papawochen drin, mit viel Glück also ein Monat, in dem ich arbeiten kann. Aufgrund von Corona fand ein Zeltlager virtuell statt (das nützte mir jetzt nicht allzu viel) und ein anderes fand nur in Form einer Tagesbetreuung statt. Dafür hätte ich aber jeden Tag 80 km fahren müssen. Ging also auch nicht. Die Papawochen konnte ich auch knicken, weil der Papabetrieb im April Betriebsurlaub eingelegt hatte und Papa nicht gewillt war, sich um irgendeine Form der Organisation im Sommer zu bemühen.
Entlastung für Alleinerziehende in Zeiten von Corona? Schön wär’s! Stattdessen wurde ich als Rabenmutter dargestellt, weil ich arbeiten musste, anstatt mich um mein Kind zu kümmern. Was mache ich denn seit Mitte März quasi rund um die Uhr? Ich dachte schon darüber nach, ob ich diversen Kritikern und Besserwissern mal meine Kontonummer schicken sollte, als sich mein Bruder anbot, meine Tochter einen Monat lang mit in den Familienurlaub nach Slowenien zu nehmen. Bingo! Mein Sommer war gerettet und Töchterchen hatte schöne Ferien.
In München war ich verblüfft, wie konsequent dort in Geschäften Masken getragen wurde und wie groß in Restaurants die Abstände zwischen den einzelnen Tischen waren. Im Juli bestand in Frankreich noch keinerlei Maskenpflicht in Innenräumen und nur gefühlte 20 % trugen in Innenräumen freiwillig Maske.
Bad News aus Frankreich
Die Nachrichten, die mich während meines Aufenhalts in der bayerischen Hauptstadt aus Frankreich erreichten, waren beunruhigend. Die Infektionszahlen stiegen, einzelne Städte verhängten in belebteren Straßen eine Maskenpflicht, aber v. a. schlug die Mehrzahl meiner französischen Bekannten ganz neue Töne an. Selbst von denen, die im Frühjahr noch sehr beunruhigt waren, hörte ich jetzt Sätze, wie: “Die Zahlen sind alle gefälscht.” “Die Krankheit hat jetzt einen viel milderen Verlauf.” “Covid gibt es bei uns in der Loire-Atlantique nicht mehr.” “Daran sterben eh nur die Alten.” “Corona ist nicht schlimmer als ein Schnupfen.” “Schau dir mal an, wie viele an Krebs sterben.” Ich war entsetzt!
Die französische Freundin, die mir ihre Wohnung in München überlassen hatte, um selbst ein paar Wochen in Frankreich zu verbringen, bestätigte bei ihrer Rückkehr meine schlimmsten Befürchtungen: “In Paris gehen Partys ab, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Abstand hält da keiner ein. Die nehmen das alles nicht ernst.” Nun ja, Ballermann-Verhältnisse hatten wir die erste Juliwoche in Pornichet auch schon gehabt …
Ich zog erst einmal in mein nächstes Arbeitsferiendomizil nach Augsburg (Opa hatte das Feld geräumt) und begann, für den Fall der Fälle nach einer längeren Bleibe in Bayern zu suchen. Frankreich betreffend schwante mir Fürchterliches. Aber jetzt auf die Schnelle einen Umzug stemmen und das noch dazu bei voller Auftragslage? Mit ungutem Gefühl traten wir auf den letzten Drücker den Heimweg in die Südbretagne an.
Unterwegs kamen wir in Baden-Württemberg an einer Covid-Teststation vorbei. Der Teenager: “Was ist das denn?” “Eine Covid-Teststation.” “Und wie testen die das?” “Mit einer Art Wattestäbchen, das sie den Leuten in die Nase stecken.” “Wieso das denn?” “Damit holen sie Sekret aus der Nase.” “Dazu braucht man doch kein Stäbchen. Ich kann doch einfach rotzen!” “Die holen das ganz weit hinten raus!” “Das brauchen die nicht. Ich kann ganz fest rotzen!” So, jetzt wisst ihr Bescheid, falls euch mal die Stäbchen für den Test ausgehen. Sagt einfach zu den Leuten, dass sie ganz fest rotzen sollen, und gut is.
“Wir haben kein Corona mehr!”
30.08.2020:
Als wir am 30.08. zu Hause in Pornichet aufschlagen, begrüßen uns die Nachbarn mit: “Bienvenue! Haben Sie schon gehört? Bei uns gibt’s jetzt kein Corona mehr.” Ähm … What to say? Nach 1300 Autokilometern habe ich jetzt keine Lust mehr auf Diskussionen. Die Fallzahlen sind zu dem Zeitpunkt bei irgendetwas um die 40.
