Vier-Augen-Prinzip beim Übersetzen: ja oder nein?

Tafel mit der Aufschrift "Teamwork" und in verschiedenen Farben aufgemalten Personen

Vier-Augen-Prinzip beim Übersetzen bedeutet, dass zwei Übersetzer*innen an einem Projekt arbeiten. In der Regel wird ein Text von einer Person in eine andere Sprache übertragen. Anschließend vergleicht ein*e zweite*r Übersetzer*in Quell- und Zieltext und bringt gegebenenfalls Änderungen an, die gemeinsam besprochen werden.

Prinzipiell sind bei der Erstellung einer Übersetzung im Vier-Augen-Prinzip aber auch andere Vorgehensweisen denkbar. Zum Beispiel könnten zwei Sprachmittler*innen den Text parallel übersetzen und ihr Ergebnis miteinander vergleichen. Oder aber Übersetzer*in Nummer 1 übersetzt die erste Texthälfte und Übersetzer*in Nummer 2 die zweite. Anschließend werden die Hälften getauscht und die Übersetzung überprüft.

Und es gibt auch kritische Stimmen zum Vier-Augen-Prinzip beim Übersetzen: Ein Review sei nicht in jedem Fall nötig, möglich oder effizient. Von den Übersetzer*innen meiner Bubble wollte ich wissen: Arbeitest du bei Übersetzungen im Vier-Augen-Prinzip? Falls ja, wie setzt du Übersetzung und Review konkret um? Falls nein, warum nicht? Und natürlich erfährst du auch, wie ich es mit dem Vier-Augen-Prinzip halte.

Fertigst du deine Übersetzungen im Vier-Augen-Prinzip an?

#1 Vier-Augen-Prinzip beim Übersetzen für Direktkunden

Für Direktkunden arbeitet Petra beim Übersetzen im Vier-Augen-Prinzip mit einer Kollegin

Übersetzerin Petra Haag lebt seit 1986 in Italien. Sie übersetzt in der Sprachrichtung Italienisch-Deutsch und ist auf die Gebiete Weinbau, Immobilien und Maschinenbau spezialisiert. Ihre Kunden unterstützt sie auch als Verhandlungsdolmetscherin.

Alle Texte, die nicht ausschließlich der betriebsinternen Kommunikation dienen, versuche ich nach dem Vier-Augen-Prinzip anzubieten. Egal, ob es sich um Übersetzungen für Websites, Reise-, Weinführer oder Broschüren handelt.

Generell unterscheide ich beim Übersetzen zwischen zwei Szenarien: Agentur oder Direktkunde?

Bei Direktkunden, die besonderen Wert auf Qualität legen und ein Vier-Augen-Prinzip in Anspruch nehmen möchten, arbeite ich bei Übersetzungen im Tandem – am liebsten mit einer vertrauten Kollegin, die meine „Macken“ schon kennt und mit der die Zusammenarbeit harmoniert. Oft entsteht ein sehr reger, kollegialer Austausch. Da vier Augen mehr sehen als zwei, kommt es für beide Übersetzer*innen zu einem ständigen Lernprozess. Natürlich erbringt die Kollegin diese Leistung gegen Bezahlung: in der Regel ein Drittel des Gesamtpreises, den ich dem Kunden für die Übersetzung berechne.

Es ist aber nicht jeder Übersetzungstag gleich. Manchmal kommt es vor, dass der Text nicht so richtig „flutscht“, wie ich es gerne hätte. Dann liest meine Kollegin die Übersetzung auch dann, wenn dies eigentlich nicht vom Kunden in Auftrag gegeben wurde. In diesem Fall verdiene ich etwas weniger am Übersetzungsauftrag, bin aber sicher, dass ich einen Text liefere, der meinem Standard entspricht.

Bei Agenturkunden übernimmt der Kunde die Revision selbst und gibt entsprechendes Feedback. Viele Übersetzungsagenturen übernehmen diesen Service auch nicht und leiten eins zu eins eine „einfache“ Übersetzung an den Kunden weiter. Von internen Proofreadern von Agenturen bekomme ich oft ziemlich „sterile Änderungen“, die ich annehmen oder zurückweisen kann. Der kollegiale Austausch mit Kolleg*innen ist anregender und positiver!

#2 Viel-Augen-Modus statt Vier-Augen-Prinzip beim Übersetzen

Andrea Halbritter

Bei Leichte-Sprache-Texten praktiziert Andrea einen Viel-Augen-Modus

Andrea Halbritter erstellt im Großraum Augsburg-München und Saint-Nazaire-Nantes Texte in Leichter und Einfacher Sprache. Außerdem übersetzt sie – vor allem im Wein- und Tourismusbereich – in den Sprachrichtungen Englisch-Deutsch und Französisch-Deutsch.

