Erst letzte Woche musste ich auf Social Media bei einer Stundensatz-Diskussion unter Texter*innen und Übersetzer*innen lesen: „Fang klein an. Nach ein paar Jahren erhöhst du deinen Stundenpreis.“ „Das Wichtigste ist ein Portfolio. Schreib ein paar Texte für wenig Geld, damit du dir schnell eines erstellen kannst. Bessere Kunden bekommst du mit der Zeit.“ Das ist Unsinn! Warum du als Freelancer*in nicht mit niedrigen Stundensätzen anfangen solltest, verrate ich dir in diesem Beitrag. Dasselbe gilt für unterirdische Tagessätze oder Wortpreise auf Dumping-Niveau. Außerdem lernst du, wie du als Übersetzer*in oder Texter*in einen guten Stundensatz erzielst.
Niedrige Stundensätze für Freelancer*innen, ade!
Wahrscheinlich hast du dich als Übersetzer*in, Texter*in oder Lektor*in auch schon gefragt: Was soll ich verlangen? Was darf meine Dienstleistung kosten? Ist mein Stundenpreis zu niedrig oder zu hoch? Ist mein Wortpreis okay? Wie viel sind Kunden bereit zu zahlen?
Dein Stundenpreis bestimmt, wie viel du als freiberuflich tätige Übersetzer*in, Lektor*in oder Texter*in arbeiten musst. Nur wenige Freelancer*innen reden offen über ihre Preise. Ich finde, wir sollten uns viel mehr über Tarife austauschen – vor allem mit Newbies, die sich in ihrer Preisgestaltung unsicher sind. Aber auch unter alten Hasen, von denen einige in Zeiten von KI ihre Felle davonschwimmen sehen … Wer als Übersetzer*in wochenlang keinen Auftrag mehr an Land gezogen hat, ist versucht, seine Preise zu senken. Doch ist das die richtige Strategie?
So gehst du als Freelancer*in bei der Preiskalkulation vor
Bevor du dich fragst, was du eigentlich pro Wort/Zeile/Text … verlangen kannst, solltest du dir überlegen, wie viel du pro Monat verdienen möchtest. Wenn du dir für dein Unternehmergehalt ein Ziel setzt, erreichst du dieses eher, als wenn du beginnst, über Wortpreise zu grübeln.
Überleg dir, wie hoch dein Unternehmer-Gehalt sein soll
Nehmen wir mal an, du möchtest dir als Freelancer*in ein monatliches Gehalt von 2500 € auszahlen. Dann musst du mindestens 5000 € Gewinn machen. Der Rest geht für Steuern und Versicherungen drauf – wie viel du konkret abdrücken musst, hängt natürlich von deinem Land, deinem Status und weiteren Faktoren ab.
Rechne deinen Stundensatz aus
Als erstes solltest du ausrechnen, wie hoch dein Stundensatz sein muss, damit du auf das von dir erträumte monatliche Unternehmergehalt kommst. Dabei kannst du nicht davon ausgehen, dass du pro Woche 40 Stunden produktiv arbeitest. Eine Arbeitswoche besteht auch aus Akquise, Buchhaltung, Hin- und Her-Mailen, Pausen, Networking … Und ab und zu bist du vielleicht einmal krank. Oder du möchtest in den Urlaub fahren, auf deinem Balkon chillen oder am Baggersee sitzen. Wahrscheinlich kannst du in deinen Arbeitswochen nur 20 bis 25 Stunden für Kunden übersetzen, texten oder korrigieren. Jedenfalls wenn du nicht sieben Tage pro Woche arbeiten willst. Im Monat wären das im schlechtesten Fall 80 Stunden – Urlaubs- und Krankheitstage nicht abgezogen.
Bei 80 Stunden und einem Wunschgehalt von 2500 € muss dein Stundensatz bei 62,50 € liegen – vorausgesetzt, du hast nie Lust auf Urlaub, Baggersee, Balkonien, bist nie krank und wendest auch keine Zeit für mehrtägige Fortbildungen auf. Auch Ausgaben für ein Büro, einen neuen PC oder eine Fortbildung sind da noch nicht eingerechnet!
Vergiss nicht, Urlaubs- und Krankheitszeiten einzurechnen
Du möchtest im Jahr mehrere Wochen in die Ferien? Du bist zwischendurch vielleicht auch mal krank? Wenn du pro Jahr nur 9 Monate produktiv arbeitest, sollte dein Stundenpreis schon bei fast 84 € liegen, damit du dir jeden Monat 2500 € auszahlen kannst – wenn du keine größeren Ausgaben hast.
Berechne nicht nur deine Zeit, sondern auch deine Expertise als Freelancer*in
Für deine Kunden ist deine Arbeit als Übersetzer*in oder Texter*in mehr wert als dein Mindeststundensatz – also die oben errechneten 84 €. Dein Kunde kauft nämlich eigentlich nicht deine Zeit. Er kauft das Ergebnis, das du mit deiner Zeit und Expertise produzierst. Und diese Expertise solltest du auch berechnen.
