Zu Leichter Sprache kursieren viele Vorurteile, Irrtümer, Unwahrheiten … Dieser Artikel räumt mit einigen Irrtümern über Leichte Sprache und barrierefreie Kommunikation auf.
11 Irrtümer über Leichte Sprache
Irrtum Nr. 1: Leichte Sprache kann jeder
Irrtum Nr. 1 begegnet mir vor allem, wenn ich in Sachen Akquise unterwegs bin. Da Leichte Sprache aufgrund ihres Vokabulars, ihres Satzbaus und ihrer Grammatik leicht aussieht, meinen viele: “Leichte Sprache kann jeder! Das machen wir selbst.” Spielregeln, Bedienungsanleitungen, Sicherheitshinweise … zeigen uns jedoch zur Genüge, dass es für viele schon eine Herausforderung ist, in Standarddeutsch leicht verständlich zu formulieren. Texte für Menschen mit einer geistigen Behinderung zu erstellen kann man erst recht nicht improvisieren.
Einen Überblick über Fehler, die man hierbei machen kann, gibt dir mein Artikel 15 Fehler in Bezug auf Wahlprogramme in Leichter Sprache. Auch wenn es dabei um Wahlprogramme geht, bekommst du mit dem Artikel einen guten Überblick über die Vielzahl an Punkten, die es beim Verfassen von Texten in Leichter Sprache zu bedenken gibt.
Irrtum Nr. 2: Leichte Sprache soll für alle sein
Das Vorurteil, dass Leichte Sprache für alle sein und das Standarddeutsche quasi ersetzen soll, hält sich bei deutschen Muttersprachlern hartnäckig. Dies ist jedoch falsch. Leichte Sprache richtet sich an bestimmte Ziel- und Nutzergruppen, für die das Standarddeutsche generell oder nur vorübergehend zu schwierig ist. Leichte Sprache ist immer ein zusätzliches Angebot. Mehr hierzu erfährst du in meinem Blogartikel Was ist Leichte Sprache?
Irrtum Nr. 3: Für Leichte Sprache reicht ein Wochenendkurs
Da ich auf sozialen Netzwerken eine recht große Sichtbarkeit habe, werde ich von Übersetzerinnen, Textern und Redakteuren immer wieder auf meine Ausbildung angesprochen. Nicht wenige Sprachmittler suchen in Zeiten maschineller Übersetzung ein Zusatzstandbein oder sind in ihrem Berufsleben auf der Suche nach mehr Sinn. Sie wenden sich also an mich, um zu wissen, wie und wo ich mich zur Übersetzerin für Leichte Sprache habe ausbilden lassen. Erwähne ich dann die Länge meiner Ausbildung und die dafür nötigen Kosten, fallen manche schier vom Stuhl. Entgegnet wird mir dann meist: “So viel möchte ich nicht ausgeben. Soll für mich ja nur ein zweites Standbein sein. Ich buche dann irgendwo einen Wochenendkurs für Leichte Sprache.”
Ja, klar gibt es Wochenendkurse. Aber wie oben schon erwähnt: Leichte Sprache ist nicht einfach. Ein Wochenendkurs kann allenfalls einen Einblick geben. Ein Tagesseminar kann dir zeigen, worum es generell bei Leichter Sprache geht. Eine kurze Fortbildung in Leichter Sprache kann dir bei der Entscheidung helfen, eine längere Ausbildung in Leichter Sprache zu absolvieren oder nicht. Egal, was dein Anbieter behauptet: Ein solcher Kurs befähigt dich nicht, qualitativ hochwertige Texte in Leichter Sprache zu erstellen. Dazu benötigst du eine mehrmonatige inklusive Ausbildung oder aber einen Masterabschluss in barrierefreier Kommunikation.
