Tag 18 als Deutsche während der Corona-Krise in Frankreich
Poisson d’avril!
01.04.:
Aprilscherz am frühen Morgen von Lehrerseite. Auf die E-Mail mit der baldigen Schuluniformpflicht falle ich allerdings nicht rein, zumal mir meine Tochter schon nach dem Aufstehen einen Fisch auf den Rücken geklebt hat.
Nachmittags revanchieren wir uns:
“Liebe Solène,
meine Mama hatte das Homeschooling definitiv satt und hat die Flucht nach Deutschland ergriffen.
Kann ich die nächsten Wochen bei dir verbringen?
Ich warte vor der Schule auf dich.
Klervi”
Antwort nach einer halben Stunde:
“Kein Problem. Ich habe auch zwei Mädchen. Unser Gästezimmer ist frei. Heute Abend gibt es Schwarzwurzeln und Spinat. Das wird dir sicher schmecken!”
Blöd nur, dass der immer hungrige Tee-Nager Spinat liebt und Schwarzwurzeln (der Albtraum vieler französischer Kids) nicht kennt. Die würde Tee-Nager vermutlich aber auch verputzen. Hauptsache, der Magen hört auf zu knurren!
Tag 20 als Deutsche während der Corona-Krise in Frankreich
Morgenhuhn
03.04.:
Bekanntlich bin ich ja eine Nachteule und kein Morgenhuhn.
An Tag 20 meines Corona-Abenteuers in Frankreich bin ich aber in der Früh um 4 schon so fit wie sonst um 9. Also raus aus dem deutschen Federbett und in Ruhe frühstücken!
Teekocher angeworfen, English Breakfast Tea aufgebrüht, etwas Zucker und Milch rein, dazu ein Roggenbrot mit salziger Butter. Schließlich ist Frau ja in der Bretagne. Selbst wenn die Loire-Atlantique für manche nicht mehr dazu zählt. Beurre doux ist was für Weicheier und für Pariser!
Gemütlich meinen Stern gelesen. Mich in Sportklamotten geworfen. Auf der Terrasse zum gleichmäßigen Rauschen der Wellen TaiChiQiGong gemacht.
Als um 6 Uhr die Straßenbeleuchtung loslegt, ziehe ich los. Meine Attestation in der einen Tasche, meine Haustürschlüssel in der anderen.
Das Meer ruft, auch wenn ich mich aufgrund der Lockdownbestimmungen nur bis auf etwa 100 m nähern kann. Eigentlich Folter so was!
Der Frühling ist da
Unterwegs macht sich der Frühling bemerkbar. In einigen Vorgärten stehen Blutpflaumen und japanische Kirschbäume in voller Blüte.
Nach 30 min stehe ich vor einer Absperrung. Bis zum Ozean wären es nur noch ein paar Schritte. Ich bleibe davor stehen, atme die kalte Meeresluft ein und wiederhole meine Übungen.
Dann geht es teils joggend zurück nach Hause. Mehr als eine Stunde ist ja nicht drin …
Anschließend duschen, noch einmal Tee und die Stille genießen, bis Tee-Nager sich aus dem Bett kämpft. Als Tochter gegen 10.30 Uhr in die Küche tritt, glaubt sie mir nicht, dass ich schon am frühen Morgen losgezogen bin.
Das nächste Mal muss meine Kamera mit, Beweisfotos schießen.
Tag 21 als Deutsche während der Corona-Krise in Frankreich
Morgenkonzert
04.04.:
Wieder ziehe ich um 6 Uhr los. Vorher ist mir die Sache mit den stinkenden Tretminen zu gefährlich. Schließlich hat sich ja gefühlt jeder einen Hund zugelegt. Mit Vierbeiner darf man nämlich wesentlich öfter vor die Tür.
Das Vogelkonzert ist gigantisch! Am liebsten höre ich dem Gesang der Amseln zu.
Meer nicht gehört, dafür den Hochdruckreiniger einer Anwohnerin. Gestaunt. Welcher gesunde Mensch kommt auf die Idee, um kurz vor 7 Uhr seinen Gartenzaun zu reinigen?