Du bist auf das Fachgebiet deines Kunden spezialisiert und kennst dich sehr gut aus? Dann schlag 30 € drauf. Macht 114 €.
Du hast für deine Übersetzungen Preise bekommen? Dann addiere 5 €.
Du kannst nachweisen, dass dein Kunde durch deine Texte Erfolge erzielt (zum Beispiel erheblich höhere Follower-Zahlen auf Social Media, mehr Website-Zugriffe, positives Feedback für Ausstellungstexte …)? Plus 10 €.
Du hast besondere Fähigkeiten, die andere Dienstleister nicht bieten (zum Beispiel Kenntnisse in SEO, InDesign) und die dein Kunde benötigt? Plus 20 €.
Ein neues Jahr bricht an? Dann erhöhe deine Preise. Deine Erhöhung sollte größer sein als die Inflation. Sonst hast du nicht mehr € im Portemonnaie. Denk ebenfalls an andere Zuschläge, wie zum Beispiel Wochenendarbeit oder Eilprojekte.
Preisgestaltung bei Anfänger*innen
Vielleicht denkst du dir jetzt: „Als Anfängerin kann ich doch keine 115 € pro Stunde für eine Übersetzung verlangen!“ Doch kannst du. Du bist Unternehmer*in. Dass du dieses Mindset als Anfänger*in noch nicht hast, ist normal. Auch viele alte Hasen haben es nicht …
Beginne als Freelancer*in nie mit Preisen, die sich im Keller befinden
Egal, was dir irgendwer erzählt: Du darfst deine Preise nicht in den Keller schicken – auch als Anfänger*in nicht. Billig und schlechte Qualität sind in den Hirnen vieler Menschen psychologisch eng miteinander verknüpft – selbst wenn viele Freiberufler*innen zu niedrigen Preisen gute Qualität abliefern. Wenn deine Tarife zu niedrig sind, bekommst du keine guten Kunden – sondern solche, die dich in ein paar Monaten durch KI ersetzen. Solche, denen Texte nichts wert sind, und Menschen oft auch nicht.
Übersetzer*innen werden von Agenturen in Kategorien eingeteilt
Die meisten Übersetzungsagenturen stecken ihre Sprachmittler*innen in Schubladen: Low-cost-Übersetzer*innen, mittleres Preissegment, Premium-Übersetzer*innen. Meist gibt es drei bis fünf Kategorien, auch wenn nicht alle Agenturen in allen Segmenten unterwegs sind. Sobald du in eine Schublade einsortiert bist, bleibst du da drin – egal, wie laut du „Expertise!“, „Fortbildung!“ oder „Erfahrung!“ brüllst. Deine Preise kannst du nicht erhöhen. Bei vielen Agenturen gehen sie sogar nach unten, während du dich in deiner Schublade nach etwas Sonne und Anerkennung sehnst.
Deine Preise bei Direktkunden raufzusetzen ist etwas einfacher. Aber wenn du Kunden deine Übersetzungen oder Texte anfangs zu einem Stundensatz von 40 € anbietest, landest du fünf Jahre später auch nicht bei 70 € – sondern vielleicht bei 50 €. Kunden Stundensätze mitzuteilen ist aber generell keine gute Idee. Besser ist, Projektpreise zu kommunizieren.
Nimm dir als Übersetzer*in von Anfang an den Premium-Markt vor
Und jetzt? Wie kommst du als Übersetzer*in zu gut zahlenden Kunden? Nimm dir von Anfang an den Premium-Markt vor, statt dich mit Auftraggebern herumzuschlagen, die sich nach Low-cost-Übersetzer*innen oder Texter*innen aus dem Niedrigpreissegment umsehen. Den Low-cost-Sektor hat die KI schon fast komplett übernommen. Das mittlere Preissegment wird gerade geentert. Im Premiumbereich zahlen Kunden für Übersetzungen Preise von 112 bis 280 € pro Stunde. Sie lassen ihre Texte von mindestens drei Personen prüfen und sehen KI nicht als Option. Die ist da auch zu schlecht. Und ein Risiko für den Betrieb – keine Chance, wie mir erst auf einem Selbstständigen-Tag in einer IHK erklärt wurde.
Wie du als Übersetzer*in zu Premiumkunden kommst
Wie du als Übersetzer*in zu Premiumkunden kommst? Nicht indem du Übersetzungen anbietest wie vergammeltes Gemüse in 1-€-Tüten. Du bist nicht Aldi, sondern ein Feinkostladen mit Austern, Champagner und Servicementalität. Eigne dir in zwei, drei vielversprechenden Fachgebieten ein sehr detailliertes, fundiertes Wissen an. In diesem Bereich musst du dich genauso gut auskennen wie dein Kunde – am besten sogar noch besser. Ja, das geht – mit viel Zeit, Grips und Motivation. Idealerweise ging dein Studium schon in die Richtung. In vieles kannst du dich aber auch einarbeiten – anstatt dir für 40 € pro Stunde die Finger an der Tastatur wund zu hauen.