Irrtum Nr. 4: Wo Leichte Sprache draufsteht, ist Leichte Sprache drin
Auch dies stimmt leider nicht. Es kursieren ganz viele Texte in Leichter Sprache, die gar nicht leicht verständlich sind. Die Ursachen sind ganz verschieden: Zum einen ist Leichte Sprache kein geschützter Begriff, zum anderen gibt es sehr viele Self-made-Anbieter. Und du ahnst es schon: Hinzu kommen Leute, die nach einem Wochenendkurs Leichte Sprache anbieten. Bei anderen wiederum ist das Prüfgruppen-Management nicht ideal … Und so finden sich in angeblich leichten Texten immer wieder Strukturen, wie Genitiv, Passiv usw., die weder in Leichter noch in Einfacher Sprache etwas zu suchen haben. Mehr zu diesen Strukturen findest du hier.
Ein Mitglied des Netzwerks Leichte Sprache mit seiner Übersetzung zu beauftragen ist übrigens keine Qualitätsgarantie. Das Netzwerk nimmt sehr viele Anbieter auf, die ihre Ausbildung anderswo durchlaufen haben und die nicht vom Netzwerk Leichte Sprache zertifiziert sind.
Irrtum Nr. 5: Leichte Sprache kann auch ohne Zielgruppe entstehen
Texte in Leichter Sprache sollten nach den Regeln des Netzwerks Leichte Sprache und den Richtlinien von Easy-to-Read immer mit Hilfe einer Prüfassistenz von der Zielgruppe geprüft werden. Das heißt: Menschen der Hauptzielgruppe sollten sich die Texte durchlesen und dazu Fragen beantworten. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Texte von Menschen mit einer geistigen Behinderung auch verstanden werden. Leichte Sprache ist also immer ein inklusives Projekt.
Irrtum Nr. 6: Leichte Sprache ist teuer
Da immer mehrere Menschen an Texten in Leichter Sprache arbeiten und diese Texte auch illustriert werden müssen, ist Leichte Sprache in der Tat nicht immer ganz billig. Beteiligt sind an einem Text in Leichter Sprache immer mindestens zwei Personen: ein Übersetzer, der gleichzeitig die Prüfassistenz übernehmen kann, und ein Prüfer. Idealerweise werden jedoch mehrere Prüfer eingesetzt. Manchmal sind Übersetzer und Prüfassistenz auch nicht identisch und es kommt zur Qualitätskontrolle noch ein zweiter Übersetzer ins Spiel.
Jedoch ist es auch möglich, für kleine Budgets Lösungen zu bieten: So kann man statt auf einen Zeichner auf freie oder fast kostenlose Bilder von Bilddatenbanken zurückgreifen und mit einer Minimalbesetzung arbeiten, so es sich um einen erfahrenen Übersetzer handelt. Manche Kunden, wie zum Beispiel Inklusionsunternehmen, übernehmen die Qualitätskontrolle auch selbst, da sie über eigene Prüfgruppen verfügen. Möglich ist außerdem, die Inhalte stark zu kürzen und sich auf die absolut notwendigen Informationen zu beschränken. Bei mir persönlich bekommen auch Kunden mit einer langen Deadline Rabatt. Ihr Projekt schiebe ich dann ein, wenn ich nur wenig ausgelastet bin.
Irrtum Nr. 7: Leichte und Einfache Sprache sind dasselbe
Ebenfalls ein weit verbreiteter Irrtum! Von vielen werden Leichte Sprache und Einfache Sprache als Synonyme verwendet. Leichte Sprache ist jedoch wesentlich einfacher als Einfache Sprache. Mehr zu den Unterschieden erfährst du in meinem Artikel Was ist der Unterschied zwischen Leichter und Einfacher Sprache?
