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5 Strukturen, die in Leichter Sprache nichts verloren haben

Strukturen, die in Leichter Sprache nicht vorkommen dürfen

Die gute Nachricht: Immer mehr Websites und andere Dokumente werden in Leichte Sprache übersetzt. Die nicht ganz so positive Nachricht: Wo Leichte Sprache draufsteht, ist nicht unbedingt Leichte Sprache drin.

Viele Übersetzungen in Leichte Sprache werden von Menschen angefertigt, die es zwar gut meinen, im Bereich barrierearme Kommunikation aber über keine Ausbildung verfügen. Manchmal kennen sie sich auch nur auf bestimmten Gebieten der barrierefreien Kommunikation aus

So stoße ich im Internet immer wieder auf gut gemeinte Texte, die sicher leichter zu verstehen sind als Standarddeutsch oder Behörden- beziehungsweise Fachsprache. Als Leichte Sprache werden sie aber oft völlig zu Unrecht bezeichnet.

Und so bin ich immer wieder im Kontakt mit Vertreter*innen von Behörden und anderen Einrichtungen, die meinen, über Texte in Leichter Sprache zu verfügen, deren Texte aber für Menschen mit Lernschwierigkeiten nicht oder nur teilweise zu verstehen sind.

Du bist nicht sicher, ob deine Texte wirklich der Leichten Sprache zuzuordnen sind?

In diesem Artikel erfährst du, welche Strukturen Übersetzungen in Leichte Sprache auf keinen Fall enthalten sollten:

5 Strukturen, die in Leichter Sprache nicht vorkommen dürfen

1. Passiv

Passivkonstruktionen sind schwer verständlich. In Leichter Sprache wird daher das Aktiv und nicht das Vorgangspassiv bevorzugt.

Wenn ein Text leicht verständlich sein soll, schreibt man daher nicht:

Ich wurde von den Abgeordneten gewählt.

Vielmehr verwendet man in Leichter Sprache eine Aktivkonstruktion.

Die Abgeordneten haben mich gewählt.

Dass Passivkonstruktionen schwerer zu verstehen sind als Sätze im Aktiv liegt an folgenden Punkten:

– Der Agens, das heißt die Person, die handelt, erscheint in Passivsätzen nicht als Subjekt. Sie ist entweder gar nicht vorhanden oder aber sie werden mit einer präpositionalen Ergänzung angegeben:

          Ich wurde gewählt.

          Ich wurde von den Abgeordneten gewählt.

– Verbformen im Passiv sind schwerer zu verstehen als Verbformen im Aktiv. Das Vorgangspassiv wird mit dem Hilfsverb werden gebildet und führt zu einer Klammerstruktur:

           Ich wurde von den Abgeordneten gewählt.

Wurde steht in diesem Satz an zweiter Stelle, das Vollverb dagegen am Ende des Satzes. Die im Vollverb enthaltene Information, welche zum Gesamtverständnis des Satzes absolut nötig ist, erfolgt also erst am Satzende.

– Passivkonstruktionen werden im Mündlichen wesentlich seltener benutzt als Aktivkonstruktionen.

– Dafür, dass Passivkonstruktionen schwerer zu verstehen sind, spricht auch ihr relativ später Erwerb. Bis zum Ende der Grundschulzeit benutzen Kinder vorwiegend Aktivkonstruktionen. Dies ist unter anderem auch ein Grund dafür, dass Passivkonstruktionen im Deutschunterricht in Bayern erst ab der 6. Jahrgangsstufe behandelt werden.

Wenn die handelnde Person bekannt ist, sollte in Leichter Sprache daher nur auf Aktivsätze zurückgegriffen werden.

Im Standarddeutschen wird das Passiv jedoch auch immer wieder gern verwendet, wenn der Agens nicht bekannt ist und daher nicht genannt werden kann:

Gestern wurde in die Bäckerei eingebrochen. Es wurden 1000 € gestohlen.

In diesem Fall könnte eine Umformulierung in Leichter Sprache wie folgt aussehen:

Gestern waren in der Bäckerei Diebe.

Die Diebe haben 1000 € gestohlen.

Noch mehr über Passivkonstruktionen erfährst du in meinem Artikel: Leichte Sprache: Schmeißt endlich das Passiv raus!

2. Genitiv

Etwas salopp formuliert könnte man sagen: Nicht nur der Dativ, sondern auch die Leichte Sprache sind dem Genitiv sein Tod. Genitive erschweren in der Tat das Textverständnis. Sowohl das Netzwerk Leichte Sprache als auch Christiane Maaß von der Universität Hildesheim plädieren daher dafür, in Texten in Leichter Sprache auf Genitive zu verzichten.