Im Weinbereich übersetze ich vor allem für renommierte Champagnerhäuser. Die meisten legen meine Übersetzungen internen deutschsprachigen Korrekturleser*innen vor. Diese sind auf das Marketing von Weinen in Deutschland spezialisiert, kennen Produkt und Markt gut. Ihre Verbesserungsvorschläge schaue ich mir an und arbeite sie in meine Pressemitteilung, meine Website-Texte oder Weinmagazine ein. Es kommt auch vor, dass ich Vorschläge nicht übernehme, noch weiter daran feile oder darin enthaltene Fehler, wie ein falsch gesetztes Komma oder eine fehlende Endung, korrigiere. Bei der Zusammenarbeit mit den internen Reviewern meiner Kunden habe ich in den letzten 10 Jahren sehr viel gelernt. Davon profitieren auch andere Kunden.

Wenn ich einen Reiseführer vom Englischen ins Deutsche übersetze, arbeite ich bisweilen mit einem Übersetzer zusammen, der englischer Muttersprachler ist, also selbst in der anderen Richtung übersetzt. Durch das Vier-Augen-Prinzip beim Übersetzen bin ich mir vor allem bei Texten mit vielen Redewendungen oder einem speziellen Humor sicher, dass mir keine Nuancen des englischen Quelltextes entgehen. Im Französischen brauche ich diese zusätzliche Kompetenz nicht. Nach 15 Jahren in Frankreich beherrsche ich das Französische fast wie meine Muttersprache. Außerdem kenne ich die französischen Gegenden, für die ich deutsche Verkaufshandbücher oder Reiseführer erstelle, meist wie meine Westentasche.

In Leichter Sprache arbeite ich als Übersetzerin und Texterin nicht im Vier-Augen-Prinzip, sondern im Viel-Augen-Modus. Mein Text wird zunächst dem Kunden und dann mindestens einer Person aus der Hauptzielgruppe vorgelegt. Je nach Leichte-Sprache-Label sind ein bis sechs Menschen mit Lernschwierigkeiten und ein bis zwei Prüfmoderator*innen an der Überprüfung meiner Leichte-Sprache-Texte beteiligt. Im „Extremfall“ also bis zu zehn Augenpaare.

Es gibt aber auch Übersetzungen, die ich ohne Vier-Augen-Prinzip anfertige. Zum Beispiel weil der Auftraggeber dafür nicht das nötige Budget mitbringt oder auch weil die Zeit für eine Arbeit im Vier-Augen-Prinzip fehlt, da es sich um sehr kurzfristige Aufträge handelt, die quasi übermorgen schon in den Druck müssen. Was man auch nicht vergessen sollte: Die Person mit dem zweiten Augenpaar sollte Quell- und Zielsprache sowie Fachgebiet mindestens genauso gut kennen wie Übersetzer*in Nummer 1. Im Idealfall sollte Nummer 2 sogar fitter sein. Ansonsten wird der Text verschlimmbessert, womit niemandem geholfen ist.

#3 Ein Revision-Club, um als Übersetzer*in immer besser zu werden

Übersetzer Simon Berrill

Simon setzt als Übersetzer auf Revision-Clubs

Simon Berrill ist Copywriter und Übersetzer. Er arbeitet in den Sprachrichtungen Spanisch-Englisch, Katalanisch-Englisch und Französisch-Englisch. Spezialisiert ist der gebürtige Brite auf Wein und Kulturtourismus. Simon lebt in der Nähe von Barcelona.

Ever wanted to improve your translations and been stuck for ideas on how to do it? One way is to form a revision club. This is a simple, free method of getting your work revised regularly if, for whatever reason, you can’t employ a reviewer for the work you deliver to clients, which is the ideal arrangement.

Revision clubs work like this. First, find two reliable colleagues who translate in the same language pair as you do. Why three members? Because it gives you two – but not too many – different opinions on your work and you can still get your translations reviewed frequently.

The three of you then take it in turns, once a week, to send samples of your work (obviously nothing confidential) to the other two to be reviewed. Those two colleagues send their feedback for the original translator to learn from.

That will take three weeks of each month. In the fourth week, you have a translation slam. One of the three chooses a text and you all translate it before meeting up online (or in person if you live near enough) to discuss the similarities and differences between your translations and any points of interest.

This is, of course, just one model of revision club. You’re perfectly free to adapt it and make whatever other arrangements you think best. The important thing is that you review one another’s work regularly and that no money changes hands.