Beweisfotos geschossen. Tee-Nager haut es fast vom Küchenstuhl, als er gegen 10 Uhr sein Müsli löffelt.
Tag 22 als Deutsche während der Corona-Krise in Frankreich
Fensterputzen für den Osterhasen
05.04.:
Zeit für die Osterdeko! Fenster und Eingangstür aus Glas putzen und dann Fensterbilder anbringen. In Teamarbeit … Also das Anti-Schlieren-Team, das putzt, bin ich. Das Deko-Team ist meine Tochter.
Bilder von Osterhasen, Küken und bunten Eiern werden verteilt. Manche fallen gleich wieder runter.
Zur Überwachung von Bretonen und Zugereisten (wir sind gerade dabei, uns zu verdoppeln …) werden jetzt neben Hubschraubern auch Drohnen eingesetzt. Erste Feinde haben sie sich sowohl unter Möwen als auch unter den Zweibeinern gemacht.
Tag 23 als Deutsche während der Corona-Krise in Frankreich
Storch-Stalking
06.04.:
Heute übernimmt der Storch die Tee-Nager-Betreuung. Kater hatten wir ja schon.
Ein Bekannter hat mir nämlich einen Link zum Storch-Stalken in Echtzeit geschickt. Tee-Nager kann damit ein Storchennest im hiesigen Sumpfgebiet Brière beobachten. Beschäftigt sie immerhin regelmäßig eine ganze Viertelstunde.
Dazwischen macht sie sich nützlich und backt mit unserem letzten Mehl Kuchen.
Nachschub habe ich nicht bekommen. Brotbacken ist hip, die Mehlregale sind leergefegt.
Tag 28 als Deutsche während der Corona-Krise in Frankreich
Weihnachten im April
11.04.:
Diese Woche fühle ich mich mehrmals wie an Weihnachten.
Zweimal Essenspakete direkt nach Hause bestellt. Einmal eine Kiste Obst und Gemüse, einmal Algen. Außerdem von einem Kunden, für den ich regelmäßig Übersetzungen im Weinbereich anfertige, zwei Kisten Wein bekommen. Nice!
Sollten Corona-Panik, Homeschooling-Koller o. ä. auftreten, kann ich das Ganze gebührend ersäufen.
Tag 29 als Deutsche während der Corona-Krise in Frankreich
12.04.:
Ostern! Glücklicherweise bunkere ich immer ein paar Geschenke auf Vorrat. Ich musste also nicht stundenlang in irgendeinem Hypermarkt anstehen, um eine Kleinigkeit für meine Tochter zu besorgen.
Osterhasen waren schon letzte Woche aus. Schokolade auch fast. Wahrscheinlich futtern die anderen Schokolade, anstatt Schaumwein zu trinken. Statt Osternest werden auf der Terrasse drei kleine Päckchen versteckt mit zwei T-Shirts (natürlich 100 % made in Germany), einem Mandalabuch und einer Tafel Schokolade. Die übrigens mit Nuss, damit Mama nicht in Versuchung geführt wird. Bin nämlich Nussallergiker.
Während wir auf der Terrasse sitzen und Attika spielen, kommt ein Chocolatier mit einem für uns von der Nachbarin georderten Osterei vorbei. Nice, aber schließlich habe ich ihr im November auch das Leben gerettet. Wie war das nochmal von wegen die meisten Unfälle passieren zu Hause?
Tag 38 als Deutsche während der Corona-Krise in Frankreich
Corona- und Gestapovirus
18.04.:
Die heutige Surprise ist weniger nice. Während ich auf der Terrasse sitze, beschwert sich mein Nachbar Nr. 2 bei Nachbar Nr. 3, der Polizist ist. Ob das mit rechten Dingen zugehe, dass die Deutsche trotz Corona immer noch in der Bretagne sei?
Einige Teile der Bevölkerung scheinen zunehmend von einem Gestapovirus ergriffen zu sein oder ihr SS-Gen neu zu entdecken.
Meine morgendlichen Spaziergänge mache ich immer noch. Jedenfalls wenn es nicht regnet. Entdeckt habe ich dabei MEIN Stück Natur. Eine Düne mit ein paar Bäumen, die man betreten darf. Ansonsten ist ja so ziemlich alles verboten. Also außer den stinkenden Tretminen rund um meine Hütte.
