Echte Profis in barrierefreier Kommunikation wissen es schon lange: Wo Leichte Sprache draufsteht, ist nicht unbedingt Leichte Sprache drin.
Als Leichte-Sprache-Übersetzerin muss ich leider sagen: 80 Prozent der Texte in Leichter Sprache, die mir so unterkommen, sind für die Hauptzielgruppe Leichter Sprache nicht durchgehend leicht verständlich. Einige davon sind sogar ausgesprochen schlecht.
Woran aber erkennt man als Laie einen guten Text in Leichter Sprache?
Wenn du diesen Blogartikel weiterliest, erfährst du, an welchen Punkten du auf Anhieb siehst, ob ein Text wirklich in Leichter Sprache verfasst ist oder dies nur von sich behauptet.
Wie du einen guten Text in Leichter Sprache erkennst
#1 Ein guter Text in Leichter Sprache enthält keine schweren Strukturen
Ein qualitativ hochwertiger, wirklich leicht verständlicher Leichte-Sprache-Text verzichtet komplett auf schwere Strukturen.
Schwere Strukturen sind zum Beispiel Vorgangspassiv, adverbiale Nebensätze, Genitiv und Konjunktiv. Mehr hierzu erfährst du in meinen Artikeln 5 Strukturen, die in Leichter Sprache nichts verloren haben und Leichte Sprache: Schmeißt endlich das Passiv raus sowie Leichte Sprache ist dem Genitiv sein Tod.
Genaugenommen sollte Leichte Sprache – zumindest im Schriftlichen – gar keine Nebensätze enthalten. Nebensätze sind zu lang. Sie überfordern aber auch inhaltlich, da Menschen mit einer geistigen Behinderung bestimmte Zusammenhänge nicht ohne kleinschrittige Erklärungen verstehen.
#2 Ein hochwertiger Leichte-Sprache-Text hat nur kurze Sätze
Solltest du in einem Text, der von sich behauptet, in Leichter Sprache abgefasst worden zu sein, viele Kommata sehen, ist dies ein ganz schlechtes Zeichen.
Pro Satz darf in Leichter Sprache maximal ein Komma vorkommen. Dieses dient nicht dazu, Hauptsätze abzutrennen, und steht auch nicht zwischen einem Haupt- und einem Nebensatz.
Der Satz
“Wenn Sie sich die Hände nicht so oft waschen können, fassen Sie Ihr Gesicht nicht an.”
ist zum Beispiel keine Leichte Sprache, sondern Einfache Sprache. In Leichter Sprache könnte er beispielsweise wie folgt aufgelöst werden:
“Vielleicht können Sie sich die Hände nicht so oft waschen.
Dann fassen Sie Ihr Gesicht nicht an.”
Möglich ist pro Satz ein Komma in einer Aufzählung, die einzelne Wörter miteinander verbindet, zum Beispiel:
“Petra, Bettina und Hugo waren im Kino.”
#3 Leichte Sprache formuliert positiv
Negative Sprache wird in Leichter Sprache weitgehend vermieden. Gute Leichte-Sprache-Übersetzer*innen schreiben zum Beispiel “Petra ist gesund” und nicht “Petra ist nicht krank”. Genauso “Petra schläft schlecht” und nicht “Petra schläft nicht gut”.
Müssen es doch einmal Negationspartikel sein, werden diese durch Fettdruck hervorgehoben: “Man braucht mit einem Lasten-Rad kein Auto.”
#4 Ein guter Leichte-Sprache-Text vermeidet Sonderzeichen
Wirkliche Expert*innen für barrierefreie Kommunikation verwenden in ihren Texten kaum Sonderzeichen. In einem qualitativ hochwertigen Leichte-Sprache-Text findest du also die folgenden Zeichen nicht:
&
%
( )
…
;
Das Netzwerk Leichte Sprache e. V. lehnt auch die Verwendung von Ausrufezeichen, Fragezeichen und Anführungszeichen ab. Andere Schulen binden Fragen bei der Auflösung bestimmter Nebensätze ein. Ob bestimmte Sonderzeichen, wie Fragezeichen und Anführungszeichen, das Verständnis eines Textes erschweren, sollte meiner Meinung nach noch erforscht werden. Die weiter oben aufgelisteten Zeichen sollten aber in einem Text in Leichter Sprache auf jeden Fall tabu sein. Und das beispielsweise auch bei der Angabe einer Telefonnummer. In Einfacher Sprache dagegen wären manche davon möglich.
#5 Leichte Sprache verwendet hauptsächlich leichte Wörter
Eine qualitativ hochwertige Leichte Sprache verwendet leichte Wörter. Was man unter leichten Wörtern versteht, kannst du in meinem Artikel Leichte Sprache: Wie erkennt man leichte Wörter nachlesen. Beispiele für leicht zu ersetzende Wörter findest du hier: 5 Wörter, die du ganz schnell durch leichtere ersetzen kannst.