Häufig ist es möglich, Genitive durch von + Dativ zu ersetzen:

Davids Buch –> das Buch von David

das Buch der Lehrerin –> das Buch von der Lehrerin

Daneben gibt es jedoch auch andere Genitivformen, die komplett umformuliert werden müssen. Dies ist zum Beispiel der Fall von Präpositionen, wie trotz, wegen oder dank, die einen Genitiv nach sich ziehen. Bereits im Standarddeutschen zeichnet sich bei diesen Präpositionen seit Jahren eine Entwicklung ab, den Genitiv durch einen Dativ zu ersetzen.

In Leichter Sprache reicht dies für ein besseres Verständnis derartiger Präpositionalausdrücke jedoch nicht aus. So ist allein die Bedeutung von Präpositionen, wie trotz, wegen oder dank, für Menschen mit Lernschwierigkeiten zu schwer zu erfassen. Mit einer Ersetzung des Genitivs durch den Dativ ist es also in diesen Fällen nicht getan. Vielmehr ist nötig, diese Konstruktionen aufzulösen:

Dank ihres Fleißes hat Anna die Stelle bekommen.

Leichte Sprache:

Anna war sehr fleißig.

Deshalb hat Anna die Stelle bekommen.

Auch gibt es einige Verben, wie erfreuen, rühmen, gedenken,  die den Genitiv nach sich ziehen. Meist handelt es sich dabei um seltene Verben, die in Leichter Sprache vermieden und aufgrund ihrer Frequenz durch andere Verben ersetzt werden:

Die Stadt gedenkt der Toten. –> Die Stadt erinnert/denkt an die Toten.

 

3. Relativsätze

Sämtliche Regelwerke für Leichte Sprache fordern die Verwendung von kurzen Sätzen. Leichte Sprache löst Satzgefüge daher in autonome Einzelsätze auf.

Dies bedeutet, dass auch Relativsätze vermieden werden sollten. Dies ist meist recht einfach zu realisieren:

– Restriktive Relativsätze:

Unter restriktiven Relativsätzen versteht man Relativsätze, die im Hinblick auf die Elemente, auf die sich das Bezugswort bezieht, eine Einschränkung vornehmen.

Dies ist zum Beispiel in folgendem Satz der Fall:

Ich mag keine Kleider, die rot sind.

Der Relativsatz macht hier eine zusätzliche Angabe, welche Kleider nur auf solche mit der Farbe Rot eingrenzt.

Obiger Satz kann recht leicht in einen Hauptsatz umformuliert werden:

Ich mag keine roten Kleider.

Je nach Bedeutung des Satzes können jedoch zusätzliche Erläuterungen für das Verständnis notwendig werden. Ursula Bredel und Christiane Maaß führen zum Beispiel folgenden Satz an:

Ein Zeuge, der bei einer Verhandlung schweigt, ist unbrauchbar.

Hierfür schlagen sie folgende Auflösung vor:

Manche Zeugen sagen bei einer Gerichts-Verhandlung nichts.

Diese Zeugen helfen dem Gericht nicht.

Das Gericht kann diese Zeugen nicht gebrauchen.

(Nicht sollte dabei Fettdruck aufweisen.)

 

– Nicht restriktive Relativsätze:

Bei nicht restriktiven Relativsätzen findet keine Mengenbegrenzung statt. Nicht restriktive Relativsätze liefern vielmehr zusätzliche Informationen.

Karl Meier, der einen Sohn hinterlässt, wurde in München beerdigt.

Leichte Sprache:

Karl Meier ist gestorben.

Man hat ihn in München beerdigt.

Er hat einen Sohn.

Der Sohn lebt noch.

 

– Satzrelativsätze:

Neben restriktiven und nicht restriktiven Relativsätzen gibt es auch Satzrelativsätze. Sie beziehen sich nicht auf ein Bezugswort, sondern auf einen Satz:

Der Politiker schwieg, was ihm besser erschien.

Leichte Sprache:

Der Politiker hat nichts gesagt.

Er hat das besser gefunden.

 

– Freie Relativsätze:

Freie Relativsätze ersetzen ein Bezugsnominal:

Dieser Bericht führt auf, was der Landesbeauftragte für politische Bildung in den letzten Jahren gemacht hat. Dazu zählen z. B. die Organisation von bestimmten Veranstaltungen, die Veröffentlichung von Materialien …

Freie Relativsätze kommen recht häufig vor. Ihre Übertragung in Leichte Sprache bereitet unter den anderen Relativsätzen die meisten Schwierigkeiten. Im Vergleich zu anderen Relativsatzkonstruktionen muss ein Übersetzer in Leichte Sprache in der Regel tiefer in die Struktur eingreifen.

