Ist Einfache Sprache für alle gut?

Tafel mit der Aufschrift "Teamwork" und in verschiedenen Farben aufgemalten Personen

Für wen ist Einfache Sprache gut? Oder besser: Ist Einfache Sprache für alle gut? Nein, ist sie nicht, auch wenn das jetzt in bestimmten Kreisen einen Aufschrei erzeugt.

Einfache Sprache ist für (fast) alle gut

Was passt, ist: Einfache Sprache ist für (fast) alle gut.

Die Ausnahme sind Personen, die Leichte Sprache brauchen. Klingt alles sehr verwirrend? Sind Leichte und Einfache Sprache nicht dasselbe?

Nein, sind sie nicht. Leichte Sprache ist die am meisten vereinfachte Sprachform des Deutschen – die Art Text, die häufig mit Bildern der Lebenshilfe Bremen illustriert wird. (Ja, inzwischen gibt es auch andere Bilddatenbanken und Zeichner*innen, die für jeden Leichte-Sprache-Text eigene Bilder erstellen. Letzteres ist ideal.)

Nicht alle Personen mit einer geistigen Behinderung benötigen Leichte Sprache. Einige kommen auch gut mit Leichter Sprache Plus, der niedrigsten Stufe der Einfachen Sprache, zurecht. Dennoch ist es falsch zu behaupten, Einfache Sprache sei für alle gut. Einfache Sprache ist keine Sprachform für alle Menschen. Denn – wie eben ausgeführt – überfordert Einfache Sprache manche Personen. Die brauchen es noch leichter und vor allem auch kleinschrittiger erklärt.

Hinzu kommt, dass Einfache Sprache in verschiedenen Schwierigkeitsgraden existiert – klares Regelwerk hin oder her. Texte in Einfacher Sprache, deren Schwierigkeitsgrad über Leichte Sprache Plus hinausgeht, können auch Deutschlernende überfordern – zum Beispiel weil sie zu viele unbekannte Wörter oder Strukturen enthalten. (Nein, ich bin nicht der Meinung, dass sich Leichte Sprache für Deutschlernende eignet. Warum kannst du auf meinem Blog in einem eigenen Artikel nachlesen.)

Auch Einfache Sprache wird immer ausschließen

Für wen ist Einfache Sprache gut? Einfache Sprache bietet vielen Menschen Zugang zu Fachwissen. Einfache Sprache erleichtert die Informationsbeschaffung und hilft, mit Behörden zu kommunizieren. Vielen, aber eben nicht allen. Möglich ist lediglich, einen Grad zu entwickeln, mit dem ein Großteil der deutschen Muttersprachler*innen zurechtkommt. Und dazu noch viele Personen mit Zweitsprache Deutsch.

Dennoch wird auch Einfache Sprache immer ausschließen – wenn auch weit weniger als Fachsprache, kompliziertes Behörden-Geschwurbel oder bewusst verschleiernder Politsprech.

Sollte Einfache Sprache Leichte Sprache einschließen?

Einige Kolleg*innen argumentieren, Einfache Sprache schließe Leichte Sprache mit ein. Ja, die neuen DIN-Normen für Einfache Sprache erlauben es, die Einfache Sprache weit nach unten zu fahren. Bringt es uns aber etwas, jedes Sprachniveau, das nicht sofort Gehirnmigräne und Ratlosigkeit auslöst, Einfache Sprache zu nennen? Ganz klar nein. Im Übrigen: Auch Leichte-Sprache-Texte können Ratlosigkeit hinterlassen, weil sie nämlich für Menschen ohne Lernschwierigkeiten zu wenig in die Tiefe gehen. Shitstorm coming in? Vielleicht …

Leichte-Sprache-Label dürfen nicht wegfallen

Es macht Sinn, Texte auf dem Niveau Leichter Sprache auch als solche zu benennen. Vielleicht sollten wir sogar darüber nachdenken, Texte in Leichter Sprache Plus nicht mehr als Einfache Sprache zu kennzeichnen. Warum? Weil dann die Personen, die Leichte Sprache oder Leichte Sprache Plus benötigen, gleich wissen, ob ein Text für sie geeignet ist oder ob sie sich bei der Lektüre die Haare raufen werden. Leichte-Sprache-Label verschwinden zu lassen ist Quatsch und kontraproduktiv.

Ist Einfache Sprache der „Begriff der Zukunft“? Hmmmm … Was ist eigentlich ein „Begriff der Zukunft“? Keine Ahnung. Idealerweise braucht es für mich drei Sprachformen: Einfache Sprache auf dem Niveau B2, Leichte Sprache Plus und Leichte Sprache. Dass dies nicht immer umsetzbar ist, ist mir klar. Ich bin keine Utopistin. Meine Kundschaft berate ich aber dahingehend und dann schauen wir, was möglich ist. Und vor allem an wen sich die gut verständlichen Texte vorrangig richten sollen.