Tag 40 als Deutsche während der Corona-Krise in Frankreich
20.04.:
Die Zahl der Anhänger diverser Verschwörungstheorien nimmt zu. Auch in meinem Bekanntenkreis. Bei manchen greift das Virus das Hirn schon an, bevor es überhaupt da ist. Na ja, ist ja auch Hitlers Geburtstag heute.
Tag 41-45 als Deutsche während der Corona-Krise in Frankreich
Masken auf Rädern
21.04.-25.04.:
Die Woche verbringe ich mit Akquise, Teenager bekochen, einer Probeübersetzung für einen Psychoratgeber und Maskenbeschaffung.
Nähen hasse ich wie Covid-19, also werden über Facebook bei zwei Schneiderinnen welche bestellt.
Treffpunkt: Draußen vor der Tür. Nein, vor der Kirche. Sie ist sich nämlich nicht sicher, dass sie meine Tür findet.
Ich stehe mir zur verabredeten Zeit 20 min die Beine in den Bauch. Schauen mich die Passanten wirklich seltsam an oder leide ich allmählich an einer leichten Form von Paranoia? Glücklicherweise taucht keine Polizeistreife auf. Einfach rumstehen ist nämlich auch verboten.
Übereifrige Polizisten
Unsere Dorfpolizisten sind allerdings eh relativ cool. Aus Batz-sur-Mer hört Frau anderes. Da hagelt es Strafen. Zum Beispiel weil man sein Pferd füttert. Oder weil man das Kreuz auf seiner Attestation vergessen hat. Oder weil das Datum nicht stimmt. Oder weil man auf dem Rad unterwegs ist. Oder eben weil man sich die Beine in den Bauch steht, wo man das doch nicht darf.
Der Erstverstoß kostet 135 €.
Als ich gerade nach Hause will, taucht die Schneiderin doch noch auf. Sie war zwischen Saint-Nazaire und Pornichet in eine Polizeikontrolle geraten.
Dafür habe ich jetzt das Privileg, mir zu meinen Klamotten passende Masken auszusuchen, bevor sie mit den restlichen zu anderen Kunden weiterzieht. Masken auf Rädern quasi.
Tee-Nager bekommt auch drei.
Eigentlich wäre ich jetzt schon eine ganze Woche in Bayern. Zu den Befreiungsfeiern. Insgesamt für mehr als einen Monat. Warum musste dieses Virus sich ausgerechnet 2020 verbreiten?
Tag 46-53 als Deutsche während der Corona-Krise in Frankreich
Ein eingespieltes Team während Corona
26.04.-03.05.:
Die Tage ähneln sich. Tee-Nager und ich sind mittlerweile ein eingespieltes Team. Manchmal bekommen wir sogar das Homeschooling hin, aber nur manchmal. Ab und zu arbeitet Tee-Nager nur gegen Lakritze oder unter Androhung von PC-Verbot. Bei manchen Aufgaben werfen wir auch einvernehmlich das Handtuch.
Eine Kollegin hat mir 7,5 kg Bio-Dinkelmehl von einer Mühle auf der Schwäbischen Alb geschickt. Nach einem guten Monat kam das Paket sogar an. Zuvor hat es sich ein bisschen an der deutsch-französischen Grenze umgesehen. Die war anscheinend auch für Mehl dicht und auch für die Osterhasen, die auch drin waren.
Die haben wir gleich zerlegt. Das Mehl verarbeitet Tee-Nager jetzt nach und nach. Zu Muffins, Kastenkuchen, Obstkuchen, Eierhaber, Pfannkuchen …
Das Kochen haben wir jetzt auch aufgeteilt. Mindestens dreimal die Woche ist der Tee-Nager damit jetzt selber dran. Sonst hungert er.
Allerdings macht Tee-Nager auch zu viele Online-Spiele.
Abends lesen wir jetzt gemeinsam deutsche Jugendbücher. Untertags ist Mama auf Online-Gedenkveranstaltungen unterwegs, schnürt Pakete für Übersetzungen in Leichte und Einfache Sprache, macht Akquise und hält nach Illustratoren und Prüfern für Leichte Sprache Ausschau.