I was a member of the original revision club together with Victoria Patience, whose idea it was, and Tim Gutteridge. We presented the idea at several conferences and we’re delighted to see more and more of them springing up nowadays.

If you don’t know colleagues you could form a revision club with, you could try the Standing Up Revision Club Facebook group. There you can post asking for other people with the same language combination who are interested in joining you.

#4 Vier-Augen-Prinzip zur Erweiterung des Übersetzer-Portfolios

Jacqueline: “Wer mit Kolleg*innen zusammenarbeitet, erweitert sein Portfolio.”

Jacqueline Marcella Breuer ist als Fachübersetzerin in Hameln auf die Bereiche Schienenfahrzeugbau, Chemie/Gefahrstoffmanagement und Ur-, Umform-, Füge- und Trenntechnik spezialisiert. Ihre Arbeitssprachen sind Englisch, Italienisch, Französisch, Portugiesisch und Deutsch. Die freiberufliche Übersetzerin hat zwei Muttersprachen: Deutsch und Französisch.

Das Vier-Augen-Prinzip ist Grundpfeiler meiner Übersetzungsleistung. In Angeboten gebe ich explizit an, dass ein*e zweite*r Übersetzer*in den zielsprachlichen Text prüft. In Zweierteams achten wir darauf, dass eine*r von uns die Quelltextsprache und der*die andere die Zielsprache zur Muttersprache hat. Überwiegend sind beide in demselben Fachgebiet “unterwegs”.

Ein neuer Übersetzungskunde kennt uns nicht. Er kauft die „Katze im Sack“. Als Übersetzer*innen erwarten von ihm, dass er uns einen Vertrauensbonus einräumt, unseren Preis akzeptiert, ohne uns und unsere Übersetzungsleistung zu kennen. Wir verkaufen ein Versprechen hinsichtlich der Qualität unserer Dienstleistung. Die Beurteilung unserer Qualität entsteht kundenseitig in seiner Wahrnehmung durch den Vergleich zwischen erwarteter und wahrgenommener Leistung. Fallen beide Parameter zusammen, ist die Dienstleistungsqualität hoch. Der vermeintlich höhere Preis oder die längere Bearbeitungsdauer werden als angemessen erachtet.

Das Vier-Augen-Prinzip beim Übersetzen unterstützt das Ergebnis aus dem Vergleich zwischen erwarteter und wahrgenommener Leistung, da ich im Vorfeld eine „belastbare“ Erwartung aufbaue. Mal ehrlich: Ein doppeldeutiges Wort, Zahlendreher, kontextuelle Missverständnisse, Flüchtigkeitsfehler wegen einer zu hohen Arbeitsbelastung … kennen wir Übersetzer*innen doch alle. Eine Revision hilft „glattzubügeln“, bevor der Auftrag zurück an den Kunden geht. Das Vier-Augen-Prinzip verbessert mein Risikomanagement, begutachtet doch eine weitere Person Ausarbeitung und Vorgänge. Meine*n Tandempartner*in beziehe ich als Übersetzerin bereits in der Angebotsphase ein. So übersehe ich nichts und verkalkuliere mich nicht.

Außerdem überwinde ich mit meinen Übersetzungspartner*innen die Einwegbahn „nur Muttersprachenprinzip“ und erweitere mein Sprachenportfolio, so dass ich mehr Übersetzungsaufträge annehmen kann.

Last but not least werde ich als Übersetzerin dank des Vier-Augen-Prinzips immer besser. Ich lerne Fehlerquellen erkennen und abstellen. Zu zweit ist man weniger allein!

#5 Eingespielte Teams mit Übersetzer*innen, die sich untereinander austauschen

Konstantin: “Keine Übersetzung ohne Vier-Augen-Prinzip!”

Konstantin Angourias ist beeidigter Übersetzer und Dolmetscher für Deutsch und Englisch mit den Fachgebieten Recht und Wirtschaft. Außerdem ist er Mitbegründer und Head of Operations in einem kanadischen Übersetzungsunternehmen in Toronto.

Mein Team besteht größtenteils aus hochspezialisierten Lawyer-Linguists, also ausgebildeten Volljurist*innen, die einen Abschluss oder jahrelange Erfahrung im Übersetzen haben. Das Vier-Augen-Prinzip bei Übersetzungen funktioniert nur, wenn sich alle Beteiligten untereinander austauschen können. Häufig arbeiten drei Kolleg*innen parallel an offenen Glossaren, tauschen sich zu den Texten und Terminologie aus. Sie sind so schon im Vorfeld mit dem Projekt vertraut, bevor es ans Korrekturlesen und Lektorat geht. Die „dienstälteren“ oder erfahreneren Kolleg*innen übernehmen die Verantwortung für die Qualität der Endversion einer Übersetzung.