Muss in einem Text in Leichter Sprache doch einmal ein schweres Wort vorkommen, wird es in kurzen, leicht verständlichen Sätzen erklärt. Bei Wörtern, die aus einer anderen Sprache kommen, wird auch die Aussprache angegeben:
“Wir finden Foodsharing gut.
Foodsharing ist ein englisches Wort.
Man spricht es so:
Fuud-schäring.”
#6 Der Satzbau bevorzugt die S-V-O-Stellung
Sätze sind in Leichte-Sprache-Texten mit einer guten Qualität überwiegend nach dem Muster Subjekt-Verb-Objekt konstruiert, also zum Beispiel:
” Man kann diese Lebensmittel noch essen.”
Und nicht:
“Diese Lebensmittel kann man noch essen.”
#7 Ein guter Leichte-Sprache-Text spricht die Leser*innen direkt an
In einem guten Leichte-Sprache-Text steht nicht:
“Die Wahl findet am 14. März statt.”
Eine Spezialistin für Leichte Sprache, die dir eine hochwertige Übersetzung in Leichte Sprache bietet, spricht den Leser direkt an und schreibt:
“Sie können am 14. März wählen.”
#8 Wichtige Dinge werden hervorgehoben
Was wichtig ist, wird in einem guten Text hervorgehoben. Wie Hervorhebungen in Leichter Sprache möglich sind und was vermieden werden sollte, erfährst du in meinem Blogartikel Wie du in Leichter oder Einfacher Sprache Wichtiges hervorhebst.
Natürlich ist die obige Liste nicht umfassend. Es gibt noch wesentlich mehr Punkte, die Texter*innen oder Übersetzer*innen, die in Leichter Sprache arbeiten, berücksichtigen sollten: auch in Bezug auf den Satz, die Schrift oder die Bebilderung von Texten in Leichter Sprache.
Leicht verständliche Erklärungen, die auch von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen erfasst werden, lassen sich nicht aus dem Ärmel schütteln. Zu berücksichtigen sind sehr viele Aspekte, darunter das Vorwissen der Zielgruppe.
Was sind die häufigsten Probleme in schlechten Leichte-Sprache-Texten?
Am häufigsten begegnen mir in schlechten beziehungsweise nicht durchweg leicht verständlichen Texten schwere Strukturen, wie Vorgangspassiv und Adverbialsätze. Hier ein paar Beispiele aus dem Gesundheitsbereich:
“Wenn Sie Fieber oder Husten haben, dann bleiben Sie zu Hause und rufen Ihren Arzt an.”
“Die Krankheit hat sich auf der Welt schnell verbreitet, weil Menschen in andere Länder gereist sind.”
“Wenn viele Menschen auf der ganzen Welt dieselbe Krankheit haben, nennt man dies eine Pandemie.”
“Es gibt an allen Orten, an denen Menschen nach einer Reise ankommen, besondere Maßnahmen.”
Dabei wären diese Sätze relativ leicht aufzulösen.
Beispiel:
“An manchen Orten kommen viele Menschen von einer Reise an.
Ein solcher Ort ist zum Beispiel ein Flughafen.
An solchen Orten gibt es besondere Maßnahmen.”
“Wir haben eine Pandemie.
Das heißt:
Viele Menschen auf der Welt haben dieselbe Krankheit.”
Auch Wahlprogramme in angeblich Leichter Sprache sind voll von Nebensätzen:
“Briefwahl ist gut, wenn man am Wahltag verreist ist.”
“Wenn man nicht ins Wahllokal fahren kann, kann man bei der Briefwahl mitmachen.”
“Sie müssen keinem sagen, was Sie gewählt haben.”
“Wenn Menschen sich um Angehörige kümmern, sollen sie trotzdem weiterarbeiten können.”
Sätze, die eigentlich eher als Einfache Sprache zu werten sind, nicht aber als Leichte.
Wie kommt es zu nicht so guten Leichte-Sprache-Texten?
Mangelnde Ausbildung, Unwissen, Bequemlichkeit, ein schlechtes Prüfgruppenmanagement …
Auch eine Prüfgruppe oder eine Zertifzierung ist nicht immer ein Garant für Qualität. Am besten siehst du dir an, was von dem Texter oder Übersetzer, den du dir auserkoren hast, im Netz kursiert. Du kannst dir auch mehrere Arbeitsproben schicken lassen und auf die obigen Punkte überprüfen.
Leichte Sprache benötigt eine gute Ausbildung, Erfahrung und Zeit. Insbesondere für das Auflösen von Nebensätzen braucht dein Büro für Leichte Sprache Ideen und die Fähigkeit, mehr oder weniger komplexe Zusammenhänge einfach zu erklären. Da kann es schon mal vorkommen, dass Übersetzer*innen für Leichte Sprache 15 Minuten an einem einzigen Satz feilen.
Ein paar Tipps, wie du Übersetzer*innen für Leichte Sprache auswählst, findest du auch in meinem Artikel Wie wählt man als Partei seinen Übersetzer für Leichte Sprache aus?
Artikel aktualisiert am 06.07.2024
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