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Als ich Leichte-Sprache-Feuerwehr spielen musste

Wolke, die einen Feuerwehrschlauch hält, aus dem Wasser tropft

Vor einer Weile bekam ich eine Anfrage, die nicht besonders außergewöhnlich klang:

„Ich kontaktiere Sie in Bezug auf eine Übersetzung in Einfache Sprache. Könnten Sie mir bitte bis morgen einen Kostenvoranschlag für eine Übersetzung in Einfache Sprache erstellen?“

Mein Einsatz als Leichte-Sprache-Feuerwehr

Ermitteln der Zielgruppe der Leichte-Sprache-Texte

Da ich gerade Zeit habe, greife ich sofort zum Hörer und rufe die Kundin an. Wie bei jeder Anfrage für Übersetzungen in Einfache oder Leichte Sprache will ich zunächst einmal abklären, was von beiden Sprachformen gebraucht wird. Kund*innen verwenden die Begriffe Leichte Sprache und Einfache Sprache nämlich oft als Synonyme. Um Auftraggeber*innen ein Produkt anzubieten, das auf ihre Hauptzielgruppe passt, gilt es daher als erstes herauszufinden, ob die Texte für Menschen sind, die eher Leichte oder Einfache Sprache benötigen. Vor der Erstellung eines Angebots für leicht verständliche Texte steht bei mir also immer ein Beratungsgespräch.

Wie so oft ist die Zielgruppe ziemlich heterogen, soll aber Menschen mit einer leichten geistigen Behinderung miteinschließen, so dass ich der Kundin Leichte Sprache Plus beziehungsweise stark vereinfachte Einfache Sprache vorschlage. Sie ist einverstanden.

Feuerwehrmann auf Leiter des Feuerwehrautos beim Löschen

Nicht leicht verständliche, sondern unbrauchbare Texte

Als ich bemerke, dass man mit der Anfrage etwas spät dran sei, erfahre ich Folgendes: Die Kundin hatte mit dem Übersetzungsprojekt bereits eine andere Kollegin beauftragt. Leider sei man mit der Arbeit der Leichte-Sprache-Übersetzerin überhaupt nicht zufrieden. Ich hake nach. Woran liegt es, dass die übersetzten Texte nicht zu verwenden sind? Was wird an den angeblich leicht verständlichen Texten bemängelt?

Die Antwort kommt etwas zögerlich. Zum einen habe sich die Übersetzerin in Leichte und Einfache Sprache ziemliche Klöpse geliefert. Bei der Vereinfachung der Texte seien so viele inhaltliche Fehler entstanden, dass man auch nach zwei Korrekturschleifen nicht weiterkomme. So heiße es im Einfachen-Sprache-Text zum Beispiel: „Hitler schuf das Parlament ab.“ Völliger Unfug! Auch während der NS-Zeit gab es Parlamente. Sie hatten nur kaum etwas zu sagen.

Die Kundin bemerkt außerdem, dass ihr die Einfache-Sprache-Texte viel zu schwer erschienen. Jedenfalls seien sie wesentlich komplexer als die Sprachform, die man normalerweise bei derartigen Aufträgen geliefert bekomme. Ich bitte die Kundin, mir die bereits übersetzten Dateien sowie die Ausgangsdateien in „schwerer Sprache“ zuzuschicken.

Fehleranalyse der nicht so leicht verständlichen Texte

Als ich die Dateien öffne, bin ich entsetzt. Der übersetzte Text enthält nicht nur zahlreiche inhaltliche Fehler. Bei den angeblich leicht verständlichen Texten handelt es sich noch nicht einmal um Einfache Sprache, geschweige denn um Leichte Sprache Plus, wie sie der Kunde bräuchte.

Auf sprachlicher Seite stechen mir sofort mehrere schwer verständliche Strukturen und Tempora ins Auge. Die Einfache-Sprache-Übersetzerin schreibt im Präteritum und nicht im wesentlich besser verständlichen Perfekt. Genitive, Vorgangspassiv und erweiterte Infinitive kommen regelmäßig vor. Immer wieder sind schwere Wörter eingestreut. Pronomen werden häufig verwendet und stellen Leser*innen vor die schwere Aufgabe, die richtigen Bezüge herzustellen. Die Übersetzerin bemüht sich um Abwechslung im Vokabular, was für das Textverständnis kontraproduktiv ist. In barrierearmer Kommunikation lautet die Devise nämlich: gleiche Wörter für gleiche Dinge. Viele Sätze enthalten Negationen, statt positiv formuliert zu sein. Die vorhandenen Negationen sind nicht gekennzeichnet, also nicht gefettet oder unterstrichen.