Sollten wirklich alle Texte in Leichter oder Einfacher Sprache abgefasst sein?

Von mir gibt es auch da ein klares Nein. Im Bereich der Literatur zum Beispiel muss es erlaubt sein, mit Sprache zu spielen, uneindeutig zu schreiben und mit dieser gewollten Uneindeutigkeit zum Nachdenken, zur Interpretation anzuregen. Ich lese gerne Texte, die über einen abwechslungsreichen Wortschatz verfügen. Und ich freue mich, wenn Autor*innen und Journalist*innen Vokabeln und Redewendungen verwenden, die immer seltener werden. Das macht den Reichtum von Sprache aus und spiegelt Geschichte.

Informationen zu Einfacher Sprache in Lehr- und Ausbildungspläne zu verankern, halte ich für eine gute Idee. Bereits in der Schule sollten wir mehr trainieren, uns klar und verständlich auszudrücken – und zwar für eine möglichst breite Leser- oder Zuhörerschaft. Als Lehrkraft setze ich das bereits um, bin mir aber bewusst, dass auch viele Lehrer*innen die Regeln für gut verständliches Deutsch nicht kennen. Sonst würden mir nicht immer wieder schlecht gemachte Arbeitsblätter über den Weg flattern.

Den Aufruf des DACH-Forums an Politik, Verwaltung und Unternehmen, Infos in Einfacher Sprache zu verfassen, teile ich. Einfache Sprache anzubieten darf jedoch nicht dazu führen, dass Sprachformen auf dem Niveau von Leichter Sprache und Leichter Sprache Plus nicht mehr angeboten werden. Auch die braucht es und es ist nicht egal, wie man sie nennt.

Einfache Sprache darf zu keiner Verarmung des Deutschen führen

Ebenso sollte Einfache Sprache nicht zur Folge haben, dass unsere Sprache verarmt. Verschachtelten Satzbau braucht niemand, aber Wörter, die verschwinden und kaum noch benutzt werden, hinterlassen bei mir ein Gefühl von Nostalgie. Wie eine Sprache, die verschwindet. Ja, in einem Einfache-Sprache-Text werde ich „manchmal“ verwenden und nicht „bisweilen“. Dennoch werde ich dafür sorgen, dass meine Schüler*innen das Wort „bisweilen“ kennen und wissen, was es bedeutet. Wir sollten nicht nur für Einfache Sprache sorgen, sondern gleichzeitig auch der Tendenz des Aussterbens von Wörtern und Redewendungen entgegenwirken – an Schulen, mit Literatur … Warum heißt „den Löffel abgeben“ sterben? Was tut man, wenn man einer anderen Person einen Bären aufbindet?

“Schwere Sprache” kann ein Genuss sein

„Schwere Sprache“ empfinde ich durchaus auch als Genuss – wie ein gutes Glas Wein oder ein hervorragendes Menü. Jedoch nicht, wenn sie in unverständlichen Behördenformularen daherkommt. Oder wenn mir ein Fachtext mit Bandwurmsätzen die Gehirnwindungen durcheinanderwirbelt, obwohl er zu meinem Studienschwerpunkt verfasst wurde. Eine gutgemachte Glosse, ein bissiger Kommentar, eine Reportage mit abwechslungsreichem Wortschatz und Ironie bereiten mir Freude.

Was wir brauchen, ist ein vielseitiges Angebot an unterschiedlichen Sprachformen, die Förderung von Sprachkompetenz und eine Stärkung des Deutschunterrichts durch die Zuweisung von mehr Wochenstunden. Nicht um Einfache Sprache überflüssig zu machen. Eine klare, verständliche Kommunikation ist eine gute Sache. Ich wäre nicht Übersetzerin in Einfache und Leichte Sprache, wenn ich das anders sehen würde.

Frau mit schulterlangen blonden Haaren und grauen Strähnen, blauen Augen, Brille und grauem Mantel

Andrea Halbritter

Andrea Halbritter ist Germanistin mit 2. Staatsexamen und vom Netzwerk Leichte Sprache e. V. zertifiziert. Sie erstellt Texte in Leichter und Einfacher Sprache für NS-Gedenkstätten, Museen, politische Parteien und Gesundheitsbehörden. In den Sprachrichtungen Französisch-Deutsch und Englisch-Deutsch übersetzt Andrea vor allem im Bereich Wein.

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