Dem Direx sein Klo
Wegen unseres zu lockeren Herangehens an das Homeschooling wurden wir diese Woche auch in die Schule zitiert. Trotz Corona. Unterredung mit dem Direx und der Klassenlehrerin.
Er mit Maske unter der Nase, sie in Totalvermummung. Tenor: Alleinerziehend und Homeoffice? Kein Grund, nicht auch noch 4 h Homeschooling pro Tag durchzuziehen. “Andere Eltern schaffen das auch.” Dann putze man halt weniger oft das Klo. Wenn man kein Ferkel sei, brauche man ja so ein Klo eigentlich gar nicht putzen.
Ich überlege mir, ob die wohl meinen, dass ich einen Kloputzfimmel habe, und falls ja, wieso die mir so einen Fetisch zuschreiben. Und irgendwie ertappe ich mich dabei, dass ich mich frage, wie sauber denn das Klo vom Direx so ist und wer es putzt. Vielleicht schrubbt ja die holde Ehefrau einmal täglich, ohne dass der Direx das merkt.
Tag 58 als Deutsche während der Corona-Krise in Frankreich
E-Mail-Terror durch die Schule
08.05.:
Mittlerweile bin ich im Schnitt pro Tag bei mindestens drei E-Mails von der Schule. Es nervt! Kann man eigentlich einzelne Absender sperren? Ich fühle mich echt gespammt.
Sämtliche Infos werden grundsätzlich an alle verschickt. Zum Beispiel wenn Klein-Leo und sein Vater nicht verstanden haben, warum der Satz auf dem 3. Arbeitsblatt des 4. Tages in Woche Keine Ahnung ein Fragezeichen hat und keinen Punkt.
Leute, habt ihr keine anderen Sorgen? Könnt ihr euch stattdessen nicht ein paar neue Verschwörungstheorien ausdenken, Kuchen backen, in der Nase poppeln oder die Schokoladehasen essen, die ihr vor Ostern gehortet habt?
Daneben überschlagen sich die E-Mails zur Wiederaufnahme des Unterrichts, obwohl wir dafür gar nicht eingeschrieben sind. Plätze gab es nämlich nur 15 für 28 Kids und das auch nur an zwei Tagen. Corona möchte ich mir nicht an Land ziehen, da arbeite ich lieber weiter mit dem Tee-Nager. Wenn er Videospiele machen darf, kann ich auch übersetzen. Jedenfalls wenn nicht gerade mein Futterbereitstellungstag ist.
Die Basics unter den Nahrungsmitteln
Neulich habe ich übrigens in Bezug auf die Futterbeschaffung eine Rüge vom Tee-Nager bekommen. Der meinte nämlich, ich sei noch nicht einmal in der Lage, die Basics zu besorgen. Wobei Basics für meinen Tee-Nager Schokosoße und Karamellsoße sind. Und natürlich Fleisch!
Damit der Tee-Nager vor seinem PC nicht total vereinsamt, spielt der Opa jetzt täglich 2 h per Skype Sudoku, Schafkopfen, Mühle, Dame und Schach mit dem Tee-Nager. Der ist dann total gut gelaunt und motzt nicht, dass es weder Hamburger noch Hühnchenflügel oder mit Rindfleisch gefüllte Ravioli gibt. Das behalten wir unbedingt bei!
Tag 61 als Deutsche während der Corona-Krise in Frankreich
Unser aller Name ist Hase, der von Manu auch …
11.05.:
Unser Déconfinement, das heißt das Ende unseres Lockdowns, beginnt heute. Oder vielleicht doch erst morgen? So genau weiß das keiner! Französische Organisation halt.
Was man dann darf oder nicht, dazu gibt es auch unterschiedliche Angaben.
100 km Luftlinie oder Landweg? 100 km einfach oder insgesamt? Strände offen oder nicht? Falls ja, welche, für wen, zu welchen Uhrzeiten und für welche Aktivitäten? Mit oder ohne Mund-Nasen-Schutz? Küstenwanderweg gesperrt, nur in eine Richtung zu belaufen, nicht für Jogger? Help!
Fotos: © Andrea Halbritter