Die Inhalte sind kaum gekürzt. Im Prinzip bemüht sich die Übersetzerin in Einfache Sprache darum, alles 1:1 wiederzugeben. Eine Auswahl wurde nur selten getroffen. Eine Konzentration auf das Wesentliche, wie dies in Leichter Sprache Plus und stark vereinfachter Einfacher Sprache nötig ist, gibt es nicht. Ich bin geschockt. Sicher habe ich schon zahlreiche schwerer verständliche Texte gesehen als die vorliegenden. Leicht verständlich sind sie jedoch keineswegs.

Feuerwehrauto

Kriterien bei der Auswahl von Leichte-Sprache-Übersetzer*innen

Ich bin neugierig. „Nach welchen Kriterien haben Sie die Übersetzerin in Einfache Sprache ausgewählt?“ Die Kundin erklärt, dass man sich entschieden habe, vorrangig mit lokalen Anbieter*innen zu arbeiten. Auf Google habe man daher „Übersetzerin Leichte Sprache [Name der Stadt]“ eingegeben und mehrere Kostenvoranschläge angefordert. Schließlich habe man sich für eine Übersetzerin in Einfache Sprache entschieden, die auch eine Leichte-Sprache-Ausbildung habe. Man sei davon ausgegangen, dass jede*r Übersetzer*in grundsätzlich alles übersetzen könne. Daher habe man nicht nach Leichte-Sprache-Spezialist*innen geschaut, die auf den Bereich Nationalsozialismus spezialisiert sind. Nach diesen Expert*innen habe man erst gesucht, nachdem die ersten Einfache-Sprache-Texte eingetroffen seien.

Ob ich die Texte nun als auf den Nationalsozialismus spezialisierte Übersetzerin noch retten könne? Quasi ein Feuerwehrauftrag für mich als Leichte-Sprache-Übersetzerin. 

Was du daraus als Auftraggeber*in lernen kannst

Als Kund*in solltest du dir deine Übersetzer*innen ganz genau aussuchen. Egal, ob es sich um Übersetzungen in Fremdsprachen oder in Leichte Sprache beziehungsweise Einfache Sprache handelt. Worauf du bei der Auswahl deiner Leichte-Sprache-Übersetzer*innen achten solltest, erkläre ich dir in diesem Artikel: Wie wählt man als Partei seine*n Übersetzer*in für Leichte Sprache aus? Der Beitrag richtet sich an Politiker*innen, enthält aber viel Grundsätzliches. Er kann dir also auch weiterhelfen, falls du in einem ganz anderen Bereich Leichte-Sprache-Expert*innen brauchst.

Wie bei der Covidprävention gilt auch hier das Käsescheiben-Modell: Eine Mitgliedschaft oder eine Fortbildung sind keine Garanten für Qualität. Damit du dich auf eine*n Übersetzer*in verlassen kannst, müssen gleich mehrere Kriterien erfüllt sein. Im Artikel oben verrate ich dir alle.

Eine sehr gute Idee ist außerdem, vorab eine bezahlte Probeübersetzung erstellen zu lassen. So kannst du sicherstellen, dass deine Übersetzer*innen deinen Anforderungen entsprechen und dir auch den Grad der Vereinfachung bieten, den du dir vorstellst.

Wählst du deine Übersetzer*innen nicht sorgfältig genug aus, zahlst du am Ende doppelt …

Was du daraus als Leichte-Sprache-Übersetzerin lernen kannst

Als Übersetzer*in solltest du dich unbedingt spezialisieren. Egal, ob du von einer Fremdsprache in deine Muttersprache übersetzt oder ob du Texte in Leichter und Einfacher Sprache anbietest. Wenn du dich auf ein bestimmtes Gebiet spezialisierst, bist du beim Übersetzen nicht nur schneller. Du kannst auch sicher sein, eine bessere Qualität zu liefern. Und deine Übersetzungen bringen dir wesentlich mehr Geld ein. Liefern Sprachmittler*innen Mist ab, spricht sich dies sehr schnell herum. Negativwerbung kann kein*e Selbstständige*r gebrauchen!

Für das Erstellen von Texten in Leichter Sprache oder Einfacher Sprache brauchst du eine seriöse Ausbildung. Insbesondere Leichte Sprache erlernst du als Übersetzerin oder Texterin nicht in einem Wochenendkurs. Hinzu kommt: Übung macht den Meister! Wenn du nur sporadisch in Leichte Sprache übersetzt und vielleicht noch dazu keine Prüfgruppe hast, wird es dir schwerfallen, qualitativ hochwertige Leichte-Sprache-Texte anzubieten.

 

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Zur Autorin:

Andrea Halbritter ist Germanistin und Romanistin mit 2. Staatsexamen und vom Netzwerk Leichte Sprache e. V. zertifziert. Außerdem bildet sie sich an der Universität Hildesheim in Leichter Sprache fort. Spezialisiert ist Andrea auf Texte für NS-Gedenkstätten und Wahlprogramme. Außerdem bietet sie Übersetzungen für Museen und den Gesundheitsbereich an.

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