Erster Schultag
01.09.2020:
Erste Tat: Kind zur neuen Schule fahren. Aufgrund von Corona dürfen die Eltern nicht mit. Wir stehen etwa 15 min vor Schulbeginn vor dem Schultor. 100 % der Eltern und der Kids tragen Maske, aber nicht unbedingt da, wo’s sein soll. Bei etwa 20 % hängt sie unter der Nase, am Kinn oder an der Hand. Einige Franzosen knutschen sich ab. Sind wohl auch der Meinung, dass die Ecke covidfrei ist. Warum soll der Irrglauben auch allein unseren Nachbarn vorbehalten sein? Tee-Nager: “Hast du daaaaas gesehen?” “Ja!” Ich schlucke. Das Schultor öffnet sich. Tee-Nager mag nicht allein rein. Aber wat mut, dat mut. “Ich hole dich um 15 Uhr wieder ab.” Der erste Schultag ist kurz. Der nächste fällt gleich flach. Das Lehrerkollegium will sich mit Fernunterricht vertraut machen. Zeit wird’s … Generell steht es um die Digitalisierung französischer Schulen allerdings gar nicht so schlecht.
Mamataxi
02.09.-15.10.2020:
Die ersten Wochen nehmen ihren Lauf. Statt hauptamtlicher Koch bin ich jetzt Mamataxi. Jeden Morgen und jeden Abend. Macht insgesamt 90-100 min pro Tag. Schulbus meiden wir wie die Pest. Ist proppenvoll und wir beobachten immer wieder, dass in den hinteren Rängen keine Masken getragen werden. Okay, da saßen schon immer die Renitenten. Kennt man ja noch aus der eigenen Schulzeit … Vermutlich sind das die Sprösslinge der Kinn-Masken-Träger und der Willst-meinen-Speichel-auf-der-Wange-haben-Truppe. Ab und zu fährt meine Tochter auch mit dem Rad. Das wiederum stößt bei Teilen der Schulleitung auf Unwillen. 8 km Schulweg sind für ein französisches Kind unzumutbar. Für ein deutsches nicht! Die kulturellen Unterschiede knabbern mal wieder an den Nerven.
Smile at me
In der Schule gefällt es Tee-Nager gut. Was ein Glück! Mit einem Lehrer gab’s aber tatsächlich schon einen Vorfall. Ihm gefällt unser deutscher rückenschonender Schulranzen (Marke Deuter) nicht. Zu meiner Tochter meinte er: “Was machst du eigentlich mit einem Wanderrucksack in der Schule?” Tee-Nager verblüfft: “Das ist mein Schulranzen!” Er: “So sehen keine Schulranzen aus.” Meine Tochter: “Das ist ein deutscher Schulranzen.” Er: “Kannst du dir nicht einen französischen Schulranzen besorgen wie alle anderen Kinder auch?” Nein, können wir nicht. Denn die sind nicht rückenschonend und außerdem nach spätestens 8 Monaten so am Ende wie eine Alleinerziehende nach drei Monaten Homeschooling. Alles schon durch. Seit diesem Vorfall heißt der Kerl bei uns “der Oberfranzose”. Warm werden wir mit ihm nicht. Aber wir müssen ja auch nur das Schuljahr überstehen. Eine zweite Lehrkraft ist auch etwas seltsam, jedenfalls muss ich jeden Tag x Meldungen unterschreiben. Für beide haben wir uns jetzt ein neues T-Shirt zugelegt. Auf dem steht “Smile at me”. Auch made in Germany, trotz englischem Aufdruck.
Unser erster Covidfall
Bis zu unserem ersten Covidfall in der Schule hat es glatt ganze drei Wochen gedauert. Da die Franzosen Klassen mischen, was geht, hatte ich eigentlich mit weniger Zeit gerechnet. Gott sei Dank war’s nicht die Klasse vom Tee-Nager. Trotzdem wird zu einem Elternabend mit 60 Leuten geladen. Die Frage “With oder without me?” stellt sich mir nicht. Ich bleibe zu Hause.
Viele Schüler verhalten sich vorbildlich. Aber wenn ich den Tee-Nager abhole, muss ich feststellen, dass manche auch provozieren, was geht. In den ersten Wochen z. B. durch wahlloses Austauschen von Zungenküssen. Außerdem hängen die Nikotinabhängigen direkt am Schultor am Glimmstängel, so dass ALLE anderen durch den Rauch laufen dürfen. Aber vielleicht mag das Virus ja auch keinen Rauch und macht sich aus dem Staub? Ab und zu stürmt ein Erzieher raus und sorgt für etwas mehr Ordnung. Meist sieht man aber niemanden. Einmal war auch Polizei da, die hatten es aber eher auf Rollerfahrer abgesehen.
Virenquirl
Meine Tochter verbringt ihre Zeit damit, Statistiken über das Lüftungsverhalten ihrer Lehrer zu führen: Die einen öffnen nie das Fenster und verquirlen die Viren stattdessen im Gang, indem sie die Türen die ganze Stunde sperrangelweit aufreißen. Vermutlich sind das die verfrorenen, nur mäßig Informierten. Die anderen machen die Fenster einen Spalt weit auf und ziehen einen schweren Vorhang davor. Das sind dann wohl die Unentschlossenen, die nicht wissen, ob sie Frischluft haben wollen oder doch nicht. Die anderen setzen auf Gefrierschrank-Atmosphäre und haben die ganze Stunde sämtliche Fenster offen. Vermutlich die Risikogruppe, die nicht zu Hause bleiben darf. Und dann hat es da noch ein paar, die sorgen zu Beginn jeder Stunde 5 min für Frischluft.