Irrtum Nr. 8: Leichte Sprache brauchen nur wenige Menschen
Wie viele Menschen Leichte Sprache genau brauchen, ist nur schwer zu sagen, da hierzu in Deutschland keine Daten erfasst werden. In Deutschland lebten laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2017 fast 8 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinderung. Davon weisen 13 % eine geistige, seelische oder zerebrale Behinderung auf. Dies wären also insgesamt über 1 Million Menschen. Hinzu kommen andere Personen, die aufgrund einer Erkrankung vorübergehend über ein vermindertes Sprachverständnis verfügen. Jedes Jahr sind in Deutschland allein 270 000 Menschen von einem Schlaganfall betroffen. Ihr Sprachzentrum ist teils so beeinträchtigt, dass sie standarddeutsche Texte als zu schwierig empfinden. Hilfreich ist Leichte Sprache auch für funktionale Analphabeten, die nur kürzere Sätze lesen können. Dies sind in Deutschland etwa 7,5 Millionen Menschen.
Neben den eben genannten primären Zielgruppen profitieren natürlich noch andere Menschen, wie z. B. Migranten mit wenig Deutschkenntnissen, von Leichter Sprache.
Irrtum Nr. 9: Leichte Sprache trägt zum Verfall des Deutschen bei
Auch dieser Irrtum über Leichte Sprache hält sich in manchen Kreisen hartnäckig. Als Linguistin: Sprache unterliegt immer einem gewissen Wandel. Starke Verben werden mit der Zeit zu schwachen, der Genitiv wird in bestimmten Konstruktionen immer mehr vom Dativ, bestimmte Konjunktivformen immer mehr durch Ersatzformen verdrängt. Dies ist ganz normal und unter anderem ein Ergebnis des Prinzips der Sprachökonomie, also banal ausgedrückt der Bequemlichkeit und der Suche nach dem geringsten Aufwand.
Leichte Sprache richtet sich jedoch nur an bestimmte Zielgruppen. Ihr Einfluss auf das Standarddeutsche ist eher gering.
Irrtum Nr. 10: Leichte Sprache benutzt immer dieselben Bilder
Vor ein paar Wochen musste ich auf einer Fortbildung entsetzt feststellen, dass eine bekannte Universitätsdozentin behauptete, dass das Netzwerk Leichte Sprache eine bestimmte Bilddatenbank vorschreibe. Dies ist falsch. Selbst wenn man in Leichte-Sprache-Texten häufig Bilder von einer bestimmten Bilddatenbank findet, sind Übersetzer des Netzwerks Leichte Sprache (wie andere Anbieter auch) in ihrer Auswahl völlig frei. Eine Übersicht über bestimmte Bezugsquellen für Leichte-Sprache-Bilder findest du in meinem Artikel Wo du Leichte-Sprache-Bilder herbekommst.
Irrtum Nr. 11: Das Layout von Leichter Sprache ist langweilig
Richtig ist, dass das Layout von Leichte-Sprache-Texten sich häufig ähnelt. Die Gründe hierzu sind vielseitig: Zum einen sind Leichte-Sprache-Übersetzer keine Grafiker, zum anderen herrschte lange Zeit die Meinung vor, dass sich leichte Bilder immer rechts befinden müssten, da die Zielgruppe sonst überfordert sei.
Für Layout und Satz existieren bestimmte Regeln. So muss zum Beispiel die Schrift eine bestimmte Mindestgröße aufweisen und von Blocksatz wird abgeraten. Dennoch ist es möglich, sehr unterschiedliche Bilder, Fotos und auch Farben einzusetzen. Meiner Meinung nach erschwert es nicht das Textverständnis, wenn Illustrationen nicht rechts positioniert werden. Mit einem Grafiker, der für barrierefreie Kommunikation offen ist, ist auch in Leichter Sprache sehr viel möglich. Dabei gilt wie immer: Letztlich ist das Ganze vor allem auch eine Frage des Budgets. Ich persönlich arbeite als Leichte-Sprache-Übersetzerin auf Wunsch auch mit einer Grafikerin und einem Zeichner zusammen.
Du hättest gern ein Angebot über eine Übersetzung in Leichte Sprache? Dann kontaktiere mich gleich jetzt für einen Kostenvoranschlag.
Noch mehr über Leichte Sprache erfährst du auch in meinem Gastbeitrag 11 Punkte, die du über Leichte Sprache wissen solltest auf dem Blog von Diversity-Texterin Lucia Clara Rocktäschel.