Ich fordere und fördere diese Zusammenarbeit. Die Praxis von Übersetzungsagenturen, ihre Freiberufler*innen nicht miteinander kommunizieren zu lassen, finde ich kontraproduktiv. Auch aus finanzieller Sicht ist es in unserem Interesse, möglichst viel in einer Hand zu belassen – eingespielte Teams an Übersetzer*innen steuern mehr als nur ihre fachliche Expertise bei und pflegen eine sehr effiziente Art der Kommunikation. Das ist unersetzlich.

In der Übersetzungsbranche wird der Qualitätssicherung nicht die Priorität eingeordnet, die ihr zusteht. Ein Übersetzungsprojekt ist ohne Lektorat nicht abgeschlossen. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Kund*innen das schon irgendwie intern bei sich klären. Wir werden dafür bezahlt, ein finales Produkt abzuliefern, das so weiterverwendet werden kann.

Speziell große Übersetzungsagenturen stellen unerfahrene Projektmanager*innen ab, um Texte pro forma zu prüfen. Den Endkunden wird das als vollwertige Dienstleistung in Rechnung gestellt – eine unehrliche und unfaire Praxis, die den Wettbewerb verzerrt. Ich empfehle volle Transparenz gegenüber den Auftraggeber*innen. Häufig werden bestimmte Bausteine nicht gewünscht, werden aber trotzdem dazugebucht, wenn man ihre Wichtigkeit für das Gesamtprojekt erklärt.

#6 Vier-Augen-Prinzip beim Übersetzen: auf Anfrage

Carola Bayle

Übersetzerin Carola: “Für Agenturen übernehme ich oft das Lektorat.”

Übersetzerin Carola Baylé lebt bei Sarlat in der Dordogne. Sie übersetzt in den Sprachrichtungen Englisch-Deutsch, Französisch-Deutsch sowie Deutsch-Französisch und liefert auch französische Texte für die Schweiz. Ihre Spezialgebiete sind Zahnmedizin, Buchführung, Automobile und Automotive.

Vier-Augen-Prinzip beim Übersetzen? Systematisch: nein. Auf Anfrage: ja.

Ich arbeite hauptsächlich mit Agenturen. Viele haben eigene Übersetzer*innen, denen sie die Lektorate anvertrauen. Auch mir vertrauen Übersetzungsagenturen regelmäßig Lektorate an. Bei meinen eigenen Übersetzungen versuche ich Fehler, die ich bei anderen oft sehe (doppelte Leerzeichen zum Beispiel), so gut wie möglich zu vermeiden.

Agenturen beauftragen bei mir auch regelmäßig Übersetzung plus Lektorat. Dann arbeite ich mit einer lieben Freundin/Kollegin zusammen und die Kunden haben auch direkten Kontakt zu ihr. Mal mache ich die Übersetzung und sie das Lektorat, mal umgekehrt. Je nach unserer Auslastung. Die Kunden sind damit sehr zufrieden. Wenn ich mal ausfalle, können sie sich direkt an meine Übersetzerkollegin wenden. Aus Gründen der Einfachheit schreibe nur ich die Rechnungen an die Übersetzungskunden und zahle die Kollegin. Wir berechnen etwa 30 Prozent des Wort- oder Stundenpreises für das Lektorat.

Wenn eine Agentur mir bei der Beauftragung sagt, dass kein Endlektorat stattfindet, übernehme ich selbst den Aufwand der Kollegin, um sicher zu sein, dem Kunden durch das Vier-Augen-Prinzip eine gute Version zu liefern.

Heute hatte ich Dateien, die ich eigentlich nur für die Schweiz anpassen sollte. Alles schon editiert. Es ging um Augenerkrankungen. Plötzlich finde ich in den Dateien „Darmerkrankungen“!!! Wie kann ein Lektor so etwas übersehen?

Viel Spaß und viel Erfolg bei eurer Arbeit und viele zufriedene Übersetzungskunden!

Frau mit schulterlangen blonden Haaren und grauen Strähnen, blauen Augen, Brille und grauem Mantel

Andrea Halbritter

Andrea Halbritter ist Germanistin mit 2. Staatsexamen und vom Netzwerk Leichte Sprache e. V. zertifiziert. Sie erstellt Texte in Leichter und Einfacher Sprache für NS-Gedenkstätten, Museen, politische Parteien und Gesundheitsbehörden. In den Sprachrichtungen Französisch-Deutsch und Englisch-Deutsch übersetzt Andrea vor allem im Bereich Wein.

Übersetzung bestellen