Wissen sollte man dazu, dass in Frankreich nicht die Schüler Klassenräume haben, sondern die Lehrer. Die Schüler sind also den ganzen Tag auf Wanderschaft, haben aber Maskenpflicht. Ist ein Lehrer krank oder mit einer Klasse auf Ausflug, wird dieser außerdem nicht ersetzt. Die Schüler pfercht man dann klassenübergreifend in einem Vertretungsraum zusammen. Vor zwei Wochen zu 80 aus vier Klassen. Nach Schülerprotesten fand man dann einen zweiten Raum. Dann waren es nur noch 40. Tee-Nager: “T’inquiète pas, maman. Ich habe ein Fenster aufgerissen und mich davor gesetzt.”
Covidfall Nr. 2
Nach Covidfall Nr. 1 kamen fünf Schüler in Quarantäne. Der positiv Getestete und die, die am Vortag neben ihm in der Kantine saßen. Covidfall Nr. 2 haben wir seit gestern. Jetzt sind 24 Schüler in Quarantäne und eine Lehrkraft. Um welche Klasse es sich handelt, wissen wir nicht, aber unsere ist es nicht.
Unsere Nachbarn brüllen jetzt nicht mehr: “Hier gibt es kein Covid.” Inzwischen hatten sie einen Verdachtsfall in der Familie. Das hat auch dazu geführt, dass es bei denen seit zwei Wochen keine Grillfeste mehr gibt. Franzosen am Wochenende davon abzuhalten, sich mit drei oder vier Generationen gemeinsam den Bauch vollzuschlagen, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Ab sofort sollen Familientreffen nur noch mit maximal 6 Leuten möglich sein. Ich bin gespannt.
Problem sind auch die vielen Businessclubs … Motto: Man trifft sich zu 40 Selbstständigen und futtert gemeinsam Erdnüsse aus demselben Napf. Wer als erstes Kratzen im Hals verspürt, zahlt eine Runde. (Das mit den Erdnüssen stimmt tatsächlich.)
Gebrüllt wird momentan wieder: “Diktatur!” “Die wollen uns vergiften.” “Ohne uns! Wir machen, was wir wollen.” Erinnert an die deutsche Forderung nach einem Recht auf Ansteckung. Aber wir haben ja hier in der Südbretagne gar kein Virus. Meinen jedenfalls immer noch einige. “Die Zahlen sind gefälscht!” “Das ist nur eine Erkältung!”
Eso-Bio-Tussi mit Maske
Gewisse Eso-Milieus habe ich mittlerweile total satt, dabei bin ich eigentlich selbst eine Eso-Bio-Tussi. Einigermaßen normal ticken hier nur noch die Ärzte und die schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Und die halbwegs germanisierten Franzosen, die seit Jahren regelmäßig nach Deutschland reisen. (Wobei in Deutschland auch nicht alles rosig ist … Die dortigen Demos & Co habe ich durchaus mitbekommen.)
Und jetzt? Jetzt haben wir erst einmal zwei Wochen Ferien. Bin gespannt, wie die Kühe meine Masken finden. Anbieten können wir folgende Farbtöne: Mint, Grau, Violett, Gelb, Blau, Weiß, Rot … Teils mit Streifen, teils mit Blümchen oder Karos, manche auch ganz ohne Muster.
Unsere Inzidenzzahl derzeit: 130
Mit den Touristen, die jetzt von überallher bei uns an der Küste in La Baule und Pornichet einfallen, schaffen wir bis in vier Tagen sicher die 160.
Flucht ins Nachbardepartement
17.10.2020:
Wegen der Maskenpflicht in der Loire-Atlantique sind wir heute nach Pen Lan geflüchtet. Das liegt im südlichen Morbihan und da muss man im Freien noch keine Maske tragen. Leider waren wir nicht die Einzigen mit dieser genialen Idee.
Nachdem mich unterwegs einer auf dem Wanderweg angehustet hat und Nr. 2 sich irgendwas aus dem Mund pulte und mir entgegenschleuderte, überleg ich mir gerade, ob ich nicht doch für eine Überall-Vermummung bin.
Für unsere persönliche Statistik waren wir nach Pen Lan noch 30 Minuten auf dem Remblai in Pornichet unterwegs und haben Maskenträger und Oben-ohne-Leute gezählt. Das Ergebnis: 207 mit korrekt aufgesetzter Maske : 108 ohne Maske : 4 mit Maske unter der Nase. Hoffen wir mal, dass da heute nicht zu viel gehustet oder gepult wurde …
Fotos: © Andrea Halbritter