Eine mögliche Übersetzung wäre hier:

Dieser Bericht zeigt:

Das hat der Landes-Beauftragte für politische Bildung in den letzten Jahren gemacht.

Dieser Bericht informiert Sie zum Beispiel über Veranstaltungen.

Er informiert Sie auch über Bücher.

Mehr hier: Wie du Relativsätze in Leichte Sprache übersetzt

 

4. Adverbiale Nebensätze

 

Leichte Sprache verzichtet auf Satzgefüge. Hierzu zählen auch adverbiale Nebensätze. Dies sind im Wesentlichen Konditional-, Kausal-, Temporal-, Konzessiv-, Adversativ- und Finalsätze. Diese geben entweder eine Bedingung, einen Grund, einen zeitlichen Bezug, eine konzessive Relation, eine Widersprüchlichkeit oder einen Zweck bzw. ein Ziel an.

Der semantische Bezug zwischen den einzelnen Satzteilen wird meist schwer oder gar nicht verstanden, zumal solche Satzgefüge außerdem recht lang sind.

Es gilt also, adverbiale Nebensätze und Konjunktionen durch Strukturen zu ersetzen, die die Zusammenhänge deutlicher darstellen.

Bei folgendem Satz handelt es sich um ein Satzgefüge, das aus einem Haupt- sowie einem finalen Nebensatz besteht:

Politische Bildung will Angebote machen, damit sich die Menschen an der Demokratie beteiligen können.

Insbesondere Finalsätze sind schwer verständlich. Finalsätze beinhalten das beabsichtigte Herbeiführen eines bestimmten Ziels bzw. Zwecks. Dies muss bei der Umformulierung in Leichte Sprache deutlich ausgedrückt werden. Dies wäre zum Beispiel wie folgt möglich:

Wir sagen:

Menschen sollen sich an der Demokratie beteiligen.

Das heißt zum Beispiel:

Menschen sollen sich informieren.

Menschen sollen mit-bestimmen.

Dafür machen wir Angebote.

Die Angebote müssten natürlich im Weiteren näher erläutert werden.

In einzelnen Fällen kann es möglich sein, Adverbialsätze zu verwenden, die einen Grund angeben. Ich würde diese allerdings durch einen Punkt vom Hauptsatz abgrenzen und unbedingt mit weil und nicht mit der selteneren Konjunktion da einleiten.

Wie du Konditionalsätze in Leichter Sprache auflöst, erfährst du in meinem Artikel Leichte Sprache: So löst du Konditionalsätze auf.

Um Kausalsätze geht es in meinem Artikel Wie du in Leichter Sprache kausale Zusammenhänge verdeutlichen kannst.

Mehr über Konzessivsätze verrate ich dir hier: Wie du in Leichter Sprache mit Konzessivsätzen umgehst.

 

5. Futur

 

Da das Präsens im Deutschen auch Zukunftsbedeutung haben kann, wird Zukünftiges in Leichter Sprache mit Präsens ausgedrückt. Zur Verdeutlichung der Zukunftsbedeutung werden Zeitangaben und Adverbien eingesetzt:

Ich gehe morgen ins Kino.

Wir gehen nächste Woche ins Kino.

Wir gehen bald ins Kino.

 

Fazit:

Sollte deine Übersetzung Passivkonstruktionen, Futurbildungen, Genitive oder Nebensätze enthalten, handelt es sich bei deinem Text ganz sicher nicht um Leichte Sprache. Alle diese Konstruktionen sind für Menschen mit eingeschränkten intellektuellen Fähigkeiten nur schwer oder gar nicht verständlich. Teilweise sind diese Konstruktionen noch nicht einmal Einfacher Sprache zuzuordnen.

In der mündlichen Kommunikation werden bestimmte Adverbialsätze verstanden, im Schriftlichen allenfalls bestimmte Zusammenhänge von Ursache und Wirkung, so dass ich die Verwendung von Sätzen mit weil nicht kategorisch ablehnen würde. Voraussetzung ist aber auch hier für mich, dass die Sätze kurz sind.

Neben den Strukturen, die ich oben aufgeführt habe, müssen auch noch andere, wie zum Beispiel Konjunktive, in Leichter Sprache absolut vermieden werden. Beschränkt habe ich mich in diesem Artikel lediglich auf die obigen Punkte, weil Texte, die sich zu Unrecht auf Leichte Sprache berufen, immer wieder auf sie zurückgreifen.

 

Was Texte in Leichter Sprache noch ausmacht, kannst du in diesem Artikel lesen: Was ist Leichte Sprache

 

Literaturhinweis:

Bredel, Ursula und Maaß, Christiane: Leichte Sprache Theoretische Grundlagen Orientierung für die Praxis. Berlin 2016

 

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